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    Die Kunst des negativen Denkens
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Die Kunst des negativen Denkens
    Von Christian Schön

    Wie ein kleiner Affront gegen den herrschenden Zeitgeist wirkt der Titel des Regiedebüts des Norwegers Bard Breien: „Die Kunst des negativen Denkens“ bezeichnet nämlich genau das Gegenteil davon, was zum Beispiel in führenden Coaching-Konzepten im großen Stil gepredigt wird – think positive! Doch genau gegen dieses Motto tritt die schwarze Komödie, die vom erfolgreichen Produzenten des norwegischen Kinohits Elling jetzt vorgelegt wird, an. Zwar reicht „Die Kunst des negativen Denkens“ nicht ganz an die Brillanz von „Elling“ heran, bietet aber hervorragende Unterhaltung im so schwierigen Genre der Komödie.

    Der Film beginnt mit einer alles positiv sehenden Tori (Kjersti Holmen), die als Therapeutin einer Gruppe von vier gebeutelten Existenzen versucht, deren Lebensqualität zu verbessern. Ihr neuestes Projekt, das die Gruppe erweitern und weiterbringen soll, ist das Schicksal von Geirr (Fridjov Saheim). Dieser hat bei einem Unfall sein Gehvermögen verloren und leidet seither an seinem Dasein im Rollstuhl. Seine Frau Invild (Kirsti Eline Torhaug) hat Tori und ihre Gruppe zu sich nach Hause gebeten, um ihre Ehe zu retten. Doch gleich zu Beginn läuft schon alles aus dem Ruder. Geirr weigert sich, die Therapeutin ernsthaft zu akzeptieren und dominiert mit seinen exzentrischen, teils kindischen Aktionen das Geschehen. Trotzdem brechen allein durch die bloße Anwesenheit der Therapiegruppe diverse Konflikte auf beiden Seiten auf, die sich bis dahin unter der Oberfläche aufgestaut haben. Auch die unnahbare Tori und die starke Invild fallen aus ihren Rollen. Je mehr Geirr sich mit seiner negativen Art in den Vordergrund drängt, scheint nun er die Rolle des Therapeuten zu übernehmen…

    Die große Frage, derer sich der Film trotz aller Komik ganz ernst zuwendet, ist die, unter welchen Bedingungen das Leben überhaupt lebenswert ist. Dafür stehen neben Geirr die vier Teilnehmer der Therapiegruppe. Das Elend dieser Figuren reicht von einer ab dem Hals abwärts gelähmten Marte (Marian Saastad Ottesen), bis hin zu der „nur“ psychisch erkrankten Lillemor (Kari Simonsen). Der Mann von Marte, dem eigentlich körperlich und geistig nichts fehlt, leidet lediglich an der Bindung zu seiner Frau, deren schweren Kletterunfall er verschuldet hat. Komplettiert wird das Quartett von Asbjron (Per Schaaning), der nach einem Schlaganfall behindert ist, und dadurch sein altes, normales Leben verloren hat. Diese vier Figuren treten in Konkurrenz zum Leiden von Geirr, der im Lichte dessen eigentlich am wenigsten stark beeinträchtigt ist: Er hatte wenigstens eine gute Versicherung, deswegen ein schönes Haus, eine ihn liebende Frau und ist noch voll bei Sinnen. Trotzdem stilisiert er sein Leiden am krassesten. Dazu gehören massiver Drogen- und Alkoholkonsum, die Lieder von Johnny Cash, apokalyptische Kriegsfilme und Selbstverstümmelungen. Trotzdem hat er dadurch den anderen Vieren etwas voraus. Er verdrängt sein Leiden nicht, sondern lebt im permanenten Ausnahmezustand. In jedem Augenblick konfrontiert er sich selbst und seine Umwelt mit seiner Situation. In diesem negativen Verhalten scheint nun ein unglaublicher Reiz zu liegen, dem die anderen nach und nach verfallen.

    Bei den meisten Filmen aus den nordischen Ländern ist die Handlung im privaten Raum angesiedelt (Das Fest, Nach der Hochzeit, „Idioten“). Das hat in diesem Fall zur Folge, dass der Hauptschauplatz, an dem nahezu der gesamte Film spielt, das beschauliche Einfamilienhaus von Geirr und Invild darstellt. Die Reduzierung der Schauplätze und die auch sonst spärlich eingesetzten technischen Mittel rücken Brad Breien zwar in die Nähe des Dogmakinos, ohne dass er jedoch wirklich darin aufgeht. Mit solchen Mitteln der Reduktion grenzt sich das nordische Kino ganz bewusst vom gängigen, amerikanisch geprägten Mainstreamkino ab, dessen Helden zumeist damit beschäftigt sind, die Welt vor dem Bösen zu retten. Dennoch berührt „Die Kunst des negativen Denkens“ realpolitische Themen, mit denen sich westliche Gesellschaften derzeit konfrontiert sehen. Das Böse wird hier jedoch vom Abstraktum des „Positiven Denkens“ verkörpert, an dem die Welt demnach leidet. Doch wo durchschnittliche Hollywood-Blockbuster ihre stereotypen Muster mit aller Deutlichkeit herausschreien, gehen hier solche Lesarten völlig in den Figuren und der Handlung auf.

    Dass in „Die Kunst des negativen Denkens“ tadelloses handwerkliches Können zu sehen ist, zeigt sich auf allen Ebenen. Angefangen von der Regiearbeit des Neulings Breien, der einen abwechslungsreichen Inszenierungsstil pflegt und mit einem sicheren Gespür für Licht an die Sache herangeht. Zudem stammen das Drehbuch und die Idee zum Film von Breien, der für seinen ersten Langfilm schon diverse Preise gewinnen konnte. Bei der Riege der Schauspieler, die allesamt auf einem sehr hohen Niveau agieren, ist lediglich zu bemängeln, dass sie gewissermaßen zu gut spielen. Zumindest zu gut für die Länge des Films. Eigentlich könnte man schon mit der Hälfte an der Zahl einen prächtigen Film machen. So ist zum Beispiel die Figur aus „Elling“ allein schon so liebenswürdig, skurril und interessant, dass man ihr kaum noch fünf weitere an die Seite stellen könnte. Das wäre, wenn man nur von den Charakteren ausgeht, in „Die Kunst des negativen Denkens“ auch nicht nötig gewesen, auch wenn die Dramaturgie natürlich nur so funktioniert. Aber gerade deswegen kann dieser Film auch nicht so intensiv wirken, wie die Geschichte um den Sauerkrautpoeten.

    Erstaunlich an „Die Kunst des negativen Denkens“ ist, dass der Film überhaupt als Komödie erscheint, die zudem recht lockeren und leichten Fußes daherkommt. Zu den Motivkomplexen um Schmerz und Leiden würde ein Drama prinzipiell besser passen. Die zahlreichen Momente, in denen die Handlung ins Tragische zu kippen droht, werden stets gekonnt aufgefangen und ironisch gebrochen. Durch diese Nähe des Tragischen wird aus „Die Kunst des negativen Denkens“ eine rabenschwarze Komödie, deren derber, böser Humor sicher für manche Zuschauer eine Spur zu zynisch sein mag. Gerade deswegen ist das tolle Werk jedoch auch ein typischer Vertreter des norwegischen Kinos und tritt als solches mit der Bescheidenheit eines kleinen Kammerstücks auf, das sich jedoch nicht vor großen Vergleichen scheuen muss.

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