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    Who Am I - Kein System ist sicher
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Who Am I - Kein System ist sicher
    Von Björn Becher

    Filme über Computer-Hacker teilen ein gemeinsames Problem. Es ist einfach ziemlich langweilig, Menschen dabei zuzuschauen, wie sie Codes und Zahlenkolonnen eingeben oder auf Monitore starren, auf denen eben jene für den Laien meist unverständlichen Daten aufblinken. So versuchte selbst Bill Condon bei seinem im Übrigen eher zurückhaltend inszenierten Tatsachen-Thriller „Inside WikiLeaks - Die fünfte Gewalt“ die Darstellung der Kommunikation per Computer mit optischen Spielereien aufzupeppen. Auch in anderen Hacker-Filmen wie Iain Softleys Actioner „Hackers“ mit Angelina Jolie dominieren meist bunte Effekte statt vor dem Computerbildschirm sitzende Protagonisten. Regisseur Baran bo Odar findet in der deutschen Großproduktion „Who Am I – Kein System ist sicher“ nun ebenfalls einen guten Kniff, um von der Tätigkeit der Hacker zu erzählen. So ist sein Film am Ende zwar nicht unbedingt realistisch, aber dafür spannend – und darauf kommt es im Genrekino ja in allererster Linie an. Allerdings gerät seine stylishe Inszenierung nicht durchweg überzeugend und den Plot seines Thrillers hat er allzu offensichtlich entlang der Handlung von zwei der berühmtesten Mindfuck-Klassiker der Filmgeschichte entwickelt.

    Völlig verstört stellt sich der Hacker Benjamin (Tom Schilling) der Europol-Cybercrime-Expertin Hanne Lindberg (Trine Dyrholm) und erzählt ihr im Verhör seine Geschichte: Weil er die hübsche Studentin Marie (Hannah Herzsprung) beeindrucken wollte, hackte der von seiner Umwelt kaum wahrgenommene Außenseiter sich in Uni-Server, wurde aber erwischt. Beim Ableisten der ihm für die Tat aufgebrummten Sozialstunden lernte er den charismatischen Max (Elyas M’Barek) kennen, der mit ihm die Verehrung für das mysteriöse Hacker-Idol MRX teilt. Mit Max, dem durchgeknallten Stephan (Wotan Wilke Möhring) und Verschwörungstheoretiker Paul (Antoine Monot jr.) gründete Benjamin schließlich das Hacker-Kollektiv CLAY. Sie machten Social Engineering zu ihrer bevorzugten Methode, denn nicht Computer oder Programme sind die Schwachstelle, sondern der Mensch, der diese bedient. Zuerst waren die CLAY-Aktionen vor allem spaßig, die Gruppe hat Nazis lächerlich gemacht oder der Finanzwirtschaft den Mittelfinger gezeigt. Doch Max hatte laut Benjamin immer höhere Ziele, er wollte, dass sein Idol MRX auf ihn aufmerksam wird. So entwickelte das Quartett einen Coup, der alles in den Schatten stellen sollte: eine Hackattacke auf den BND. Sie ahnten nicht, dass sie dabei mit der russischen Cyber-Mafia ins Boot stiegen. Kurz darauf gab es den ersten Toten… und nun sitzt Benjamin völlig verängstigt vor Hanne Lindberg und liefert ihr Informationen, die sie schon seit Jahren sucht. Doch ist seine unglaubliche Geschichte wirklich wahr?

    Im bislang wohl bekanntesten deutschen Hacker-Film „23 – Nichts ist so wie es scheint“ erzählte Hans-Christian Schmid eine reale Geschichte, die deshalb spannend war, weil er die wachsende Paranoia der scheinbar nur noch von Spionen und Killern umgebenen Hauptfigur auch für den Zuschauer erlebbar machte. Baran bo Odar wählt in „Who Am I – Kein System ist sicher“ für eine fiktive Geschichte mit eher allgemeinen Bezügen zur realen Welt einen ganz anderen Weg, der über weite Strecken ähnlich gut funktioniert – jedenfalls was den Suspense angeht: Er setzt einen subjektiven Erzähler ein, dem nicht hundertprozentig zu trauen ist. So hinterfragt das Publikum das Geschehen immer wieder und der Film wird in seinem Verlauf zunehmend von einer Atmosphäre der Unsicherheit und Ungewissheit durchzogen. Um diese Stimmung zu etablieren, braucht Baran bo Odar allerdings zu lange. Gerade das einleitende Porträt der Hauptfigur Benjamin als von allen gehänselter Außenseiter wirkt bemüht und redundant, zwischen tristem Alltag, hippen Partys und stylishen Hacker-Treffen findet der Regisseur daneben lange Zeit keine klare Linie. Die Einführung der weiteren Figuren ist zudem nicht gerade subtil (jedem sind sofort seine wichtigsten Eigenschaften anzusehen) und wenn sich Max und Benjamin während ihrer Sozialstunden in Müllarbeiteruniform die Hacker-Vokabeln um die Ohren schmeißen, klingt das eher gestelzt als glaubhaft.

    Nach der sehr wechselhaften ersten halben Stunde findet Baran bo Odar zunehmend in die Spur und das liegt in erster Linie an zwei guten Ideen. Zum einen löst der Regisseur das eingangs erwähnte Problem der filmischen Vermittlung eines äußerlich sehr öden Vorgangs, indem er CLAY Social Engineering betreiben lässt. Das ist so etwas wie die Action-Variante des Hackens, denn die vier Jungs sitzen nicht in ihrer Bude vor dem Computer, sondern sie sind direkt vor Ort. Sie täuschen Mitarbeiter, verschaffen sich unter falscher Identität Zugang zu ihren Zielen oder brechen auch mal in Nacht-und-Nebel-Aktionen dort ein, um an die angepeilten Rechner und Server physisch heranzukommen. So hat „Who Am I“ bisweilen mehr von einem Heist-Movie (ganz ähnlich wie bei Phil Alden Robinsons Hacker-Komödie „Sneakers – Die Lautlosen“) als von einem Computer-Thriller. Dazu findet der Regisseur einen durchaus naheliegenden, aber überzeugenden Weg, die Kommunikation zwischen verschiedenen Hackergruppen in virtuellen Untergrund-Chaträumen zu illustrieren. Als bildliche Entsprechung dient ihm ein dunkler U-Bahn-Waggon, in dem die Hacker sich treffen. Sie tragen Masken, da sie sich alle ja nur mit Tarnnamen kennen, und prahlen mit ihren Erfolgen.

    Während bo Odar bei der Inszenierung einige frische Ideen hat, geht er bei der Story zu sehr auf Nummer sicher. Für seinen wendungsreichen Thriller stehen zwei Kult-Klassiker der 90er Jahre Pate, deren Titel hier aus Spoilergründen nicht verraten werden sollen. Ziemlich exakt folgt bo Odar der Prämisse des einen Films, greift zwischendurch kurz die entscheidende Wendung des anderen auf und bringt seine Erzählung schließlich mit einer leichten Abwandlung des Finaltwists von Klassiker Nummer Eins zum Abschluss. Das mindert deutlich den Überraschungseffekt, denn die meisten Zuschauer dürften die gemeinten Filme relativ früh erkennen. Bo Odar versucht auch erst gar nicht, seine Vorbilder zu verbergen, sondern zitiert vielmehr fast wörtlich ihre Dialoge und einmal ist im Hintergrund sogar ein entlarvendes Filmplakat zu sehen. Ähnlich offensichtlich wie dieser nicht sehr originelle Umgang mit den berühmten Vorläufern ist auch die Besetzung der einzelnen Rollen in dem hochkarätigen Ensemble des Films: Jeder spielt hier genau den Typ, den er vorher schon öfter verkörpert hat.

    So bleiben auch bei den Schauspielern die Überraschungen aus: Tom Schilling („Oh Boy“) spielt einmal mehr den schüchternen Ziellosen und Elyas M’Barek („Fack ju Göhte“) ist natürlich der charismatische Frauenheld. Wotan Wilke Möhring („Hardcover“) wiederum darf als von Kopf bis Fuß (und sogar auf dem Hintern) tätowierter Draufgänger mal wieder so richtig dem Affen Zucker geben und hat dabei eine denkwürdige, im Hintergrund ablaufende Tanzszene in roter Unterhose. Der mittlerweile fast mehr als „Tech-Nick“ aus der Werbung für eine Elektromarktkette als durch seine ernsthafte Schauspielerei bekannte Antoine Monot jr. („Das Experiment“) verkörpert mit wildem Zauselbart noch am ehesten so etwas wie den Inbegriff des typischen Nerds, während Hannah Herzsprung als Love Interest nur wenige Szenen hat. Die reichen der Hauptdarstellerin aus Dominik Grafs Historien-Romanze „Die geliebten Schwestern“ aber einmal mehr, um nachvollziehbar werden zu lassen, warum ein Mann für sie allerlei Dummheiten begehen würde. Für internationales Flair in der deutschen Großproduktion sorgt die Dänin Trine Dyrholm („In einer besseren Welt“), die als steife Ermittlerin allerdings auch selbst einen ziemlich steifen Eindruck macht und vor allem darunter leidet, dass die Hintergrundgeschichte ihrer Figur mit Fehlgeburt, Karriere- und Beziehungskrise deutlich überfrachtet ist.

    Fazit: „Who Am I – Kein System ist sicher“ ist trotz einiger Schwächen ein vor allem in der zweiten Filmhälfte durchaus sehenswerter, wendungsreicher Thriller.

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