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    Silver Linings
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Silver Linings
    Von Björn Becher

    Ob Ben Stiller bei seiner Road-Movie-Odyssee auf der Suche nach seinen Eltern in „Flirting with Disaster", George Clooney, Mark Wahlberg und Ice Cube als ungleiches Soldaten-Trio auf der Hatz nach einem Goldschatz in der Endphase des ersten Irak-Krieges in „Three Kings" oder Dustin Hoffman und Lily Tomlin als „existentialistische Detektive" in „I Heart Huckabees", David O. Russell nutzt gern äußerst ungewöhnliche Ideen und Figuren als Quelle für den spitzen und pointierten Humor seiner Komödien. Die Ergebnisse sind meist ebenso genial wie kontrovers. Nachdem er mit dem oscarnominierten Boxer-Drama „The Fighter" 2010 zum ersten Mal nahezu die gesamte Kritikerschar hinter sich vereinen konnte, kehrt er mit „Silver Linings" zu seiner ganz eigenen Art der Komödie zurück. Im Mittelpunkt stehen dabei Personen, die mental so schwer beschädigt sind, dass sie durchaus gefährlich sind. Doch bei David O. Russell ist „normal" das eigentliche „verrückt" und so erzählt er mit viel Liebe zu seinen dysfunktionalen Protagonisten eine herzerwärmende Romantik-Komödie.

    Acht Monate saß Pat Solatano (Bradley Cooper) in einer psychiatrischen Anstalt, weil er den Liebhaber seiner Frau Nikki (Brea Bee) brutal zusammengeschlagen hat. Nun hat seine Mutter (Jacki Weaver) es vor Gericht gegen den Rat der Ärzte durchsetzen können, dass ihr Sohn trotz einer bipolaren Persönlichkeitsstörung und dem damit verbundenen Hang zu Gemütsschwankungen und Gewaltausbrüchen in ihre Obhut übergeben wird. Während sein überabergläubischer Vater (Robert De Niro) den heimkehrenden Sohn sogleich als Glücksbringer bei seinen Football-Wetten nutzen will, ist der sicher, sein Leben bald wieder im Griff zu haben. Denn trotz einer einstweiligen Verfügung sich ihr nicht zu nähern, ist er überzeugt, dass Nikki ihn immer noch liebt und er auch bald seinen Job als Lehrer zurückhaben wird. Daher lehnt er auch das Angebot der unkonventionellen Tiffany (Jennifer Lawrence) ab, mit ihr Sex zu haben. Doch Tiffany, die seit dem Tod ihres Mannes depressiv ist und aus Therapiegründen tanzt, lässt nicht locker und lauert Pat auf. Dabei schlägt sie ihm einen Handel vor: Sie hilft ihm als Botin wieder in Kontakt mit seiner Frau zu kommen, wenn er ihr Tanzpartner bei einem bald stattfindenden Wettbewerb wird. Sehr zum Missfallen seines Vaters nimmt Pat das Angebot an und verbringt bald immer mehr Zeit mit der rätselhaften Tiffany statt vor dem Fernseher dem heimischen Football-Team die Daumen zu drücken.

    David O. Russell, der die Romanvorlage von Matthew Quick selbst adaptierte, lässt vor allem in der ersten Hälfte des Films keinen Zweifel daran aufkommen, dass die ernste Krankheit seiner beiden Protagonisten kein Kinderspiel ist, auch wenn er das Leiden nicht durchgängig auf im engeren medizinischen Sinne realistische Weise porträtiert: In einer blutigen Rückblende zeigt er, wie Pat den Liebhaber seiner Frau fast totprügelt, dazu kommen immerwährende Wutausbrüche, bei denen nicht nur Fensterscheiben zu Bruch gehen – einmal wird Pat sogar gegenüber seinen Eltern handgreiflich. Die stets in schwarz gekleidete Tiffany versucht dagegen mit Sex die Leere zu füllen, die der Tod ihres Ehemanns hinterlassen hat. Bei der Wahl ihrer Partner ist sie nicht zimperlich und lässt sich auch mit eher suspekten Typen ein. Trotz ihres oft fragwürdigen Verhaltens, das nicht etwa schlicht als Krankheitssymptom entschuldigt wird, schlägt sich Russell von der ersten Minute an klar auf die Seite seiner Protagonisten. Die vermeintlich „Verrückten" sind hier einfach liebenswert. Da ist zum Beispiel auch noch Pats Mitpatient Danny (gespielt von einem ungewohnt korpulenten Chris Tucker in seiner ersten Rolle außerhalb der „Rush Hour"-Reihe seit 15 Jahren), der immer wieder aus der Anstalt zu fliehen versucht und dann für kurze, amüsante Stippvisiten bei Pat zu Hause vorbeischaut.

    Im Gegensatz zu den Kranken in der Anstalt wirken die vordergründig Normalen wie Pats Arzt (Anupam Kher), sein Vater (Robert De Niro), sein erfolgreicher Bruder (Shea Whigham) oder sein bester Kumpel (John Ortiz) und dessen herrische Frau (Julia Stiles) in „Silver Linings Playbook" erst einmal suspekt. Sympathisch werden sie erst, wenn Russell auch ihre Verrücktheiten offenbart. Der Aberglaube von Pats Buchmachervater etwa geht ganz entschieden über bloße Exzentrik hinaus, das zeigt sich unter anderem wenn er fast manisch Gegenstände und Personen in ganz bestimmter Anordnung vor dem Fernseher platziert, um das „Juju" für das Football-Spiel positiv zu beeinflussen. In Robert De Niros Darstellung scheint der Wahnsinn dabei stets vor dem endgültigen Ausbruch zu stehen und die Normalität erweist sich hier exemplarisch für den ganzen Film als mühsam aufrechterhaltene Illusion: In „Silver Linings" sind die kleinen Spleens und die großen Macken nicht die Ausnahme, sie sind die Regel.

    Auch wenn David O. Russell seine bisher einzige Oscar-Nominierung als Regisseur (für „The Fighter") bekommen hat, sind die Prunkstücke seines Werkes meist die Drehbücher, besonders die pointierten Dialoge. Auch hier legt er seinen Figuren großartige Worte in den Mund, die ihre herausragenden schauspielerischen Leistungen noch unterstreichen. Wenn Jennifer Lawrence eine wahre Salve auf Pats Vater loslässt und mit einem Argumente-Feuerwerk untermalt, warum ihre Tanzstunden mit dessen Sohn ganz sicher nicht negativ für das „Juju" sind, ist das einer von mehreren Geniestreichen in Sachen Zusammenarbeit von Schauspieler und Autor. Vor allem die für „Winter's Bone" oscarnominierte Lawrence beweist einmal mehr welche großartige Schauspielerin in ihr auch jenseits der Teenie-Reihe „Die Tribute von Panem" steckt. Allerdings steht und fällt der ganze Film mit dem oft als Schönling unterschätzten „Hangover"-Star Bradley Cooper („Ohne Limit"). Er trifft zwischen explosivem Wutausbruch und komplettem Innehalten, zwischen großem, naivem Kind und realistischem Erwachsenen immer die richtige Nuance und nur deshalb funktioniert die diffizile Figur des kranken Pat überhaupt. Dass Cooper die Hauptrolle nach dem durch Differenzen mit Russell bedingten Ausstieg von Mark Wahlberg übernommen hat, erweist sich somit letztlich als glückliche Fügung.

    David O. Russell und sein Kameramann Masanobu Takayanagi („Warrior", „The Grey") rücken ihren Protagonisten ganz nah – oft buchstäblich bis auf wenige Zentimeter. Vor allem Bradley Coopers Gesichtszüge sind mehrfach extrem groß im Bild, dazu wird auf seine ständig in Unruhe befindlichen Hände oder seinen Ehering gezoomt. Während die Handkamera in Dialogszenen nah bei Cooper verharrt, bleiben seine Gesprächspartner oft selbst beim Gegenschnitt in der Distanz – so wird auch visuell oft ganz klar gemacht, wem die Sympathien des Filmemachers gelten. Ein inszenatorisches Prunkstück ist dann noch der finale Auftritt von Lawrence und Cooper bei einem Tanzwettbewerb. Ihre gemeinsame Darbietung ist voller emotionaler Kraft und sinnlicher Intensität, sie ist absurd, liebevoll, mitreißend, komisch und berührend, vereint so unterschiedliche Vorbilder wie „Pulp Fiction", „Dirty Dancing", „In der Hölle ist der Teufel los" und „Singin' in the Rain" und hat doch eine ganze eigene freigeistige Wildheit.

    Fazit: David O. Russells „Silver Linings" ist eine wundervoll optimistische, amüsante und lebensbejahende Romantik-Komödie unter dem Motto „Irgendwie sind wir alle ein bisschen verrückt!".

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