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    La Lisière - Am Waldrand
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    La Lisière - Am Waldrand
    Von Christian Horn

    Wenn ein Film nicht alles ausbuchstabiert, sondern mit Andeutungen und Leerstellen arbeitet, ist das grundsätzlich kein schlechter Ansatz. Ein solcher Film erfordert ein aktives Mitdenken des Zuschauers und kann am Ende, sofern schlussendlich alles wenigstens eine Art von Sinn ergibt, lohnender und nachhaltiger ausfallen, als ein Kino der Anbiederung und Eindeutigkeit. Frustrierend ist es jedoch, wenn ein in dieser Weise konstruierter Film den alleine gelassenen Betrachter stetig in die Irre führt und bis zuletzt kein Interesse daran hat, eine Ausrichtung durchscheinen zu lassen oder den Blick des Publikums wenigstens auf bestimmte Teilaspekte zu lenken. In ihrem Debütfilm „La Lisière – Am Waldrand" versteigt sich die französische Regisseurin Géraldine Bajard in jene Art von Kino, wobei man ihr die Mühe, einen betont kunstvollen Film vorzulegen, der in keinerlei Hinsicht einfach sein will, allzu sehr anmerkt. Herausgekommen ist ein Arthouse-Drama voller unbeantworteter Fragen, das sich im Grunde selbst überflüssig macht.

    Der junge Arzt Francois (Melvil Poupaud) hat soeben sein Studium abgeschlossen und folgt einem Jobangebot in die Provinz, wo er als Hausarzt der dorfähnlich organisierten Wohnsiedlung Beauval arbeiten soll. Vor allem die jungen Mädchen des Ortes – allen voran Claire (Alice De Jode) – verdrehen sich Köpfe nach dem Neuankömmling, was der männlichen Dorfjugend freilich missfällt. Cedric (Phénix Brossard), der Anführer der Jugendlichen, gibt Francois alsbald zu verstehen, dass er die Finger von seinen Mädchen lassen soll. Die Situation spitzt sich zu, als Francois' Freundin Jeanne (Audrey Marnay) ebenfalls in Beauval aufschlägt und Cedric seine Gelegenheit zur Gegenoffensive gekommen sieht. Francois hingegen interessiert sich zunehmend dafür, was die Jugendlichen bei ihren nächtlichen Treffen im Wald machen – eine Frage, die ihn noch drängender beschäftigt, als ein kleines Mädchen (Marie Fritel-Sina) tot am Waldrand aufgefunden wird.

    Schon die ersten Bilder von „La Lisière - Am Waldrand", die in einem wortlosen Prolog den Fund der Mädchenleiche vorweg nehmen, erinnern an das mit Begriffen wie sperrig oder trocken assoziierte Kino der Berliner Schule, deren Vertreter mittlerweile zumindest künstlerisch erfolgreiches Genrekino machen. Dieser Eindruck ist beileibe kein Zufall, denn mit dem zeitgenössischen deutschen Kino ist Géraldine Bajard seit Beginn ihrer Filmlaufbahn verbunden: Bei „Marseille" von Angela Schanelec fungierte sie als erste Regieassistentin, um daraufhin am Casting von Valeska Grisebachs „Sehnsucht" und als Dramaturgin für „Lourdes" von Jessica Hauser mitzuwirken. Für „La Lisière - Am Waldrand" war nun Valeska Grisebach als Drehbuchberaterin tätig, während unter anderem Hans-Christian Schmid („Sturm"), der zwar nicht zur Berliner Schule, aber doch zum aktuellen deutschen Film gehört, als Produzent in Erscheinung trat. Zuletzt tritt mit der Editorin Bettina Böhler, die unter anderem für die Montage der meisten Filme von Christian Petzold („Jerichow") verantwortlich zeichnet, eine wesentliche Protagonistin des deutschen Kinos in Erscheinung.

    Mit diesen filmischen Wurzeln im Hintergrund ist es verständlich, dass Géraldine Bajard einen ästhetisch durchaus interessanten Debütfilm vorlegt, wobei vor allem die atmosphärischen Bilder von Kameramann Josée Deshaies („Der Pornograph") erwähnenswert sind. Umso tragischer wiegen die zahlreichen erzählerischen und dramaturgischen Sackgassen, in die Bajard das Publikum laufen lässt.

    Dass in Beauval irgendetwas nicht stimmt, verdeutlichen bereits die ersten Filmminuten nachhaltig – auch jene, die auf den unheilschwangeren Prolog folgen und Francois' erste Kontakte mit den seltsam verschwiegenen Anwohner zeigen. Recht bald läuft alles auf diese eine Frage hinaus: Was machen die Jugendlichen nachts im Wald? Géraldine Bajard deutet vieles an, lässt sexuelle Machtspiele erahnen, wendet den Blick aber immer wieder aufs Neue ab, wenn ein handfester Hinweis folgen müsste. Auch als Francois, der einen Großteil des Films eher passiv auftritt, dem Geheimnis auf den Grund gehen will, verzichtet Bajard auf eine Lösung des Rätsels. Vielmehr betritt die Regisseurin etliche Seitenpfade, die allesamt versanden, und legt über die gesamte Laufzeit eine gedehnte Erzählweise vor, die spätestens nach der Hälfte der Spieldauer in Ungeduld umschlägt, da der Betrachter für das anfängliche Miträtseln keinerlei Dank erhält. Das gockelhafte Verhalten des jugendlichen Alphamännchens Cedric, der stets mit seinem Moped unterwegs ist, die Lolita-Schwärmerei der pubertierenden Claire oder die angespannte Stimmung zwischen Francois und seiner Freundin Jeanne rufen letztlich nicht nur kein Interesse, sondern schlicht Langeweile hervor.

    Es sind die mit wenigen Mitteln durchgehaltene Atmosphäre und die auf dieser Grundlage entstehenden intensiven Einzelmomente, die Géraldine Bajards Erstling zumindest ansatzweise interessant machen – eine herausragende Bedeutung kommt hier den Bildern zu, die ein Gefühl für die Eigenartigkeit der Wohnsiedlung vermitteln. Auf Seiten der Schauspieler sticht neben Melvil Poupard vor allem Alice De Jode heraus, die als heranwachsende Claire ein vielversprechendes Debüt bestreitet. Unterm Strich ist Géraldine Bajard trotzdem gescheitert – angerechnet sei der Regisseurin aber, dass sie bei ihrem Erstling Mut zum Sperrigen bewiesen hat. Gut möglich, dass beim zweiten Mal alles besser wird.

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