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    Durch diese Nacht sehe ich keinen einzigen Stern
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Durch diese Nacht sehe ich keinen einzigen Stern
    Von Alina Bacher

    Lebensläufe von Künstlern und Autoren sind oft von einem schweren Schicksal gezeichnet. Egal ob Kafka, der nach einem langen qualvollen Leidensweg seiner Tuberkulose erlag, oder Kurt Tucholsky, der zu Zeiten der NS-Diktatur aus Deutschland ausgebürgert wurde und in Schweden an den Folgen einer Überdosis Schlafmittel starb, viele große Schriftsteller können auf einen schicksalsreichen Lebenslauf zurückblicken. Genau das trifft auch auf die tschechische Autorin Bozena Nemcova zu, deren Leben Regisseurin Dagmar Knöpfel in dem Drama „Durch diese Nacht sehe ich keinen einzigen Stern“ beleuchtet.

    Bozena Nemcova, die berühmteste tschechische Dichterin ihrer Zeit, deren Werk „Die Großmutter“ ihr zu weltweitem Ruhm verhalf, führte ein Leben voller Schicksalsschläge. Die am 4. Februar 1820 in Prag geborene Schriftstellerin wächst in einfachen Verhältnissen auf. Als sie im Alter von 21 Jahren den Finanzbeamten Josef Nemec heiratet, konnte sie noch nicht ahnen, dass ihre Ehe zum scheitern verurteilt war. Trotz der ehelichen Probleme bleibt Nemcova ihren vier Kindern zu liebe bei ihrem Mann. Erst spät beginnt sie zu schreiben und sich gleichzeitig auch für die Rechte der Frauen politisch zu engagieren. Als 1855 ihr Roman „Die Großmutter“ veröffentlicht wird, gelingt Nemcova der Aufstieg zu einer der wichtigsten tschechischen Autoren. Doch ihr Ruhm kann die finanziellen Probleme ihrer Familie nicht lösen und so flieht sie, krank und vom Hunger schwer gezeichnet, 1861 aus Prag, um an einer Neuauflage ihres Romans zu arbeiten. In dieser Zeit schreibt sie drei verzweifelte Briefe an ihren Freund Vojtech Naprstek, bevor sie am 21. Januar 1862 ihrer Krankheit erliegt. Diese drei Briefe voller Leid und Verzweiflung bilden die literarische Grundlage von „Durch diese Nacht sehe ich keinen einzigen Stern“.

    Nachdem Bozena Nemcova (Corinna Harfouch) über Nacht ihren gewalttätigen Ehemann Josef (Boleslav Polivka) verlassen hat, zieht sie sich in ein kleines Zimmer fernab von Prag zurück, um dort ihr Gesamtwerk zu vollenden. Doch anstatt an ihrem Buch weiterzuarbeiten, schreibt sie Briefe an ihren Freund Vojtech Naprstek. Die durch eine schwere Krankheit gezeichnete Schriftstellerin erzählt von ihrer Familie, ihrem Leben, ihren Sorgen und ihrem gewalttätigen Ehemann Josef, der sie bis zuletzt aufs ärgste unterdrückt und gedemütigt hat. Während des Schreibens schreitet ihre Krankheit weiter voran, bis sie letztendlich einsam und allein in einem kargen Zimmer ihrem Leiden erliegt.

    „Durch diese Nacht sehe ich keinen einzigen Stern“ erzählt nicht nur die traurige Biographie einer starken Frau, sondern stellt viel mehr das Schreiben selbst in den Mittelpunkt. Wie in den Briefen die Gedanken fragmentarisch aneinander gereiht sind, so folgen auch die Szenen oft keinem Zusammenhang. Das macht es dem Zuschauer schwer der Handlung zu folgen. Auch werden teilweise Szenen identisch wiederholt, was den Film über Strecken in die Länge zieht. Doch trotz dieser kleinen Makel erzählt der Film in sehr intensiven Bildern die Geschichte einer leidenden Frau, die ihre einzige Kraft aus dem Schreiben nimmt.

    Da das Drehbuch zu „Durch diese Nacht sehe ich keinen einzigen Stern“ auf den drei Briefentwürfen der Nemcova basiert und den Inhalt der Schriftstücke detailgetreu filmisch umsetzt, tritt der biographische Aspekt bisweilen in den Hintergrund. Einzelne Personen werden nur unreichend eingeführt, das wirkliche Leben Nemcovas bleibt teilweise im Dunkeln. Auch über die Epoche selbst erfährt der Zuschauer nicht allzu viel, denn der Film dreht sich einzig und allein um die drei Entwürfe eines Briefes an Vojtech Naprstek. Doch trotzdem zeichnet „Durch diese Nacht sehe ich keinen einzigen Stern“ eindringliche beklemmende Bilder. In verschieden Farbtönen gedreht, die jeweils die Stimmung unterstreichen, erzählt der Film nicht nur den Leidensweg der Nemcova, sondern auch von ihrer Art zu Schreiben. Wer eben keine ausführliche Biographie der Schriftstellerin, sondern eine filmische Umsetzung des Schreibprozesses eines Autors erwartet, der wird von „Durch diese Nacht sehe ich keinen einzigen Stern“ berührt und verschreckt zugleich sein. Verschreckt, da der Film durch das Darstellen des Ringens um Worte und Bilder den Zuschauer tief in die Abgründe des Lebens entführt.

    In diesem nicht ganz einfachen Film glänzt Corinna Harfouch als Bozena Nemcova. Ihrer schauspielerischen Leistung ist anzumerken, dass sie viel Kraft in diese Rolle gesteckt hat. Die Grimme-Preisträgerin Harfouch beweist einmal mehr, dass sie zu den wichtigsten deutschen Charakterdarstellerinnen zählt. Durch ihr intensives Spiel lässt sie das Kinopublikum an Nemcovas Schmerz und Trauer teilhaben, weshalb der Film nicht für zart besaitete Gemüter geeignet ist.

    Regisseurin Dagmar Knöpfel, die nach ihrem Studium an der Hochschule für Film und Fernsehen in München den Stoff zu „Durch diese Nacht sehe ich keinen einzigen Stern“ bereits im Jahr 2000 als Theaterstück inszenierte, führte nicht nur Regie, sondern zeichnete auch für das Drehbuch verantwortlich. Mit viel Lieben zum Detail und einer realistischen ruhigen Umsetzung brachte sie nun ihr Drehbuch zu „Durch diese Nacht sehe ich keinen einzigen Stern“ auf die Kinoleinwand.

    Themen wie Trauer, Leid, Schmerzen und Verzweiflung ziehen sich durch das gesamte Leben der Nemcova, und der Film scheut nicht davor zurück, all das glaubwürdig zu thematisieren. Dank einer grandiosen Corinna Harfouch und einer feinfühligen Inszenierung fällt das manchmal schleppende Tempo des Films nicht zu sehr ins Gewicht. Auch wenn „Durch diese Nacht sehe ich keinen einzigen Stern“ schwer verdauliche Kinokost ist, gibt dieser kleine Film einen tiefgründigen, wenn auch eingeschränkten Einblick in das Leben und Schaffen von Bozena Nemcova, einer faszinierenden Frau, die ihrer Zeit weit voraus war.

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