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    Eine der besten Actionszenen des Kinojahres gibt es in "Ein nasser Hund": Wir sprechen mit dem Regisseur
    Björn Becher
    Björn Becher
    -Mitglied der Chefredaktion
    Seit mehr als 20 Jahren schreibt Björn Becher über Filme und Serien. Hier bei FILMSTARTS.de kümmert er sich um "Star Wars" - aber auch um alles, was gerade im Kino auf der großen Leinwand läuft.

    In „Ein nasser Hund“ erzählt Damir Lukačević von einem jüdischen Jugendlichen im Berliner Wedding, inspiriert von einer wahren Geschichte. Das Drama hat eine starke Actionszene, über die wir mit dem Regisseur sprechen – und bietet noch viel mehr.

    Warner Bros.

    In seiner 2010 erschienenen Autobiografie „Ein nasser Hund ist besser als ein trockener Jude“ erzählt Arye Sharuz Shalicars, wie er im Berliner Stadtteil Wedding aufgewachsen ist und keine Heimat fand: Für die Araber war er ein Jude, für die Deutschen „ein Kanake“ und für die Juden der Terrorist aus dem Wedding – so fasst nun auch in der Kinoadaption „Ein nasser Hund“ die von Doguhan Kabadayi gespielte Hauptfigur Soheil ihre missliche Lage zusammen.

    Soheil zieht zu Beginn des Films aus dem beschaulichen Göttingen nach Berlin, findet dort Anschluss an die Jugendgang von Husseyn (Mohammad Eliraqui) und verliebt sich in seine Mitschülerin Selma (Derya Dilber). Doch dann erfahren alle, dass er kein Moslem, sondern ein Jude ist.

    Uns hat die Adaption begeistert. In unserer FILMSTARTS-Kritik loben wir „Ein nasser Hund“ als „intensiv wie authentisch erzähltes, zudem aber vor allem auch absolut mitreißend inszeniertes Coming-of-Age-Drama“. Dabei sticht sogar eine imposante Actionszene raus, bei der sich die Gang aus dem Wedding mit ihren Kreuzberger Rivalen prügelt.

    Ein nasser Hund

    Eigentlich wäre schon die Neugier, wie diese Szene gedreht wurde, Grund genug für ein Interview mit Regisseur Damir Lukačević. Doch es gibt noch viel mehr zu bereden, denn „Ein nasser Hund“ ist auch auf außergewöhnliche Weise entstanden. So verrät uns Damir Lukačević unter anderem, wie er seine größtenteils unbekannten Jungschauspieler*innen entdeckte, sie sich die Geschichte gemeinsam erarbeiteten und wie man es hinbekommt, dass die Dialoge so authentisch klingen und eben nicht so peinlich oder unfreiwillig komisch, wie das oft der Fall ist, wenn Jugendsprache geschrieben wird.

    Wir wünschen euch viel Spaß mit einem unserer Meinung nach sehr interessanten Interview. „Ein nasser Hund“ könnt ihr ab dem 9. September 2021 im Kino sehen.

    Ein Filmprojekt mit Vorlaufzeit

    FILMSTARTS: Sie hatten die Buchvorlage von „Ein nasser Hund“ schon länger auf dem Schirm. Wie sind Sie denn darauf gestoßen und was gab schließlich den Anlass, eine Verfilmung in Angriff zu nehmen?

    Damir Lukačević: Ich habe 2011 einen Zeitungsartikel über die Geschichte von Arye Sharuz Shalicar gelesen, als ich gerade ein Theaterstück mit Jugendlichen im Wedding, darunter auch viele arabischer Abstammung und Flüchtlinge, machte. Mich hat der Artikel über Aryes Geschichte beeindruckt und daher habe ich mir direkt sein Buch geholt.

    Als Arye dann bei der Jüdischen Gemeinde in der Fasanenstraße in Berlin eine Lesung machte, bin ich einfach hin, habe mich vorgestellt und ihm gesagt: Da kann man einen super Film draus machen. Er war erst einmal ein wenig skeptisch, die Rechte waren auch nicht sofort frei und so hat das alles ein wenig gedauert. Doch wir waren ab da über einen längeren Zeitraum im Austausch...

    FILMSTARTS: Sie konzentrieren sich in „Ein nasser Hund“ auf einen bestimmten Ausschnitt aus der Geschichte von Arye Sharuz Shalicar und haben diesen auch für die Verfilmung angepasst. Was war der Gedanke dahinter?

    Damir Lukačević: Die Buchvorlage beschäftigt sich ja nur zu einem kleinen Teil mit dem Wedding und es ist keine fertige Geschichte, die man so direkt verfilmen kann. Für mich war das eher eine Inspiration und ich musste die zu erzählende Geschichte erst mal suchen. Und ich habe auch schnell gesagt: Ich finde das zwar super, aber ich werde selbst auch ein paar Dinge erfinden oder Charaktere zusammenfassen. Und das ist auch ein Prozess, der ein wenig dauert.

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    FILMSTARTS: Und dazu haben Sie die Geschichte in die Gegenwart verlegt. War das von Anfang an so geplant?

    Damir Lukačević: Gar nicht. Ich habe sogar relativ lange überlegt, „Ein nasser Hund“ in den 90er Jahren spielen zu lassen – sogar mit einem Voice-Over von Arye. Doch letztes Jahr gab es mehrere Fälle von jüdischen Jugendlichen, die in Deutschland, speziell auch in Berlin so gemobbt wurden, dass sie zum Teil die Schule gewechselt haben, zum Beispiel ans Jüdische Gymnasium hier in Berlin, oder sogar nach Israel gingen. Einen dieser Schüler haben Hauptdarsteller Doguhan Kabadayi und ich dann sogar in der Vorbereitung getroffen.

    Durch diese Ereignisse habe ich bemerkt, dass der Stoff irgendwie heute noch wesentlich aktueller ist als in den 90er Jahren.

    Und natürlich hat die Verlegung in die Gegenwart auch aus produktionstechnischer Sicht einen angenehmen Nebeneffekt. Wenn sie in den 90ern drehen, haben sie gleich mal eine Million Euro mehr, die sie ausgeben müssen.

    Cast-Suche per Workshop

    FILMSTARTS: Da Sie Hauptdarsteller Doguhan Kabadayi schon ansprechen. Sie haben ihn und die anderen bisher eher unbekannten Schauspieler*innen in den Hauptrollen direkt im Wedding entdeckt und gecastet. Wie ging das vor sich?

    Damir Lukačević: Ich hatte ja eingangs schon erwähnt, dass ich 2011 ein Theaterstück im Wedding gemacht habe. Dabei sah ich, welche Energie diese Jugendlichen haben. 2016 habe ich mit der Geschichte von Arye Sharuz Shalicar noch einmal im Kurs „Darstellende Kunst“ ein Theaterstück an seiner ehemaligen Schule gemacht. Dabei sah ich erneut einige tolle Jugendliche mit türkischem oder arabischem Hintergrund. Danach war für mich klar, dass ich mit jungen Menschen arbeiten will, die zwar schon ein wenig Erfahrung, aber eben nicht so viel haben.

    Wir haben dann einen Casting-Aufruf gemacht, aber vor allem über den Zeitraum von zwei bis drei Monaten einen Workshop. Meine Kollegin Bettine Beer und ich haben dabei mit den Jugendlichen die ganze Geschichte noch einmal gespielt. Dafür haben wir ihnen kein Drehbuch vorgegeben, sondern ihnen erzählt, worum es geht und sie die einzelnen Szenen dann improvisieren lassen. Und so konnten sich die Jugendlichen die Geschichte quasi selbst erarbeiten, dabei schauspielerisch wachsen und ich konnte sehen, wer zu welcher Rolle passt.

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    FILMSTARTS: Sind daraus auch die Dialoge entstanden? Denn in „Ein nasser Hund“ wird viel Jugendsprache geredet und wenn Menschen, die nicht mehr zu dieser Generation zählen, versuchen das zu schreiben, klingt das meist peinlich oder unfreiwillig komisch. Bei Ihrem Film ist das aber überhaupt nicht der Fall, sondern ich habe den Figuren immer abgenommen, dass es ihre Sprache ist, dass sie so sprechen...

    Damir Lukačević: Ja, das ist gut, dass Sie das ansprechen, denn es war für mich immer die Voraussetzung, dass ich diese Dialoge nicht selbst erfinde. Das kann ich nicht und würde ich auch nicht machen. Ich habe deswegen schon bei dem angesprochenen Theaterstück die Kamera immer mitlaufen lassen, alles aufgenommen und mir dann die Dialoge angehört und raussortiert, was gut ist. Dazu war ich auch noch viel in der Berliner U-Bahn unterwegs, habe ein wenig zugehört und mir immer wieder was aufgeschrieben, wenn ich dachte: Das ist ein guter Satz!

    Und was beim Theaterstück angefangen hat, hat sich dann bei den Proben mit den Schauspielerinnen und Schauspielern, die dann die Rollen übernommen haben, fortgesetzt. Auch da waren die Szenen erst mal nur grob vorgegeben, der Handlungsabriss, die Ziele der Figuren. Und dann sollten sie improvisieren.

    Wir haben es bei dem angesprochenen Workshop außerdem auch so gemacht, dass jeder einmal die Rolle des jüdischen Jugendlichen gespielt hat. Und auch sonst haben wir „viel“ durchgewechselt, auch mal die Mädels die Jungs-Rollen spielen lassen. Unter den Dialogen, die dabei entstanden sind, waren einfach extrem viele Perlen. Die habe ich dann genommen und immer weiter ins Drehbuch eingearbeitet.

    Vor der Kamera war dann aber nichts mehr improvisiert. Die Improvisation war komplett im Vorfeld.

    So entstand die außergewöhnliche Actionszene

    FILMSTARTS: Bei einer Szene wäre es mit Improvisation wahrscheinlich auch schwer gewesen. Ich spreche von der wirklich herausragenden Action-Sequenz beim „Überfall“ der Weddinger Gang auf die Kreuzberger. Diese Szene ist unglaublich intensiv. Die Kamera ist sehr dynamisch, immer nah dran, und beim zweiten Schauen habe ich noch mal besonders darauf geachtet, wie exzellent das alles choreografiert ist, sich dann aber gleichzeitig trotzdem natürlich und authentisch anfühlt und auch mitreißend ist. Wie lange und ausführlich habt ihr das geprobt und wie dann gefilmt? Denn ihr konntet euch ja wahrscheinlich nicht den ganzen Tag am Kottbusser Tor prügeln, bis alles perfekt sitzt?

    Damir Lukačević: Das hätte wohl nicht funktioniert. Ich konnte mich zum Glück auf zwei sehr starke Kampf-Choreografen, Joshua Grothe und Oliver Juhrs, verlassen. Bereits als wir uns das erste Mal getroffen haben, war klar, dass diese Szene authentisch wirken muss, aber auch unangenehm brutal sein soll, gleichzeitig aber nicht gewaltverherrlichend. Damit die Energie der Szene die ganze Zeit aufrechterhalten wird, war ein Aspekt zudem, dass wir gesagt haben: Wir drehen das in einer Einstellung!

    Die Szene selbst dauert nur rund vier Minuten und das Kottbusser Tor in Kreuzberg war für uns abgesperrt. Wir hatten mehrere hundert Meter zur Verfügung, in denen wir uns bewegen konnten, und haben darin sechs oder sieben Stationen festgelegt. Was dort geschieht, haben die beiden Kampfchoreografen dann über mehrere Wochenenden mit den Jungs geprobt. Dabei ging es auch darum: Wie schlägt man zu? Wie empfängt man aber auch einen Schlag?

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    FILMSTARTS: Die Kameraarbeit ist ja nicht nur in diese Szene sehr eindrucksvoll. Sie wechseln viel zwischen Handkamera, aber auch statischen und sehr opulenten Einstellungen. Was war Ihre Überlegung dahinter?

    Damir Lukačević: Ich versuche grundsätzlich eine dokumentarische Kamera, die nah an den Figuren ist, und eine filmische Überhöhung zu kombinieren. Ich will nicht nur zeigen, was man oberflächlich erzählt bekommt, sondern auch was eigentlich das Thema, was der Sub-Text jeder Szene ist.

    Gemeinsam mit meinem Kameramann Sten Mende habe ich lange überlegt, wie können wir welchen Aspekt der Geschichte schildern. Wir sind dabei unter anderem schnell drauf gekommen, dass wir in Cinemascope erzählen wollen, um einfach direkt dieses Kino-Bewusstsein zu schaffen. Sehr wichtig war uns auch, die Drehorte im Wedding ins Bild zu setzen. Zudem setzen wir sehr kontrastreiches Licht ein, weil die Geschichte auch sehr von Kontrasten lebt.

    Eine Liebeserklärung an den Wedding?

    FILMSTARTS: Der Wedding ist in Ihrem Film ein weiterer Hauptdarsteller. „Ein nasser Hund“ wirkt für mich fast wie eine Liebeserklärung an den Stadtteil, der ja im Gegensatz zu anderen Ecken hier in Berlin nicht schon in zahlreichen Filmen und Serien ausführlich bebildert wurde. Haben Sie den Wedding nur als Schauplatz gewählt, weil er durch die Romanhandlung vorgegeben war, oder wollten Sie ihn ganz bewusst so stark in den Mittelpunkt rücken?

    Damir Lukačević: Sten und ich hatten anfangs sogar gesagt: Wir werden uns nicht sklavisch an den Wedding halten. Wir waren bei der Location-Suche auch in Schöneberg und anderen Stadtteilen unterwegs und haben überlegt, wo können wir was drehen.

    Aber der Wedding war dann tatsächlich einfach der spannendste Schauplatz. Bei unseren Drehorten sind zum Beispiel auch viele filmische Metaphern dabei – und der Wedding ist da sehr ergiebig. So gibt es dort zum Beispiel die vielen Brücken oder auch die Gleise, die sich durch den Wedding ziehen, und das berühmte Bild der Boateng-Brüder. Das hat direkt etwas Authentisches, macht die Geschichte glaubwürdiger. Da haben wir dann gesagt: Bevor wir und jetzt irgendwo in Schöneberg was suchen, warum nutzen wir nicht die tollen Orte, die wir im Wedding bereits haben.

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    FILMSTARTS: Zum Abschluss habe ich noch eine Frage zum Inhalt. Neben der Liebesgeschichte zwischen Soheil und Selma, gibt es die Männerfreundschaft zwischen Soheil und Husseyn. Sie erzählen gerade diese immer wieder mit Bildern, die sie besonders romantisch wirken lassen. Ich denke da zum Beispiel an die Szene, in der beide auf einem Roller durch den Wedding cruisen. Auch sonst kehren gerade die Männer ihre Emotionen immer wieder sehr offen raus. Was war der Gedanke dahinter, diese sich nach außen immer wieder sehr männlich gebenden Typen so darzustellen?

    Damir Lukačević: Das war tatsächlich etwas, was ich auch selbst gesehen habe – sowohl als Arye mich seinen Freunden vorgestellt hat als auch vor allem bei dem Workshop. Da herrschte eine unglaublich warmherzige Atmosphäre. Auch die Jungs haben sich immer geküsst, umarmt und waren alle eine Familie. Das hat mich in dem Ausmaß dann schon ein bisschen überrascht und ich dachte direkt: Das muss auf jeden Fall auch drin sein!

    „Ein nasser Hund“ läuft ab dem 9. September 2021 in den deutschen Kinos.

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