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    The Music Never Stopped
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    The Music Never Stopped
    Von Robert Cherkowski

    Wenn ein Neurologe zum Stift greift, erwartet man von seiner literarischen Arbeit vor allem Sachliteratur, die Laien einen zumindest grundlegenden Einblick in die Hirnforschung vermittelt. In der Regel verstauben die Werke schreibender Nervendoktoren aufgrund ihrer komplexen Materie dennoch schnell in gut sortierten Sachbuch-Ecken. Bei Oliver Sacks liegt der Fall ein wenig anders. Sacks hat es geschafft, mit geistreich-charmanten Büchern zum Bestseller-Autor zu werden. Meist berichtet er in einfacher Sprache von berührenden Fallbeispielen, die dem abstrakten Thema emotionale Dringlichkeit verleihen. Die Verfilmung seines Buches „Zeit des Erwachens" mit Robert De Niro und Robin Williams gilt zu Recht als moderner Klassiker des anspruchsvollen Melodrams. Auch seine 1995 erschienene Kurzgeschichtensammlung „Eine Anthropologin auf dem Mars" war bei Publikum und Kritik ein großer Erfolg – mit „The Music Never Stopped" wurde nun eine der darin erhaltenen Kurzgeschichten verfilmt. Ein Meisterwerk der zeitgenössischen Literaturverfilmung ist Regisseur Jim Kohlberg dabei zwar nicht gelungen. Ein sehenswertes Drama über die regenerative Kraft der Musik ist „The Music Never Stopped" aber allemal.

    Fast 20 Jahre lang herrschte Funkstille zwischen Gabriel (Lou Taylor Pucci) und seinen Eltern, Henry (J.K. Simmons) und Helen Sawyer (Cara Seymour). Als das betuliche All-American-Couple erfährt, dass Gabriel in einer Hirntumor-Station vor sich hin vegetiert, kommt wieder Bewegung in die erkaltete Eltern-Kind-Beziehung. Der Tumor in Gabriels Kopf bedingt, dass er zumeist in seiner eigenen Welt lebt und nur in einsilbigen, mechanischen Floskeln Kontakt zur Umwelt aufnimmt. Der einzige Hebel, mit dem sich die Abgeschiedenheit seines Hirns aufbrechen lässt, ist die Musik. Mit der Musikprofessorin Dianne (Julia Ormond) und einem großen Plattensortiment versucht die Familie, dem kranken Sohn wieder ins Leben zu helfen. Gerade die 60er-Hits aus Gabriels Jugend bringen jedoch auch einige unausgesprochene Zerwürfnisse zwischen Vater und Sohn auf den Tisch...

    Bei Sacks Kurzgeschichte „The Last Hippie" muss Produzent Neal H. Moritz wahrlich freudenfeuchte Augen bekommen haben. Die Story hat so gut wie alles, was ein Hollywood-Drama braucht. So gibt es hier nicht nur ein Generationen-übergreifendes Familiendrama, das über tränenreiche Wege zur großen Versöhnung führt, sondern auch Period-Piece-Elemente über die wilden Sixties, in denen eine offene Kluft zwischen Eltern und Kindern klaffte. Darüber legt sich mit schunkeligen Oldie-Hits, die direkt ins Herz treffen, noch ein wunderbarer Zeitgeist-Schleier. Die Formel „Zeit des Erwachens" trifft „High Fidelity" liegt nahe – und „The Music Never Stopped" spielt offen und bewusst manipulativ auf der Klaviatur der Gefühle. Die schlimmsten Schmalz-Untiefen hat Kohlberg mit seiner im besten Wortsinne zweckdienlichen Regie dabei jedoch weitestgehend umschifft.

    Auch die Darsteller treten durchweg dezent auf und holen so einiges aus ihren nicht unbedingt subtil geschriebenen Rollen heraus. Lou Taylor Pucci schafft es auch ohne schauspielerische Glanzleistung problemlos, seinen Gabriel zum emotionalen Zentrum des Films zu machen. Cara Seymour darf da in ihren wenigen Auftritten als leidgeprüfte Mutter, die in wichtigen Situationen über sich hinauswächst, schon eher glänzen und die Sympathien des Publikums auf ihre Seite ziehen. Auch Julia Ormond macht als Akademikerin Dianne etwas her, obgleich sie spürbar vom Drehbuch eingeschränkt wird – ihre Rolle reduziert sich leider allzu oft auf eine Mittlerfunktion.

    Es ist der Fernsehveteran und Nebenrollenexperte J. K. Simmons („Spider-Man", „Juno"), der hier den großen Triumph einfährt. Seinem leicht verkniffenen Patriarchen Henry kommen die schönsten Momente des Films zu. Simmons begeistert mit unbeholfener Herzlichkeit, leisen komödiantischen Nuancen und einer starken Leinwandpräsenz. Mit so einnehmenden Darstellern vergehen die schlanken 104 Filmminuten dann wie im Flug. Und auch wenn Kohlberg beim finalen Grateful-Dead-Konzert, bei dem die tief sitzenden Konflikte von einst beigelegt werden, dann doch noch etwas zu dick aufträgt, bleibt der positive Gesamteindruck von „The Music Never Stopped" bestehen.

    Fazit: Jim Kohlbergs Oliver-Sacks-Adaption „The Music Never Stopped" mag zwar keine große Kunst sein, überzeugt jedoch fast durchweg mit erzählerischer Sicherheit, dezenter Inszenierung und einem großartigen J.K. Simmons.

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