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    The Drop - Bargeld
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    The Drop - Bargeld
    Von Thomas Vorwerk

    Der größtenteils auf Krimis mit dem Handlungsort Boston (genauer gesagt „seinem“ Stadtteil Dorchester) spezialisierte US-Schriftsteller Dennis Lehane lieferte schon die literarischen Vorlagen zu Clint Eastwoods „Mystic River“, Ben Afflecks „Gone Baby Gone - Kein Kinderspiel“ und Martin Scorseses „Shutter Island“. Sein neuer Roman „The Drop - Bargeld“ ist aber nicht (wie es auf der deutschen Taschenbuchausgabe prangt) die Buchvorlage zum gleichnamigen Thriller-Drama von Michaël R. Roskam („Bullhead“), sondern die Romanfassung seines eigenen Drehbuchdebüts, das wiederum auf seiner Kurzgeschichte „Animal Rescue“ von 2009 basiert. So erklärt sich auch, dass Lehanes Roman erst ein Jahr nach dem Tod von James Gandolfini veröffentlicht wurde. Der im Juni 2013 verstorbene „Sopranos“-Star hat in dem packendem Film seinen letzten Leinwandauftritt, noch dazu in seinem bevorzugten Halbwelt-Ambiente: ein würdiger Abschied für einen großartigen Darsteller.

     

    Bob Saginowski (Tom Hardy) arbeitet als Barkeeper in „Cousin Marv's Bar“ in Brooklyn, wobei sein Chef Marv (James Gandolfini) tatsächlich sein Cousin ist. Die Kneipe gehört zu jenen von der örtlichen Mafia geführten Orten, wo in unregelmäßigen Abständen sogenannte „Drops“ stattfinden, bei denen diverse Unterweltler Bündel von Schwarz- und Blutgeld für einen Abend zwischenlagern, um nicht bei den zahlreichen Polizeikontrollen in Erklärungsnöte zu kommen. Bob wartet auf den geeigneten Moment für einen großen Coup und gerät zwischenzeitig in diverse Verwicklungen. In einer Mülltonne findet er einen jungen malträtierten Hund, den er zusammen mit der aparten Nadia (Noomi Rapace) gesundpflegt, ehe Eric (Matthias Schoenarts) auftaucht - der frühere Besitzer des Vierbeiners will auf seine Besitzrechte nur gegen eine hohe Geldsumme verzichten. Außerdem findet ein Raubüberfall auf die Bar statt, was Marv und Bob unter zweifachen Druck setzt: zum einen durch die Polizei, zum anderen durch Mitglieder der tschetschenischen Mafia, die vermuten, einer der beiden könnte gemeinsame Sache mit den Räubern gemacht haben. Der bevorstehende große „Drop“ am Superbowl-Abend gestaltet sich dann auch sehr dramatisch, weil mehrere Beteiligte mit verdeckten Karten spielen...

    Wenn eine schüchterne Romanze zwischen leicht ramponierten Figuren sich kreuzt mit einer blutigen Gangstergeschichte, dann ergibt das nur in den seltensten Fällen ein Date Movie. Denn meistens kann man inmitten des Gemetzels, der Intrigen und dem Kugelhagel die Lovestory nicht wirklich ernst nehmen. Dass Autor Lehane und Regisseur Michaël R. Roskam es schaffen, die anspruchsvolle Balance zu halten, ist einer der Glücksfälle bei diesem Film. Sie entwinden sich den üblichen Genrekonventionen größtenteils gekonnt und haben auch bei der Besetzung ein glückliches Händchen: Tom Hardy („No Turning Back“) , bekannt als Bösewicht Shinzon aus „Star Trek: Nemesis“ und als Batman-Widersacher Bane aus „The Dark Knight Rises“, gelingt es zwar nicht ganz, wie ein schüchterner, etwas linkischer Barmann herüberzukommen, der eigentlich viel zu nett ist, um gegenüber Gangsterbossen, Schlägern und etwas suspekten Polizisten zu bestehen. Aber ähnlich wie Bruce Willis bringt er dafür einen Sympathiebonus mit - und er passt großartig zu Noomi Rapace („Prometheus – Dunkle Zeichen“) sowie dem gemeinsamen Ersatzkind Rocco, dem Findel-Pinscher aus der Mülltonne.

    Die Scheu und die Zerbrechlichkeit dieser drei Figuren, die erst ihren Argwohn überwinden und zueinander finden müssen, potenziert sich im Zusammenspiel und man investiert als Zuschauer gern sein Herzblut in diese Geschichte. Anders als etwa in dem durchaus vergleichbaren „Dead Man Down“ (ebenfalls mit Rapace, sowie mit Colin Farrell in der Hauptrolle), wo der Blutschwall und die Explosionen schnell die Oberhand gewinnen, wird man dabei auch nicht enttäuscht. Die Interaktion zwischen den bis in kleinste Rollen hinein hervorragend gezeichneten und gespielten Figuren treibt die Geschichte voran - vom desillusionierten Barbesitzer Gandolfinis über den etwas ahnenden Polizisten Torres (John Ortiz) bis hin zu Matthias Schoenarts‘ gewaltbereitem und etwas größenwahnsinnigem Hundebesitzer. Der „Drop“ wiederum, um den es hier eigentlich geht, ist kaum mehr als ein erzählerischer Vorwand nach Art eines Hitchcockschen MacGuffins. Dennoch gibt es hier mehr Leichen als bei einer solchen zum Kammerspiel tendierenden Charakterstudie vielleicht zu erwarten wären, die Gewalt wird dabei trotzdem niemals zum Selbstzweck und hat fast immer ernste Konsequenzen – was in dieser Art Film nicht unbedingt die Regel ist.  

    Das „Bargeld“ mag im Titel stehen, doch viel wichtiger sind hier die Menschen und ihre Alltagswelt. Liebevoll werden Figuren und Situationen abseits der Haupthandlung etabliert wie die etwas tüdelige Millie (Patricia Squire) aus dem Seniorenheim um die Ecke, Marvs Schwester Dottie (Ann Dowd) und ihre Probleme, eine historische Kirche, die abgerissen werden soll - selbst ein vor Jahren verschwundener legendärer Kiezbewohner, dessen Ehrentag seine besten Freunde immer noch feiern. Es ist eine besondere Leistung, dieses Zusammengehörigkeitsgefühl inmitten der ernüchternden von Verbrechen und Gier bestimmten Umstände zu vermitteln, und diese Milieuzeichnung gelingt in Film wie Roman gleichermaßen gut. Der aus Belgien stammende Regisseur Roskam liefert bei seinem ersten Hollywoodausflug einen stimmigen und spannenden Film ab und landet deutlich über dem Genredurchschnitt – so wie wir es von Dennis Lehane und seinen Stoffen schon länger gewohnt sind.

     

    Fazit: Ein spannender Gangsterplot und eine berührende Liebesgeschichte, aber keine typische Hollywoodstory: Hier geht es auch um die Bar, den Hund, den Kiez – und vor allem um die Menschen.

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