Objektivität vs. Subjektivität. Ein Kampf, den ich vor jeder Rezension ausfechte. Deshalb erst die Fakten.
Längst hat sich Regisseur Christopher Nolan den Status erarbeitet, seine Filme komplett nach seinen Vorstellungen zu drehen. So ist der Brite gleichzeitig Regisseur, Drehbuchautor und Produzent seines neuesten Werkes Interstellar. Ob sich diese Allmacht auch auszahlt?
Die Welt rafft dahin. Die Menschheit ist durch Kriege und Nahrungsmittelknappheit drastisch dezimiert worden und immer wiederkehrende Sandstürme setzen den verbliebenen Menschen - hauptsächlich Farmer - zu. Infolge dessen wurde das Militär abgeschafft und die NASA existiert nicht mehr, um die staatlichen Mittel alleine auf die Nahrungsmittelindustrie konzentrieren zu können. Doch zu allem Überfluss scheint mit dem Mais die letzte Nahrungspflanze den Widrigkeiten nicht mehr länger standzuhalten. Die Vorzeichen stehen also schlecht. In all der Tristesse müht sich der verwitwete NASA-Veteran Cooper (McConaughey) zusammen mit seinem Schwiegervater und seinen beiden Kindern Tom und Murphy auf ihrer Farm ab, um zu überleben und seinen Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Murphy glaubt von einem Geist heimgesucht zu sein, da in ihrem Kinderzimmer Unnatürliches vorzugehen scheint. Eines Tages, nach einem Sandsturm, deutet Cooper den "Geist" in Murphys Kinderzimmer als Anomalie in der Gravitation, welche mittels binärem Code die Koordinaten eines geheimen Ortes liefert. Mit Murphy macht er sich auf den Weg den Ort zu suchen. Dort angekommen, stellen sie fest, dass die NASA die ganze Zeit im geheimen weiter operiert hat und dass der Leiter des aktuellen Projekts "Lazarus" Coopers ehemaliger Boss Professor Brand (Cain) ist. Cooper soll sich zusammen mit Brands Tochter Amelia (Hathaway), zwei weiteren Crewmitgliedern und einer KI - genannt TARS - auf eine Erkundungsmission begeben, um dem Ursprung der Anomalie in der Gravitation nachgehen, der in einem vor 43 Jahren entstanden Wurmloch in der Nähe des Saturn vermutet wird. Die interstellare Reise durch Raum und Zeit beginnt...
Die Welt, in der Interstellar spielt, ist eine nahe, jedoch rückständige Zukunft. Das gezeichnete Amerika wirkt wie in den fünfziger Jahren, die Einwohner sind hauptsächlich Farmer und Verwalter, das Militär wurde abgeschafft. In gräulichen Bildern wird die Geschichte auf der Erde inszeniert, nur wenn es mal einen See oder ein Feld zu sehen gibt, kommt Farbe ins Spiel. Das Weltall wirkt über die irdischen Probleme erhaben, beeindruckend, als das Raumschiff die Saturnkreise passiert. Optisch ist Interstellar eine Wucht.
Hans Zimmers nunmehr fünfte Zusammenarbeit mit Nolan begann ganz untypisch. Der Komponist schuf den Soundtrack ganz ohne Skript. Nolan verfasste ein sehr persönliches Schreiben für Zimmer, welches nichts mit dem Film zu tun hatte. Doch Zimmer war vom Schreiben derartig berührt, dass er in kürzester Zeit seinen erneut tragenden und prägenden Soundtrack einspielte.
Der Sound in Interstellar stellt ein zweischneidiges Schwert dar. Stellenweise gehen die Dialoge im Getöse unter und man muss sich stark konzentrieren, um den Inhalt mitzubekommen. Nolan zufolge sei dies genau so beabsichtigt, um dem Zuschauer mehr Intimität zu vermitteln, schließlich hören die Protagonist einander auch nur kaum, wenn ringsherum alles laut ist. Das kann man sehen wie man will. Es gab intime Kamerafahrten, nun gibt es intime Akustik. Ob das der Kunst dienlich ist oder die Perzeption nur unnötig erschwerten, ist subjektiv. Mich hat es nicht allzu sehr gestört.
Es scheint, als möchte jeder mit Nolan zusammenarbeiten. Gleich fünf Oscar-Preisträger konnte er als Schauspieler für Interstellar gewinnen. Neben McConaughey
, Hathaway und Cain spielt auch Jessica Chastain ihre Rolle der erwachsenen Murphy sehr überzeugend. Der fünfte große Name sei hier nicht erwähnt, um Spoils zu vermeiden.
Die Dialoge der Protagonisten können , sofern sie nicht von Physik handeln, sehr pathetisch wirken und sind stark humanistisch geprägt. Die Liebe als verbindende Kraft jenseits Raum und Zeit wage ich nicht zu bezweifeln, doch wirken die Emotionsausbrüche leicht überzogen, jedoch nicht gekünstelt. Die Charaktere sind schließlich vollkommen isoliert, während die Welt zu Grunde geht und sie kaum noch Hoffnung habebn, ihre Liebsten je wieder zu sehen.
Kommen wir nun zum eigentlichen Kern des Films: die Wissenschaft. Mit allergrößter Sicherheit hat nur ein Bruchteil der Zuschauer einen Doktor in Quantenphysik. Einsteins Relativitätstheorie ist wahrscheinlich jedem ein Begriff, doch in ihrem vollen Umfang wird sie nur den Wenigsten geläufig sein. Nolan jedoch scheint ein hohes Knowhow komplexer physikalischer Zusammenhänge vorauszusetzen. Einiges kann man logisch ableiten, aber anderes erscheint im ersten Moment unverständlich. So musste ich, nachdem ich den Film gesehen hatte, bspw. recherchieren, was es mit der Zeitdilatation auf sich hat. Und nun kommt es wieder zum Kampf von Objektivität vs. Subjektivität, denn selbst wenn die Zeitrechnung auf dem einen Planeten eine völlig andere ist, als auf der Erde - im konkreten Fall entspricht eine Stunde sieben Jahren auf der Erde - so ist doch unsere subjektive Wahrnehmung der Zeit in etwa gleich und wir würden eine Stunde nicht als solche wahrnehmen, sondern als sieben Jahre. Aber das ist nur Theorie.
Resümierend ist Nolan ein opulentes Werk gelungen, das sich mit Cuarons Gravity messen kann und dank zahlreicher Querverweise auf Klassiker wie Kubricks Odyssee 2001 bereits Bestehendes um ein weiteres Kapitel stilistisch bereichert. Der überschneidende Sound und Nolans anspruchsvolle Erwartungshaltung hinsichtlich physikalischer Kenntnisse an sein Publikum schmälern den Eindruck nur marginal. Es ist m.E. nicht Nolans bester Film, aber immer noch absolut sehenswert.