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    Nachtlärm
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Nachtlärm
    Von Robert Cherkowski

    Im Zuge der Verleihung der Bundesfilmpreise 2012 sorgte ein kritischer Einwurf des deutschen Regisseurs Dominik Graf („Im Angesicht des Verbrechens") für Furore im Feuilleton. Der deutsche Film, so Graf, ersticke in seiner eigenen bedeutungsschweren Lustfeindlichkeit. Ernste Themen wie NS-Aufarbeitung, RAF-Nachwehen, Familiendramen oder Krankheitsgeschichten würden mit viel Geld gefördert, doch abseits der üblichen Multiplex-Trivialitäten biete man dem Publikum kaum eine unterhaltsame Alternative. Wer offensiv und originell auf die Schau- und Unterhaltungswerte des Genrekinos setze, erhalte meist keine angemessene Unterstützung. Vielmehr würden vielversprechende Projekte in der Produktionsmühle viel zu häufig zu faulen Kompromissen verwässert. Zwar lässt sich eine polemische Zuspitzung schwer auf den konkreten Einzelfall übertragen, aber Christoph Schaubs Road-Movie-Krimi-Komödie „Nachtlärm" wirkt in ihrer Unentschiedenheit, ihrem Zuviel an verschiedenen (oft sehr guten) Ansätzen und mit ihrer fehlenden Konsequenz fast so wie die Illustration von Grafs These einer unausgegorenen Kompromisslösung.

    Neun Monate ist der kleine Tim nun schon auf der Welt und für die Eltern Livia (Alexandra Maria Lara) und Marco (Sebastian Blomberg) ist nichts mehr wie es einmal war. An geregelte Bettruhe ist ebenso wenig zu denken wie an lustvolle Aktivitäten im Schlafzimmer. Der einzige Ort, an dem der kleine Racker Ruhe gibt, ist der Rücksitz des Familienautos – allerdings nur bei voller Fahrt. Und so unternehmen die drei des Öfteren nächtliche Ausflüge, bei denen sich die Eltern bald eingestehen müssen, dass sich ihre Beziehung dem Nullpunkt nähert. Eines Nachts findet man sich auf einem Rastplatz wieder, ein Wort gibt das nächste, wutentbrannt verlassen Livia und Marco das Auto – und lassen Tim allein zurück. Prompt nutzen der schmierige Jorge (Georg Friedrich) und seine Freundin Claire (Carol Schuler) die Gunst der Stunde und klauen den Wagen samt Baby auf dem Rücksitz. In ihrer Panik stehlen Livia und Marco nun selbst ein Auto und nehmen die Verfolgung auf. Sie ahnen nicht, dass sie im PKW eines Schwerkriminellen sitzen, der nicht nur eine Waffe im Kofferraum und Geld unterm Beifahrersitz versteckt hat, sondern auch stinkwütend auf die Autodiebe wider Willen ist. So werden die Verfolger zu Verfolgten und es beginnt eine Odyssee über Autobahnkreuze und Landstraßen sowie durch verschlafene Ortschaften im Nirgendwo.

    Bestsellerautor Martin Suter („Lila, Lila") skizziert in seinem Drehbuch ein illustres Ensemble schräger Vögel, deren Flucht und Selbstsuche in der Road-Movie-/Verfolgungsjagd-Situation eine ideale Entsprechung finden, und Regisseur Christoph Schaub ist die Lust an der kontrollierten Konfusion, an den ständigen Twists und Haken deutlich anzumerken. Alles wird ständig in Bewegung gehalten und damit ist besonders das erste Drittel des Films mehr als gelungen. Wenn Livia und Marco vor ihrer festgefahrenen Ehe zu flüchten versuchen und sich ganz nebenbei ein bitteres Wortgefecht liefern, wirkt „Nachtlärm" wie ein Kammerspiel auf Achse. Allerdings sind die Hauptdarsteller Alexandra Maria Lara („Der Untergang") und Sebastian Blomberg („Anatomie", „Der Baader Meinhof Komplex") als Pärchen mit langer und komplizierter Geschichte wenig glaubhaft, dafür bleibt diese zu vage und auch die vielbeschworene Chemie stimmt zwischen ihnen nicht so recht.

    Im weiteren Verlauf des Films drängt sich dann immer stärker der Eindruck einer gewissen Beliebigkeit auf. Schaub und Suter, die schon bei der Episoden-Komödie „Giulias Verschwinden" zusammengearbeitet haben, wechseln den Erzählton nach Lust und Laune und lassen ihre Figuren dabei zunehmend haarsträubend und verwirrend handeln. Auf eine einigermaßen kohärente Charakterzeichnung wird keine Rücksicht genommen. So darf etwa Georg Friedrich („Über uns das All", „Faust") als Autodieb zunächst noch einen wunderbar schmierigen Ösi-Charme ausspielen - über weite Strecken scheint er hier schlicht ein leicht depperter Hallodri zu sein. Später wird dann mit zarten Pinselstrichen angedeutet, dass Jorge selbst ein Kind hat, ehe er sich wenig später doch wieder als Psycho-Arschloch aufführt. Solche bizarren Wendungen werden weder plausibel gemacht, noch spekulativ auf die Spitze getrieben, bei aller Lust an der Abwechslung wird die große Linie aus den Augen verloren.

    Eine ähnliche Unentschlossenheit kennzeichnet auch den Umgang mit der Figur des kriminellen Verfolgers im Mercedes (Andreas Matti): Ihm wird durch die Inszenierung immer wieder eine bedrohliche Aura verliehen, aber zugleich erhält er auch etwas Komisches – so ist er nicht wirklich böse, aber genauso wenig ist er witzig. Die Rolle bleibt seltsam konturlos und verkommt zum Lückenfüller, mit dem der Film in die Länge gestreckt wird, ohne dass er bereichert würde. Dieses inkonsequente Lavieren zwischen Gegensätzen zeigt sich auf eklatante Weise auch in einer Szene, in der Livia – die sich nach einem erneuten Streit allein durchschlägt – als Anhalterin auf dem Beifahrersitz eines Vergewaltigers landet. Der Fremde hört Jodelmusik und schüchtert die verängstigte Livia perfide ein. Plötzlich und wie aus dem Nichts entsteht ein Moment echter Bedrohung, der den Film für Sekunden elektrisiert. Doch dieser Moment verpufft und die Situation wird einmal mehr halbgar aufgelöst, denn Schaub schreckt davor zurück, aufs Ganze zu gehen und nimmt den Notausgang in Richtung Komödie. Und auch zum Ende des Films kommt es dann weniger zu einer Steigerung der Spannung, als zu einem mauen Austrudeln ohne echten Höhepunkt.

    Fazit: In „Nachtlärm" gibt es Ansätze zu einer bitterbösen Farce, zu einem absurden Thriller und zu einem packenden Psycho-Drama, doch Regisseur Christoph Schaub setzt sich zwischen alle Stühle und kann mit seinem unentschiedenen Genre-Mix keinen der durchaus vielversprechenden Ansätze zur vollen Entfaltung bringen.

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