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    Pusher
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Pusher
    Von Lars-Christian Daniels

    Mit dem stylishen Neo-Noir-Thriller „Drive" inszenierte der dänische Regisseur Nicolas Windig Refn 2011 einen der coolsten Thriller der letzten Jahre. Spätestens seit der Kritikerliebling für sein atmosphärisch dichtes Meisterwerk bei den Filmfestspielen in Cannes den Preis für die Beste Regie erhielt, ist Refn auch international etabliert. Doch schon sein 15 Jahre vorher entstandenes Regiedebüt „Pusher" verdeutlicht sein Talent. Der adrenalinhaltige Low-Budget-Drogenthriller bildete nicht nur den grandiosen Auftakt zur gleichnamigen Erfolgstrilogie, sondern ist zugleich einer der bemerkenswertesten skandinavischen Thriller überhaupt. „Pusher" – gerade erst von Luis Prieto auf Hochglanz poliert und sehenswert neu verfilmt – ist im Laufe der Jahre zum Kultfilm avanciert und machte Refn in seiner dänischen Heimat zum gefeierten Jungstar.

    Die Profidealer Frank (Kim Bodnia) und Tony (Mads Mikkelsen) machen in der rauen Kopenhagener Drogenszene reichlich Zaster: Während der abgebrühte Frank die Geschäfte einfädelt und zahlungskräftige Auftraggeber an Land zieht, kümmert sich der ausgeflippte Glatzkopf Tony um die Drecksarbeit. Nach einem geplatzten Deal gerät Frank jedoch in arge Schwierigkeiten: Auf der Flucht vor der Polizei stürzt er sich kurzerhand in einen See und versenkt ein Heroinpaket im Wert von 200.000 Kronen im Wasser. Sein skrupelloser Boss Milo (Zlatko Buric), der ihm den Stoff auf Pump vorgestreckt hat, ist darüber alles andere als erfreut: Er setzt Frank trotz langjähriger Freundschaft eine Galgenfrist von 48 Stunden, um das verloren gegangene Heroin zu ersetzen oder den finanziellen Schaden – plus Zinsen, versteht sich – auszugleichen. Zur Sicherheit hetzt er ihm seinen Schläger Radovan (Slavko Labovic) auf den Hals. Bei der nun folgenden Odyssee ist Frank ganz auf sich allein gestellt: Tony schlägt er vor lauter Wut krankenhausreif, und seine Freundin Vic (Laura Drasbæk) erkennt den Ernst der Lage nicht...

    Nicolas Windig Refn gelang mit „Pusher" das Kunststück trotz eines verschwindend geringen Produktionsbudgets von 780.000 Euro einen packenden und zugleich zeitlosen Drogenthriller zu inszenieren, der den Zuschauer sofort in seinen Bann zieht und bis zum kompromisslosen Finale nicht mehr loslässt. Der damals 26-jährige Nachwuchsregisseur drehte seinen Erstling in atemberaubendem Tempo und mit einer einfachen Handkamera, blickt Frank und Tony bei ihren Streifzügen durch die Problemviertel Kopenhagens mit wackeligen Einstellungen über die Schulter und verleiht „Pusher" damit einen ungemein authentischen Charakter. Die Unterwelt der dänischen Metropole fängt er in tristen, grauen Bildern ein, in die nur dann ein Farbklecks kommt, wenn sich ein verzweifelter Junkie vor den Augen von Frank und Radovan mit einer Flinte das Hirn wegpustet. Und doch darf vor allem im ersten Filmdrittel auch gelacht werden: Die köstlichen Oralsexdiskussionen in Franks Auto wecken unweigerlich Erinnerungen an den legendären Dialog in „Pulp Fiction", bei dem Samuel L. Jackson und John Travolta auf dem Weg zu einem Massaker im Auto über europäische Burger philosophieren.

    Nicht nur der dänische Hauptdarsteller Kim Bodnia („In China essen sie Hunde"), der kurz zuvor mit „Nightwatch - Nachtwache" seinen Durchbruch feierte und drei Jahre später die Hauptrolle in Refns Drama „Bleeder" übernahm, glänzt in „Pusher" als harter, trotz der ausweglosen Lage nie in Panik verfallender Krimineller. Auch der spätere Bond-Bösewicht Mads Mikkelsen („Casino Royale"), der zuletzt unter anderem in Refns umstrittenem Schlachtfest „Valhalla Rising" zu sehen war, ist ideal besetzt und feierte dank seiner großartigen Performance als glatzköpfiger, auffällig tätowierter Exzentriker seinen großen Durchbruch. Heimlicher Star des Films ist jedoch der gebürtige Kroate Zlatko Buric („2012"), der für seine Rolle als serbischer Drogenmogul später mit dem renommierten dänischen Filmpreis Bodil ausgezeichnet wurde: Sein schmieriger, knallharter Unterweltkönig Milo legt zwar vordergründig großen Wert auf Etikette, geht aber zugleich über Leichen und würde Tony und Frank trotz der jahrelangen Verbundenheit ohne mit der Wimper zu zucken ins Jenseits befördern. Nicht von ungefähr ist Buric im Gegensatz zu Bodnia und Mikkelsen in allen drei Teilen der „Pusher"-Trilogie und auch im Remake von Luis Pietro mit von der Partie.

    Milos gnadenlose Jagd auf Frank dominiert die zweite Hälfte des Films und entwickelt dabei eine ungemein fesselnde Dynamik. Frank, dem immer weniger Zeit bleibt, rinnt eine finanzielle Option nach der nächsten durch die Finger: Bei seinen heroinsüchtigen Schuldnern, ist nichts zu holen, die Ersparnisse seine Mutter reichen bei weitem nicht aus, und auch mit dem guten alten Backpulvertrick ist dem argwöhnischen Radovan nicht beizukommen. Für zusätzliche Brisanz sorgt die kriselnde Beziehung zu seiner als Prostituierte arbeitenden Freundin Vic, die auf der Zielgeraden eine Schlüsselrolle einnimmt: Refn lässt das Ende seines Erstlings bewusst offen und schafft so beste Voraussetzungen für die beiden Sequels, in denen Frank nicht mehr zu sehen sein wird. Macht nichts: Mit Tony und Milo stehen für „Pusher II" und „Pusher III" bereits zwei würdige Protagonisten in den Startlöchern.

    Fazit: Nicolas Winding Refn feiert mit seinem zeitlosen Drogenthriller „Pusher" ein begeisterndes Leinwanddebüt, das bis heute nichts von seiner unverwechselbaren, beklemmend realistischen Atmosphäre eingebüßt hat. Die triste Kopenhagener Unterweltkulisse harmoniert dabei prächtig mit seinem authentisch-rauen Erzählton und der zurückhaltenden Kameraführung.

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