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    Vergebung
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Vergebung
    Von Jan Hamm

    Wenn es in der Welt des schwedischen Krimi-Autoren Stieg Larsson eine dominante Spezies gibt, dann diese: Männer, die Frauen hassen. So der unheilvolle Originaltitel des ersten Aktes seiner Millennium-Trilogie, der hierzulande als "Verblendung" veröffentlicht wurde. Auch beim Finale "Vergebung" ist es wieder der Originaltitel, der die deutlichste Sprache spricht: "Luftslottet som sprängdes" - zu deutsch: Das Luftschloss, das gesprengt wurde. Das Luftschloss, das ist bei Larsson die für das moderne Selbstbild des Westens essentielle Idee eines Staates, der die ihn konstituierenden Menschen schützt. Die Sprengung deckt das faulige Fundament auf: Ein hermetisch abgeschirmtes System, dessen Selbsterhaltungsoperationen zerstörte Leiber und Seelen zurücklassen - einmal mehr vor allem die der Frauen. Nils Arden Oplevs hochspannender Thriller "Verblendung" demonstrierte den Mechanismus anhand einer schockierenden Familiensaga. Sein Niveau konnte Nachfolger Daniel Alfredson mit "Verdammnis" nicht halten und auch "Vergebung" scheitert knapp am grandiosen Serienerstling. Doch trotz zu formelhafter Inszenierung schließt er die Trilogie würdig ab. Dafür sorgt nicht nur die tief in ihre Rolle versunkene Noomi Rapace, sondern auch der thematische Scharfsinn des Films.

    Lisbeth Salander (Noomi Rapace) ist auf dem Weg ins Krankenhaus. Wenige Minuten zuvor hätte sie ihre Konfrontation mit dem mysteriösen Zalachenko (Georgi Staykov) und dessen schmerzunempfindlichen Handlanger Niedermann (Mikael Spreitz) beinahe mit dem Leben bezahlt. In den Fluren der Klinik fallen Schüsse, kurz darauf findet die Polizei die Leichen Zalachenkos und eines Attentäters vor. Schnell wird ersichtlich, dass Lisbeths Konflikt mit ihrer Nemesis weit mehr als eine Privatfehde war und beunruhigende Zusammenhänge impliziert. Doch ihre Version der Ereignisse will niemand hören, so wird Lisbeth des versuchten Mordes an Zalachenko angeklagt. Mehr noch: Mit der Diagnose paranoider Schizophrenie gräbt der Psychiater Teleborian (Anders Ahlbom Rosendahl) ihr jede Glaubwürdigkeit ab. Millennium-Autor Mikael Blomkvist (Michael Nyqvist) eilt zur Hilfe - und findet sich samt seiner Redaktion im Fadenkreuz der Hintermänner wieder. Im Chaos zwischen journalistischem und juristischem Papierkrieg, seiner schwierigen Freundschaft zu Lisbeth und so unsichtbaren wie mordlustigen Feinden kommt er einer hochpolitischen Verschwörung auf die Spur...

    "Vergebung" kreist um die große Unsicherheit vordergründig aufklärerisch-moderner Gesellschaften: Wie gerecht fällt ein Staatssystem tatsächlich aus, wenn seine Repräsentanten selber auf der Anklagebank zu landen drohen? Fürwahr kein Thema, das dem Kino fremd wäre - und doch sorgt die Komplexität der Larsson-Vorlage dafür, dass "Vergebung" nicht zur wohlfeilen bürgerlichen Anklage verkommt. Auch auf staatlicher Seite findet Blomkvist Verbündete. Polemiken à la Macht korrumpiert werden umschifft, die politischen Motive der Verschwörer sind letzten Endes schlüssig - auch, wenn sie im Vergleich zum Roman deutlich verkürzt werden. Die Details der provokanten Verknüpfung der Lisbeth-Erzählung mit der Polit-Geschichte Schwedens fallen dem Wechsel des Mediums zum Opfer. Da reichen auch über zwei Stunden Spielzeit nicht, und so macht Alfredson mit der Konzentration auf seine beiden Protagonisten das einzig Richtige.

    Zu den Männern, die Frauen hassen, findet er ohnehin via Lisbeth zurück: Es ist der in den Schaltstellen der Macht schwelende, sadistisch-maskuline Geist, der die "Vergebung" so beunruhigend gestaltet - diese Lust, mit der der weibliche Körper weit über die Intrige hinaus penetriert wird. In diesem Sinne findet Lisbeths Vormund Bjurman aus "Verblendung" seinen Wiedergänger in Teleborian, der auch dank Anders Ahlbom Rosendahls gekonnt abstoßendem Spiel einen wahrhaft gespenstischen Antagonisten abgibt. Während der eiskalte Patriarch Zalachenko bereits durch sein entstelltes Antlitz als Bestie gebrandmarkt erscheint, hat Teleborian sich öffentlich etabliert. Sein wahres Gesicht offenbart sich bloß in der Innenansicht Lisbeths, in ihren albtraumhaften Erinnerungsfetzen, die ihn als gespenstisches Schemen im Halbdunkel der Psychiatrie zeigen.

    Dass diesem Nachtmahr dann nicht vigilant, sondern vor Gericht begegnet wird, ist ein hoffnungsvoller Konter: So aussichtslos der Kampf scheint, er kann doch noch innerhalb des Systems gewonnen werden. Die entsprechenden Sequenzen werden als Kammerspiel inszeniert, als intensives Blickduell zwischen Teleborian und Lisbeth, das von den Argumenten ihrer Verteidigerin Giannini (Annika Hallin) ständig neu kontextualisiert wird. In diesen reduziert gespielten Momenten offenbart Noomi Rapace weitere Facetten ihrer Figur. Lisbeths versteinerte Mimik - ihr Schutzwall - wird bei jeder Wendung der Verhandlung aufgebrochen, sei es durch eine zornige Eruption oder ein angedeutet-triumphales Lächeln. Das hat eine ähnliche Intensität wie ihr Balanceakt auf der Todesschwelle im Finale von "Verdammnis". Auch Michael Nyqvist überzeugt einmal mehr, leidet aber darunter, diesmal kaum gemeinsame Szenen mit Rapace spielen zu dürfen. Zuvor war es vor allem die so zugewandte wie verunsicherte Stimmung zwischen den beiden, die seinen Blomkvist Profil gewinnen ließ.

    Weniger interessant ist leider auch die Visualisierung des schwierigen Stoffes. Atmosphärisch fotografiert ist "Vergebung" zwar durchgängig, Alfredson verlässt sich bei der Inszenierung der zahlreichen Dialogsequenzen aber zu oft auf schlichte Schuss-Gegenschuss-Auflösungen. Dabei zeigt der Regisseur bei Lisbeths letzter Begegnung mit Niedermann, dass er die Romanerzählung durchaus auch räumlich spannend zu interpretieren versteht. Das Gespür eines Nils Arden Oplev, wie es sich etwa bei dessen dicht gewobenen Recherche-Collagen zeigte, hätte "Vergebung" dennoch deutlich aufwerten können. Sei es drum - immerhin war ursprünglich auch lediglich der erste Film für eine Kinoauswertung vorgesehen, während "Verdammnis" und "Verblendung" als TV-Adaptionen konzipiert und dann doch auf die Leinwand gehievt wurden. Unterm Strich legt Alfredson einen düstere, hintersinnig-spannende und würdevolle Konklusion der Larsson-Reihe vor, die sich neben "Red Riding" und dem Kenneth-Branagh-"Wallander" problemlos in die hochklassige Riege europäischer Hybriden aus Krimi und Thriller einreiht.

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