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    A Floresta De Jonathas - Im dunklen Grün
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    A Floresta De Jonathas - Im dunklen Grün
    Von Asokan Nirmalarajah

    Manchmal bringt der deutsche Titel die Essenz eines Films eher auf den Punkt als der Originaltitel. „Im dunklen Grün“, das Langfilmdebüt des brasilianischen Regisseurs Sérgio Andrade, heißt im portugiesischen Original „ A Floresta de Jonathas“. Was wörtlich übersetzt so viel bedeutet wie „Der Wald von Jonathas“ stellt sich nach Sichtung des Films als irreführende Bezeichnung für das meditative, existentialistische Drama über den Überlebenskampf eines Jungen in der Wildnis heraus. Der Hauptschauplatz der Geschichte, der Dschungel am Amazonas, ist gerade nicht der „Wald von Jonathas“, sondern das mysteriöse „dunkle Grün“, in dem sich unser jugendlicher Held verirrt, obwohl er nicht unweit davon aufgewachsen ist. Die Entfremdung des Menschen von der Natur und seinen Urinstinkten durch eine rapide Globalisierung und Technisierung der Lebensräume bildet folglich auch ein Leitmotiv von Andrades einfach gestricktem, höchst atmosphärisch gestalteten Generationendrama. Leider bleibt der Film letztlich zu sehr ein Thesendrama und kann nicht genug Anteilnahme für das Schicksal seiner stereotypen Figuren generieren.

    Jonathas (Bege Muniz) lebt mit seinem älteren Bruder Juliano (Italo Castro) bei seinen Eltern. Zusammen mit seinem Vater Vladimir (Francisco Mendes) geht der gelangweilte Junge täglich in den Wald, um wilde Früchte zu sammeln, die von seiner Mutter zu Erfrischungen und Souvenirs aller Art für Touristen auf der Durchreise zubereitet werden. Doch während sich Jonathas um den am Straßenrand gelegenen Laden der Familie kümmert, ergreift der lebenshungrige Juliano regelmäßig die Gelegenheit, mit attraktiven Touristinnen an den Strand zu fahren. Als Jonathan seinen Vater um Erlaubnis bittet, seinen Bruder auf einen Campingtrip zu begleiten, verweigert Vladimir, dem Julianos Verhalten zuwider ist, seine Zustimmung. Trotzig brechen die Jungs mit ihrem Kumpel Kedassere (Alex Lima) und der ukrainischen Touristin Milly (Viktoyia Vinyarska) auf. Doch als der verliebte Jonathas seiner Milly wilde Beeren aus dem Dschungel pflücken will, nimmt das Unglück seinen Lauf…

    „Im dunklen Grün“, der nach zweijähriger Festivaltournee über den Verleih „Bildkraft“ seinen Weg auf deutsche Leinwände findet, teilt sich in zwei Hälften, jeweils dominiert von einem anderen Protagonisten. Im Mittelpunkt der ersten Hälfte steht Jonathas, ein antriebsloser Tagträumer, dessen unaufgeregter, nüchterner Alltag in wohltemperierten, langen Einstellungen geschildert wird. Von einer leisen Melancholie getragen, in einem fast meditativen Arthouse-Film-Tempo skizziert Sérgio Andrade die Lebenssituation von Jonathas und seiner Familie, die wie viele andere Organisationsformen an der Grenze zwischen Tradition und Moderne zu zerbrechen droht. Doch ehe dieser Konflikt zwischen den Generationen Form annehmen kann, gleitet die Handlung in immer abstraktere, surreale Territorien ab. Ab der Hälfte des Films steht der Dschungel im Fokus, der sich in einer bedrückenden Bild-und-Ton-Collage über die Handlung und Figuren legt und beides regelrecht erstickt.

    Schnell wird klar, dass dem Autorenfilmer Sérgio Andrade die wahre Geschichte eines Jugendlichen, der 49 Tage im Amazonas-Regenwald überleben konnte, weil sein starrköpfiger Vater nie die Suche nach ihm abbrach, bloß als Aufhänger dient. Andrade, dessen beeindruckende Stilisierung des Dschungels an die ominösen Naturwelten eines Werner Herzog („Aguirre, der Zorn Gottes“), Terrence Malick („Der schmale Grat“) oder Apichatpong Weerasethakul („Uncle Boonmee erinnert sich an seine früheren Leben“) erinnert, benutzt den Überlebenskampf seines tragischen Protagonisten, um über die Grenzen menschlicher Technologie und über die unergründliche Urgewalt der Natur zu sinnieren. Da wo Handys und GPS-Signale ihren Geist aufgeben, wo alle kulturellen Bedeutungsregistern kollabieren, da verortet Andrades Film das Ende der Zivilisation und den Anfang von neuen, phantastischen Bewusstseinsebenen. Leider gestaltet sich das theoretisch aufregender als in der Umsetzung, denn zu diesem Zeitpunkt ist manch einem Zuschauer schon der Geduldsfaden ob der Handlungsarmut gerissen.

    Fazit: „A Floresta De Jonathas - Im dunklen Grün“ überzeugt mit eindrucksvoller Atmosphäre, mit der der Inhalt aber nicht mithalten kann.

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