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    Garage
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Garage
    Von Sascha Westphal

    Der etwa 50-jährige Josie ist ein guter Kerl, eine wahre Seele von Mensch. In seinem Eifer, es jedem recht zu machen, übertreibt er es meist sogar. Doch das ist ihm selbst gar nicht klar – wie auch so vieles Andere nicht. Josie ist eben etwas langsam und auch ein bisschen einfältig. Die Menschen in seiner kleinen irischen Heimatstadt betrachten ihn meist mit einer Mischung aus Amüsement und Mitleid. Für viele von ihnen ist er einfach der Dorftrottel, der sich von allen ausbeuten lässt. Damit ist er natürlich alles andere als der klassische Filmprotagonist. Er passt nicht einmal in das nicht nur in Hollywood so beliebte Rollenfach des körperlich oder auch geistig Behinderten, der (letzten Endes) erfolgreich mit den Widrigkeiten seiner Existenz und den Vorurteilen seiner Umwelt ringt. Solche Rollen haben schon einigen Schauspielern Oscars oder zumindest Nominierungen eingebracht. Aber genau gegen diese abgedroschenen Kinoklischees kämpft der irische Filmemacher Lenny Abrahamson („Adam & Paul“) mit seinem leisen Drama „Garage“ an. Josie ist eben nicht der irische Bruder von Forrest Gump, sondern ein radikaler, um Lebensnähe bemühter Gegenentwurf zu dieser mythischen amerikanischen Jedermann-Figur. Nur hat Abrahamson leider einen fatalen Hang dazu, das Offensichtliche noch offensichtlicher zu machen.

    Seit dem Ende seiner Schulzeit arbeitet Josie (Pat Shortt) nun schon in einer kleinen Tankstelle etwas außerhalb seiner Heimatstadt. Viele Autos kommen dort zwar nicht vorbei, aber irgendetwas findet er immer, um sich zu beschäftigten. Außerdem leidet er an einem Hüftschaden, der sowieso jeden seiner Schritte zu einer kleinen Strapaze macht. Trotzdem ist da natürlich ein ständiges Gefühl der Einsamkeit, das auch seine gelegentlichen Besuche im Pub nicht vertreiben können. Doch nun kommt nach Jahren erstmals wieder etwas Bewegung in sein Leben. Zum einen hat die Lebensmittelverkäuferin Carmel (Anne-Marie Duff), zu der er sich seit langem hingezogen fühlt, endlich ihren Freund verlassen. Zum anderen soll er den 15-jährigen David (Conor Ryan) anlernen. Sein Boss hat dem Jungen einen Aushilfsjob gegeben, um bei dessen Mutter, seiner neuesten Eroberung, noch ein paar Punkte zu sammeln. Josie und David freunden sich schnell an. Schon bald sitzen sie abends nach Geschäftsschluss zusammen vor der Werkstatt, trinken Bier und plaudern. Nur vergisst Josie, wie jung seiner neuer Freund noch ist, und die Tragödie nimmt ihren Lauf...

    Figuren wie Josie sind nicht nur im Kino selten, auch aus der Literatur kennt man sie kaum. Entfernt erinnert der gutmütige, leicht übergewichtige Tankwart zwar an den sanften Riesen Lennie Small aus John Steinbecks berühmter Novelle „Von Mäusen und Menschen“. Doch selbst Steinbecks tragische Figur des zurückgebliebenen Kindes, das im Körper eines viel zu kräftigen, hünenhaften Mannes steckt, ist letztlich weitaus simpler gestrickt als er. Natürlich besteht von Anfang an kaum ein Zweifel daran, dass seine geistigen Fähigkeiten klar unter dem Durchschnitt liegen. Nur definieren Lenny Abrahamson und sein Drehbuchautor Mark O’Halloran seine Persönlichkeit nicht über diesen Mangel. Das unterscheidet ihn von Lennie genauso wie von Forrest Gump, der über einen untrüglichen Instinkt verfügt und deswegen gar keinen Intellekt braucht. Josie hat zwar selbst nicht viel zu sagen, aber dafür ist er ein sehr guter Zuhörer. Bei ihm können sich die Menschen aussprechen, und letztlich bleibt offen, wie viel er von dem, was sie ihm erzählen, eigentlich versteht – vielleicht sogar viel mehr als sie selbst glauben.

    Der irische Schauspieler Pat Shortt („The Closer You Get“, „Saltwater“) ist in seiner Heimat und in Großbritannien durch seine zahlreichen Fernsehauftritte vor allem als Komiker bekannt. Im Kino war er dagegen bisher meist nur in Nebenrollen zu sehen. Im Lauf seiner beachtlichen Karriere, mittlerweile ist er zu einem der erfolgreichsten irischen Fernsehstars aufgestiegen, hat er sich vor allem auf die Darstellung leicht überzeichneter ländlicher Typen spezialisiert. Wie er selbst sagt, unterscheidet sich Josie gar nicht so sehr von seinen typischen Comedy-Charakteren. Nur nimmt er sich in dieser Rolle viel mehr zurück als bei seinen anderen Auftritten. Seine Bewegungen, der markante, von einem deutlichen Hinken geprägte Gang, und sein immer etwas unbeholfen wirkender Sprachduktus verweisen ganz deutlich auf Shortts komödiantisches Talent und sein Gespür für absurde (Slapstick-)Effekte. Nur spielt er es in dieser Rolle eben nicht für Lacher aus, sondern offenbart dessen dunkle, tragische Seite. Seine ungeheuer differenzierte Darstellung weitet sich im Verlauf des Films immer mehr zu einer eindrucksvollen Studie in Einsamkeit und Isolation aus. Selbst wenn Josie mit David zusammensitzt oder sich mit Carmel unterhält, scheinen regelrecht Welten zwischen ihnen zu liegen. Dieser Abstand lässt sich nicht überbrücken. Es ist also nur eine Frage der Zeit, bis Josie an ihm zerbrechen wird.

    Die emotionale Intensität, die von Shortts Spiel ausgeht, genügt Lenny Abrahamson aber leider nicht. Mit jeder seiner Einstellungen, die alle die Tristesse der irischen Provinz betonen, will er ein Gefühl von Leere und Stillstand provozieren. Nur verweisen seine in jeder Hinsicht durchkomponierten Bilder einzig und alleine auf ihn selbst. Letztlich könnte fast jeder einzelne Frame des Films auch als Photographie an der Wand einer Galerie oder eines Museums hängen – und vielleicht ginge dort von ihnen sogar tatsächlich eine nachhaltige Wirkung aus. Doch im Kontext der Erzählung, in dem sie eben nicht für sich alleine stehen, sondern ein Bild in einem fort dem anderen folgt, verlieren sie ihre Bedeutung. Der symbolische Overkill schlägt um in lähmende Leere. Einmal, eine blasse, kraftlose, von einem formlosen Grau umgebene Sonne steht über einer menschenleeren irischen Landschaft, kommt dann sogar noch van Gogh ins Spiel. Aber auch das bleibt eine rein akademische Assoziation. Da ist es allerdings sowieso schon zu spät. Abrahamsons geradezu zwanghaft spröder Stil, sein verbissener Wille zu formaler Außergewöhnlichkeit, hat zu diesem Zeitpunkt selbst Pat Shortts grandiosem Porträt eines zur Einsamkeit verdammten Außenseiters jedes Leben ausgesaugt.

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