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    Ein Geheimnis
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Ein Geheimnis
    Von Christian Schön

    „Der eigentliche Wert der Erinnerung besteht in dieser Einsicht, dass nichts vorüber ist.“ - Elias Canetti

    Canetti bringt in dieser Sentenz unter anderem zum Ausdruck, dass unsere Gegenwart von der Vergangenheit, die in der Erinnerung repräsentiert wird, bestimmt wird. Der Wert der Erinnerung ist demnach, dass diese ihrem Wesen nach in die Gegenwart hineinragt, aber vor allem in sie hineinwirkt. Doch was passiert, wenn uns unsere Erinnerungen einen Streich spielen? Manche verdrängt unser Bewusstsein einfach, manche Ereignisse verändert das Gedächtnis zu unseren Gunsten oder verwendet sie gegen uns. Andere Dinge fallen schlicht dem Vergessen anheim, werden uns falsch oder erst gar nicht erzählt. Mit diesen dunklen Flecken setzt sich das französische Drama „Ein Geheimnis“ auseinander, das nicht nur in einer Familiengeschichte auf Spurensuche geht, sondern zugleich einen Teil deutsch-französischer Geschichte beleuchtet. Claude Millers exzellent besetzter Film wartet vor allem mit einer ungewöhnlichen und streitbaren Art auf, die Vergangenheit zum Leben zu erwecken.

    Rund zehn Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg: Der siebenjährige Francois (Valentin Vigourt) hat eine perfekte Familie. Die Vergangenheit seiner Eltern malt er sich in den schönsten Farben aus. Zudem imaginiert Francois sich einen großen Bruder, denn seine eigene Realität zu akzeptieren, wie sie ist, fällt ihm schwer. Er, der Schwächliche, der Durchschnittstyp, der seinen perfekten Eltern, die zudem enorm sportlich sind, nie gerecht werden kann. In seiner jüdischen Nachbarin Louise (Julie Depardieu) findet er eine Verbündete. Auch sie könnte den Ansprüchen von Francois’ Eltern nicht entsprechen, ist sie doch den Lastern Alkohol und Nikotin verfallen. Francois spürt jedoch mit den Jahren immer mehr, dass seine Eltern nicht ganz offen sind. Auf dem Dachboden findet er einen Plüschhund, der für seinen Vater Maxime (Patrik Bruel) eine überaus schmerzliche Bedeutung zu haben scheint. Da auch seine Mutter Tania (Cécile De France) nur ausweichend auf seine Fragen reagiert, verbleibt allein die Vertraute Louise als sichere Informationsquelle. Als Francois 15 Jahre alt wird und Louise ihn für reif genug hält, die Wahrheit über seine Eltern zu erfahren, beginnt sie, ihm seine „wahre“ Geschichte zu erzählen…

    „Ein Geheimnis“ erzählt die Geschichte rund um die Figur des Francois Grimbert, der im Film in drei Altersstufen auftaucht – als Sieben- und Vierzehnjährigem, bzw. im Erwachsenenalter. Die Erzählung beginnt quasi im „Jetzt“, da Francois’ Eltern schon im Ruhestand sind und die Wogen der Vergangenheit geglättet scheinen. Die Sequenzen aus dieser Zeit blitzen aber immer nur am Rande auf und machen den geringsten Teil des Films aus. Zudem sind diese Szenen ungewöhnlicherweise in Schwarz-Weiß gehalten; ein Stilmittel, in dem üblicherweise das Vergangene codiert ist und nicht etwa die Gegenwart, wie in diesem Fall. Im Gegenzug werden alle anderen Zeitebenen in ihrer farblichen Gestaltung nicht mehr unterschieden. Neben den Szenen aus Francois’ Kindheit gibt es noch die Rückblenden, die noch weiter in die Vergangenheit zurückführen.

    Diese Reise in die Familienvergangenheit unternimmt der Zuschauer zwar aus der Perspektive von Nachbarin Louise, erfährt jedoch auch Dinge, die außerhalb ihres Wissens liegen müssen. Was zunächst als kleiner und durchaus verschmerzbarer Logikfehler anmutet, wächst sich zu einem unreflektierten, strukturellen Problem aus, wenn man die gesamte Thematik des Films unter die Lupe nimmt. „Ein Geheimnis“ tritt nämlich als ein Projekt der Aufklärung an. Das Familiengeheimnis, das auf Francois als einzigem Nicht-Wissenden lastet, soll ja gelüftet, im wahrsten Sinne auf-geklärt werden. Louise, die nun ebenfalls nicht über alle Informationen wahrhaftig Bescheid wissen kann, hätte ebenso die Möglichkeit zur Lüge und Verfälschung, während sie Francois von der Vergangenheit erzählt. Obgleich es gerade nicht darum geht, Louises Erzählungen als „wahr“ oder „falsch“ zu entlarven – damit wäre im Grunde nichts gewonnen – ist es dennoch auffällig, dass in der ansonsten so hochkomplexen und andeutungsreichen Geschichte dafür kein Platz war.

    Möglicherweise ist diese Auffälligkeit jedoch Symptom und Opfer des gleichen Umstands. „Ein Geheimnis“ entstand nach dem gleichnamigen Roman von Philippe Grimbert, der bereits zwei Jahre nach seiner Veröffentlichung in Frankreich in Deutschland erschien. Diese kurze Zeitspanne spricht für den relativ großen Erfolg von Grimberts drittem Roman. Die extrem verdichtete Familiensaga lotet über den Umweg der Chronik die Verhaltensweise der französischen Juden während der Zeit des Nationalsozialismus aus. Der von der Psychoanalyse her kommende Autor Grimbert umging viele der genannten Ungereimtheiten, da er konsequent aus der Ich-Perspektive von Francois berichtet. Bei der Transformation des Buches zum Film musste zum einen die Erzählperspektive aufgegeben werden, während zeitgleich die vielen Verknüpfungen und verschachtelten Erzählstränge erhalten werden mussten.

    Sieht man von solchen strukturellen Spitzfindigkeiten und deren dramaturgischen Folgen ab, bleiben vor allem die Schauspieler von „Ein Geheimnis“ lobend hervorzuheben. Die bereits mit dem César als „Beste Nebendarstellerin“ für diesen Film ausgezeichnete Julie Depardieu (Mathilde - Eine große Liebe) steht für die starke Riege der Darstellerinnen, unter denen noch Cécile De France (L’Auberge Espagnole, High Tension, Chanson D‘Amour) mit ihrer ganz besonderen Präsenz hervorsticht. Wer sich weiterhin nicht an der unkonventionellen Verwendung der Schwarz-Weiß-Szenen stört, wird auch an der optischen Umsetzung, die in ihren stärksten Momenten an Little Children zu erinnern vermag, Gefallen finden. So versperren lediglich die Kanten der Geschichte den Zugang zu der sonst recht glatten Bilderwelt.

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