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    "Enola Holmes": FILMSTARTS am Set des Netflix-Abenteuers mit Millie Bobby Brown

    Wir waren am Set des ungewöhnlichen Krimis „Enola Holmes“, der später von Netflix gekauft wurde. Millie Bobby Brown wird darin als Sherlock-Schwester genauso gut kämpfen wie denken!

    Netflix

    2019 am Set von „Enola Holmes“: Ich stehe unter einem Baldachin in der sengenden Augustsonne, um mich eine britische Traumlandschaft aus saftigem Grün. Jeden Moment könnte jetzt Hauptdarstellerin Millie Bobby Brown („Stranger Things“) ins Freie hinaustreten, aus dem düsteren Gebälk des gewaltigen englischen Herrenhauses, das sich vor mir und einer internationalen Gruppe anderer Journalisten auftürmt.

    „Und denkt dran, keine persönlichen Fragen!“, ermahnt uns die sonst so gütige Dame von der Pressebetreuung. Keine Sorge, persönliche Fragen interessieren uns nicht – wir sind wegen des umgewöhnlichen Holmes-Films hier!

    Die vom britischen Autor Arthur Conan Doyle erdachte Welt von Sherlock Holmes erfreut sich seit über 130 Jahren ungebrochener Beliebtheit in diversen Medien.

    Durch viele Serien, TV-Produktionen und Kinofilme wurde der Meisterdetektiv mit Jagdmütze und Pfeife 2012 als meistverkörperte Figur in Fernsehen und Kino ins Guinness-Buch der Rekorde aufgenommen. Jede neue Adaption der Romanreihe muss sich vor einer gewaltigen Zahl an Vorgängern beweisen, bestenfalls mit einer Menge frischer Ideen – so wie „Enola Holmes“ sie hat.

    Netflix

    Vergesst Sherlock

    Wie der Filmtitel schon andeutet, wird sich die Story von „Enola Holmes“ nicht um Doyles männliche Hauptfigur drehen. Zentrum der Handlung ist vielmehr dessen kleine Schwester Enola, deren Abenteuer im viktorianischen England von der amerikanischen Autorin Nancy Springer in bisher sechs Büchern beschrieben wurden. Regisseur Harry Bradbeer („Fleabag“, „Killing Eve“) hat nun den ersten Teil der Reihe verfilmt:

    Enola Holmes (Millie Bobby Brown) wächst darin unter der Obhut ihrer eigensinnigen Mutter Eudoria (Helena Bonham Carter) in einem Herrenhaus auf dem englischen Land auf.

    Als Eudoria jedoch plötzlich verschwindet, beginnt für Enola ein neuer Lebensabschnitt: Ihre beiden älteren Brüder Sherlock (Henry Cavill) und Mycroft (Sam Claflin) kehren besorgt aus dem fernen London zurück.

    Und während der bereits für seinen detektivischen Spürsinn gefeierte Sherlock sogleich eine innere Verbundenheit zu seiner Schwester hegt, ist Regierungsbeamter und Erstgeborener Mycroft eher schockiert über den desolaten Zustand seines Elternhauses – und beschließt als Enolas gesetzlicher Vormund, die Teenagerin in das Internat der resoluten Ms. Harrison (Fiona Shaw) zu verfrachten. Das passt dem eigenständigen und hochintelligenten Mädchen überhaupt nicht, daher büxt Enola kurzerhand nach London aus.

    Und während Sherlock und Mycroft ihre Spur aufnehmen, verwickelt sich Enola in die Aufklärung eines eigenen Kriminalfalls, in dessen Verlauf ihr bald einige düstere Widersacher nach dem Leben trachten.

    Überwucherte Landsitze und durchgeknallte Genies: Die Welt von "Enola Holmes"

    Wer „Downton Abbey“ oder Robert Altmans „Gosford Park“ kennt, kann sich die Szenerie unseres Setbesuchs vorstellen: Das etwa eine Autostunde von London entfernte West Horsley scheint zu gleichen Teilen aus perfekt geschnittenem Englischem Rasen und opulenten Anwesen zu bestehen, die mit ihren Zierfassaden, meterhohen Fenstern und massivem rötlichen Mauerwerk aus der sonnengefluteten Landschaft ragen wie Denkmäler der britisch-viktorianischen Weltreich-Elite.

    Das nun für den Dreh verwendete, „West Horsley Place“ genannte Anwesen ist dafür ein perfektes Beispiel. Wie uns Production Designer Michael Carlin allerdings gleich im ersten Interview erklärt, wird das pittoreske Herrenhaus gar nicht von außen zu sehen sein, sondern dient ausschließlich für Innendrehs.

    Carlin erklärt uns in etwa den Look, mit dem er versucht hat, das viktorianische England wieder zum Leben zu erwecken – und zwar nicht auf eine nüchterne, auf größtmöglichen Realismus ausgerichtete Art, sondern mit einer Spur von überzeichneter Exzentrik. Doch er beschreibt ungern, was er genauso gut zeigen könnte, und führt uns sogleich in das Gebäude – allerdings unter Vorbehalt: Im ersten Stock wird gedreht, wir dürfen uns einstweilen nur im Flüsterton durchs Erdgeschoss bewegen.

    BBC

    Und der Production Designer hat nicht zu viel versprochen: Die Sets, die wir sehen – eine kleine Bibliothek und Eudorias Schlafgemächer – sind allein schon durch die schiere Menge an Ausstattung beeindruckend.

    Ein Sammelsurium an Bücherstapeln, Öllampen, verschmierten Phiolen mit geheimnisvollen Flüssigkeiten, Notizen und Zeichnungen von Blumen an den Wänden und allerlei mysteriöse Instrumente werden eingefasst von schweren dunklen Vorhängen mit verzierten Kordeln, einem kunstvoll dekorierten Kamin und einem in seinen Ausmaßen wahrhaft königlichen Bett.

    Enolas Mutter, so hat es nach dem Gang durch das Zimmer den Anschein, ist eine Art durchgeknallte Universalgelehrte, die die Wunder ihrer Umgebung offenbar aufsaugt wie ein Schwamm. Eine Rolle, für die Helena Bonham Carter – bekannt durch ihre exzentrischen Figuren – sicher genau die richtige Wahl ist.

    Ergreifende Szenen mit Sherlock, Enola und Mycroft

    Im mit Flutlichtern beleuchteten Treppenhaus herrscht indes emsiges Treiben. Licht- und Produktionsassistenten flitzen die Treppen auf und ab, die Stimmung ist hektisch, aber alles wirkt sehr professionell. Nach einer Weile werden wir hinaufgebeten und quetschen uns unter den geduldigen Augen der Crew in ein dem aktuellen Set angrenzendes Nebenzimmer, in dem zwei große Monitore und einige Stühle für uns bereitstehen.

    Darauf ist zu sehen, was nebenan passiert: Millie Bobby Brown, Henry Cavill, Sam Claflin und Fiona Shaw stecken mitten in der Szene, in der Enola ihre Brüder verzweifelt umzustimmen versucht, weil sie nicht aufs Internat will.

    „Bitte tut mir das nicht an“, fleht eine im Morgenrock gekleidete Brown die Männer in steifer Westen-und-Schlips-Kombi an. Durch eine lange Fensterfront fällt das per Scheinwerfer simulierte Tageslicht auf einen Empfangsaal von feudalen Ausmaßen, in dem Cavill und Claflin in breiten Ledersesseln Platz genommen haben.

    Netflix

    Die Dynamik zwischen den Figuren kommt in dieser Szene gut zur Geltung: Während Mycroft mit seinen Internatsplänen das strenge Korsett der Gesellschaft über Enolas Kopf zu stülpen versucht, hat Sherlock einen inneren Konflikt mit sich auszutragen, da sich zwischen ihm und Enola eine Ebene von Zuneigung und Verständnis gebildet hat – doch letztlich sind ihm die Hände gebunden.

    Gesellschaftliche Zwänge sollen im Film eine besondere Rolle spielen, wie uns später auch die Hauptdarstellerin versichert – mit einer besonderen Stoßrichtung: „Ich will keinen Ehemann!“ entgegnet Enola auf Mycrofts Bemerkung, sie solle zu einer heiratsfähigen Frau erzogen werden. „Nun, das ist eine weitere Sache, die man dir austreiben muss“, antwortet ihr hartherziger Bruder.

    „Enola Holmes“ soll offenbar nicht nur ein drolliges Abenteuer mit Sherlocks kleiner Schwester werden, an dem vor allem jüngere Semester ihren Spaß haben – stattdessen soll es um einen emanzipatorischen Blick auf den Mythos des männlichen Meisterdetektivs gehen.

    Millie Bobby Brown als Jiu-Jitsu-Feministin

    Das wird insbesondere deutlich, als wir uns daraufhin mit Jo McLaren unterhalten, Stuntkoordinatorin des Films und eine der wenigen Frauen auf dieser Ebene der Stuntbranche. Sie erklärt uns, dass es eine Menge Kampfszenen im Film geben wird, in denen Enola mit Jiu-Jitsu ihre Gegner vermöbelt – und welche Wurzeln das sowohl in der Story des Films wie in der Geschichte Großbritanniens hat.

    Enola wurde von ihrer Mutter nämlich als selbstbestimmtes und feministisch denkendes Mädchen erzogen. Die Frauenbewegung hat zu dieser Zeit in Großbritannien vor allem ein großes Ziel: das Frauenwahlrecht einzuführen. Zu diesem Zweck gingen viele Frauen als sogenannte Suffragetten (von franz. Suffrage: Wahlrecht) auf die Straße und demonstrierten.

    Die Polizei, zu dieser Zeit nicht gerade zimperlich und von dem weiblichen Aufbegehren wenig begeistert, ging oft mit körperlicher Härte gegen die Demonstrantinnen vor. Eine Suffragette namens Edith Garrud begann daraufhin, die Frauenrechtlerinnen in Jiu-Jitsu auszubilden, das erst wenige Jahre zuvor überhaupt von Japan noch Europa gelangt war. Die Bilder ihrer Techniken lassen sich heute im Internet finden.

    Scanpix/Mary Evans

    Die Kampftechniken, die Eudoria Enola beibringt – und die McLaren für den Film entworfen hat - entsprechen also bis zu einem gewissen Grad realen Vorbildern. Die Stuntkoordinatorin erzählt uns auch zum ersten Mal vom Hauptbösewicht des Films – einem finsterem Söldner mit Spitznamen Bowler Hat (Burn Gorman), für dessen Prügeleien McLaren eine besondere Kampftechnik namens „Korkenzieher“ erfand, die Enola im Showdown des Films zur Anwendung bringt.

    Man bestätigte uns, dass es in „Enola Holmes“ mitunter recht blutig zur Sache gehen wird – uns erwartet also wohl keine Detektivgeschichte für Kinder!

    Nur Beiwerk: Henry Cavill, Sam Claflin und Fiona Shaw

    Das bestätigt sich auch im Gespräch mit Fiona Shaw, Henry Cavill und Sam Claflin, die uns äußerst gut gelaunt Rede und Antwort stehen – gerade die letzten beiden scheinen sich im Gespann mit Millie Bobby Brown gut zu verstehen (die uns gezeigte Szene musste einige Male für Lachanfälle unterbrochen werden).

    Shaw, Cavill und Claflin erklären uns, wie jeder ihrer drei Figuren in den rigiden Strukturen des viktorianischen Englands lebt: Mrs. Harrison etwa hat sich mit ihrer resoluten Art zwar als Internatsdirektorin eine Führungsposition erobert, lehnt die Bestrebung anderer Frauen nach Wahlrecht und Selbstbestimmungen aber strikt ab.

    Sherlock hingegen schmerzt es, den Freigeist Enola in ein Internat gesteckt zu wissen, doch er fügt sich den legalen Maßgaben seiner Zeit. Und auch Claflins Figur Mycroft ist kein kaltherziger Beamter, muss allerdings erst eine Menge an Standes- und Machtdenken beiseiteschieben, um Enolas Eigenständigkeit anerkennen zu können.

    Doch wie uns in vielen Gesprächen bestätigt wird, spielen in „Enola Holmes“ sowohl die Holmes-Brüder wie auch die Milieustudien der viktorianischen Gesellschaft nur eine untergeordnete Rolle – das Scheinwerferlicht gehört in erster Linie der Hauptfigur selbst. Laut Regisseur Harry Bradbeer sind hierfür einige Aspekte seiner preisgekrönten früheren Produktionen in den Film übernommen worden.

    So wird sich die Protagonistin ähnlich wie ihr Pendant in der Amazon-Serie „Fleabag“ direkt an den Zuschauer wenden, um Gedanken auszudrücken oder Entwicklungen zu kommentieren.

    Von „Killing Eve“ wiederum stammt Bradbeer zufolge die Verbindung aus mehreren Genres – dem Detektiv-Krimi, der Komödie und dem Coming-of-Age-Drama. Außerdem verrät Bradbeer auch, dass es im Film eine Liebesgeschichte geben wird, nämlich zwischen Enola und einem jungen britischen Adeligen namens Tewkesbury (Louis Partridge). Details möchte er aber noch nicht verraten.

    Amazon Prime Video / BBC

    Auf Millie Bobby Brown hoffen wir also, als wir gemeinsam mit Produzentin Ali Mendes schwitzend unter dem Baldachin hocken und warten. Mendes, Produzentin für Legendary Entertainment und nach eigenen Angaben gefühlt die einzige Amerikanerin am Set, ist voller Lob für die junge Schauspielerin. Und tatsächlich ist Browns Arbeitseinsatz für die Produktion beeindruckend:

    Neben der Hauptrolle, die unter anderem über einen Monat Jiu-Jitsu-Training und täglich viele Stunden Arbeit am Set erfordert, ist die junge Britin auch Produzentin des Films und überprüft nach Drehschluss die Aufnahmen.

    „Sie ist mit einer Leichtigkeit in die Rolle geschlüpft, die beinahe furchteinflößend ist“, betont Mendes anerkennend. In diesem Moment stapft Brown dann über den englischen Rasen auf uns zu und wirft ein quietschvergnügtes „Hello!“ in die Runde.

    "Es ist eine großartige Zeit, eine Frau zu sein!"

    Die Begeisterung, die alle unsere bisherigen Gesprächspartner für die junge Hauptdarstellerin vermittelt haben, ist plötzlich nachvollziehbar und greifbar. Brown scheint vor Energie förmlich zu platzen und spricht mit unendlichem Enthusiasmus und der Schnelligkeit eines Wasserfalls davon, welche Eigenschaften sie mit ihrer Figur teilt.

    Sie legt sich lachend auf „Wildheit, Wahnsinn und Irrationalität“ fest, und man glaubt ihr das sofort. Wie sie berichtet, hat das ganze Projekt offenbar damit angefangen, dass sie und ihre Schwester Paige – ebenfalls Produzentin des Films – in den Büchern Nancy Springers versunken sind. „Ich wusste schon am nächsten Tag, dass ich Enola spielen will“, erzählt Brown, „und wenn du es am nächsten Tag weißt, dann musst du es einfach machen.“

    Die Schwestern nahmen mit Legendary Entertainment Kontakt auf, die sofort Feuer und Flamme für die Idee waren und Autor Jack Thorne („His Dark Materials“) ein Drehbuch verfassen ließen.

    Millie Bobby Brown ist im Film die Vertreterin einer jungen Generation, die selbstbewusst nach neuen Vorbildern sucht. Und so soll es nach Browns Worten auch in „Enola Holmes“ darum gehen, gerade für junge weibliche Zuschauer neue Vorbilder zu kreieren. Sie scheint den Anspruch des Films wie auch sein zentrales Thema zusammenzufassen, wenn sie sagt: „Als ich jünger war, gab es nur Hermine und Hannah Montana – das hat sich geändert. Wir brauchen neue Leitfiguren wie Enola. Es ist eine großartige Zeit, ein Mädchen oder eine Frau zu sein.“

    „Enola Holmes“ erscheint am 23. September 2020 auf Netflix. Der Film entstand bei Warner (von denen wir ans Set eingeladen wurden) und sollte ins Kino kommen, dann jedoch bekam Netflix die Rechte.

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