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    Khadak
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Khadak
    Von Martin Thoma

    Khadak ist ein blaues heiliges Tuch, das den Himmel symbolisiert. In der ersten Einstellung des Dramas „Khadak“ spielt eine der Hauptfiguren mit den Zuschauern ein Spiel. Das Kinderspiel, bei dem verloren hat, wer als erster blinzelt. Dabei zählt sie langsam bis zwölf. Die meisten Zuschauer dürften wohl verlieren. Es ist sehr viel Stolz in ihrem Blick. Erst bei elf muss sie wegsehen. Die Zwölf zählt sie drei Mal, dann bricht sie in Tränen aus. Nächste Einstellung: blauer Himmel, sonst nichts. Es ist der Himmel über der mongolischen Steppe. In einer Landschaft, die so weit und leer ist wie diese, ist der Himmel fast alles. Das größte Pathos lässt sich aus der größten Einfachheit gewinnen. Darauf setzen Jessica Woodworth und Peter Brosens in ihrem ersten Spielfilm, der bei den Filmfestspielen in Venedig mit dem Nachwuchslöwen ausgezeichnet wurde. Als Auftakt sieht das vielversprechend aus, aber das Versprechen wird leider nicht eingelöst. Der Film verliert sich in Mystizismus. Statt seine einfache Geschichte überzeugend zu erzählen, setzt er immer mehr auf Symbolik und inkohärente formale Experimente, so dass sein Pathos am Ende hohl klingt. Immerhin: Er findet teilweise beeindruckende Bilder.

    Der 17-jährige Bagi (Batzul Khayankhyarvaa) lebt als Nomade in der eisigen mongolischen Steppe mit Mutter und Großvater und seinen geliebten Tiere. Bagi leidet offensichtlich unter epileptischen Anfällen. Nach Meinung der Schamanin verlässt ihn während dieser Anfälle seine Seele, weshalb sie ihn gerne unter ihre Fittiche nehmen würde, denn Seelenwanderungen gelten als Zeichen, dass es jemandem bestimmt ist, ein Schamane zu werden. Eine Bestimmung, der sich niemand widersetzen sollte, sonst bestehe die Gefahr, dass ihn seine Seele eines Tages für immer verlasse. Schon Bagis Vater, der Pilot war und mit seinem Flugzeug abgestürzt ist, soll vor seiner wahren Bestimmung auf der Flucht gewesen sein. Bagi will dennoch nichts mit der Schamanin zu tun haben.

    Der Konflikt zwischen Individuum und Religion, zwischen vorgegebenem Schicksal und persönlicher Sinnsuche, der sich hier anbahnt, wird vom Film leider nicht weiter verfolgt. Stattdessen lässt er Bagi zunächst ganz nach den Gesetzen gewöhnlicher Hollywooddramaturgie während seiner Anfälle Visionen von kommendem oder sich gerade an einem anderen Ort abspielendem Unglück haben. Das große Unglück kommt dann tatsächlich und zwar als Unrecht von außen: Unter dem fadenscheinigen Vorwand einer auch für Menschen gefährlichen Tierseuche siedelt der Staat die Nomaden kurzerhand und zwangsweise in eine in die Leere gesetzte Plattenbausiedlung um. Arbeit für alle gibt es praktischerweise auch – als Lohnsklaven beim Kohletagebau. Die Nomaden nehmen es angesichts der offensichtlich ungleichen Machtverhältnisse fatalistisch hin, aber viele gehen kaputt daran. Bagi hat auch in fremder Umgebung wieder eine Vision und kann so der jungen hübschen Kohlediebin Zolzaya (Tsetsegee Byamba) das Leben retten, der Frau mit dem stolzen Blick. Mit Zolzayas Auftauchen wird der Film gleichzeitig rebellischer und weltabgewandter, was im Ergebnis leider genauso wirr aussieht, wie es sich anhört. Bagi versinkt in seinen Visionen, die nun nicht mehr relativ konkrete Warnungen vor Unglücken darstellen, sondern den Charakter von Träumen annehmen. Nach außen hin scheint Bagi seelisch gebrochen, ob er es innerlich tatsächlich sein oder aber vielleicht nun doch eine höhere Stufe des Schamanismus erklommen haben soll, ist zumindest für mit der mongolischen Kultur nicht vertraute Zuschauer, nicht zu beurteilen. In seinen neuen Visionen sieht Bagi Zolzaya als Anführerin einer Rebellion, die starke Züge einer Musik/Theater-Performance trägt. Das ist nicht nur formal ein schwer verständlicher Stilbruch, es wirkt auch als rebellisches Aufbegehren lächerlich harmlos und teilweise unfreiwillig komisch. Bagi kehrt nicht mehr in diese Welt zurück und am Ende weint ein Baum.

    Mit dem Schlussbild vom weinenden Baum ist der Film dann doch noch beim Ethnokitsch gelandet, den er bis dahin um Haaresbreite umschiffen konnte. Man muss zugestehen, dass die mystisch-surreale Welt von Bagis Visionen sehr wirkungsvoll gefilmt ist und dass der Film klug die reale Umgebung – die Platzangst verursachenden schäbigen Plattenbauten in der mongolischen Weite – ins Surreale überhöht. Die Kohletagebaustadt ist schon für sich genommen eine gespenstische Albtraumkulisse, wie Bagi sie in seinen Visionen erlebt, ist glaubwürdig, und die Unsicherheit für die Zuschauer, in welcher Welt man sich gerade befindet, hat durchaus ihren Reiz. Trotzdem: Reizvoller wäre es gewesen, darauf zu verzichten, gerade weil die Umgebung schon in eher dokumentarischer Darstellungsweise gespenstisch genug ist. Der Film wäre rauer und kraftvoller geworden. Geradezu zerstörerisch für seine Wirkung ist es, wenn zum Beispiel blaue Tücher unbegründet und teilweise epidemisch durchs Bild flattern. Khadak, das titelgebende blaue Tuch, symbolisiert wie gesagt den Himmel, doch diese Tatsache wird im Film noch nicht einmal erwähnt, und das ist bezeichnend (Und die bloße Erwähnung wäre noch nicht ausreichend.) Für die Augen der westlichen Betrachter, die mit dieser Symbolik nichts verbinden können, sieht das dann nur noch nach esoterischem Kunstgewerbe aus. In guten Ansätzen erzählt „Khadak“ eine Geschichte von großer Armut und Ungerechtigkeit, von der Ausbeutung von Menschen und ihren Lebensräumen von Demütigung und kleinen Gesten des Widerstandes, von Stolz und dem Versuch, sich eine kulturelle oder überhaupt eine Identität zu bewahren. Das geht leider fast unter in einem Symbolismus, der sich zu sehr selbst gefällt.

    Das Problem dieses Films sind nicht seine Bilder, die sind teilweise sogar großartig. Auch die Schauspieler und die Filmmusik sind klug und passend gewählt. Gegen die einfache Geschichte ist dort, wo sie sich auf der realen Ebene bewegt, wenig einzuwenden. Doch dort, wo es eigentlich erst spannend würde, zieht sich der Film leider in nur Eingeweihten vielleicht zugängliche schamanische Symbolik zurück, wird prätentiös, inhaltlich diffus, in der Wahl der Darstellungsmittel wirr und am Ende nichtssagend.

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