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    Das blaue Zimmer
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Das blaue Zimmer
    Von Lars-Christian Daniels

    Spätestens seit er in Marc Forsters Actionthriller „James Bond 007: Ein Quantum Trost“ in der Rolle des aalglatten Bösewichts Dominic Greene mit dem Geheimagenten Ihrer Majestät aneinander geriet, ist der französische Schauspieler Mathieu Amalric („Schmetterling und Taucherglocke“) auch dem internationalen Kinopublikum ein Begriff. Seine wahre Berufung sieht Amalric aber nicht nur vor, sondern vor allem hinter der Kamera: Bereits seit den 90er Jahren versucht sich das Multitalent auch immer wieder als Regisseur und konnte auch dabei einige Erfolge verbuchen – 2010 erhielt er etwa für seine Komödie „Tournée“ mehrere Preise bei den Filmfestspielen in Cannes. Auch sein kammerspielartiges Justizdrama „Das blaue Zimmer“, das auf dem gleichnamigen Roman von Georges Simenon basiert, fand den Weg an die Croisette und lief dort 2014 in der vielbeachteten Nebensektion „Un Certain Regard“. In bedrückenden Bildern erzählt Amalric als Regisseur, Drehbuchautor und Hauptdarsteller in Personalunion die Geschichte einer folgenschweren Liebesaffäre, die die Welt eines Familienvaters komplett aus den Fugen hebt.

    Julien Gahyde (Mathieu Amalric) steht privat wie beruflich auf der Sonnenseite des Lebens: Der Vertreter für Landwirtschaftsmaschinen feiert Vertragsabschlüsse am Fließband, ist finanziell abgesichert und wohnt mit seiner hübschen Frau Delphine (Léa Drucker) und seiner bezaubernden Tochter Suzanne (Mona Jaffart) in einem schmucken Einfamilienhaus. Doch die heile Welt ist nur Fassade: Um der Alltagsroutine zu entfliehen, hat der Familienvater eine leidenschaftliche Affäre mit der attraktiven Apothekerin Esther (Stéphanie Cléau), der Ehefrau seines ehemaligen Schulkameraden Nicolas Despierre (Olivier Mauvezin). Die beiden treffen sich bei jeder Gelegenheit für ein paar Stunden in einem blau gestrichenen Hotelzimmer. Den wenigen Sätzen, die sie bei ihren Schäferstündchen wechseln, schenkt Julien kaum Beachtung. Doch eines Tages läuft die außereheliche Liebelei aus dem Ruder: Julien sitzt plötzlich in Untersuchungshaft, muss sich den Fragen eines Haftrichters (Laurent Poitrenaux) stellen und versucht, sich an Esthers Worte zu erinnern...

    Ein bisschen mag  der Zuschauer sich vorkommen wie in David Finchers Thrillerdrama „Gone Girl“, in dem die Rollen eines Ehemannes (Ben Affleck) und seiner Frau (Rosamund Pike) im Zusammenhang mit einer Straftat ebenfalls lange unklar bleiben: Wer die Romanvorlage „La Chambre bleue“ von Georges Simenon nicht gelesen hat, dürfte bei der Aufarbeitung der Vergangenheit eine ganze Weile im Dunkeln tappen. Welche blutige Tat sich in Juliens Leben ereignet hat, deutet Regisseur und Drehbuchautor Amalric in der ersten Filmhälfte nur an: Klar ist eigentlich nur, dass etwas Tragisches passiert sein muss und dass man Julien deswegen verhaftet hat und zur Rechenschaft ziehen will. Während der sich nun auf der Gegenwartsebene des Films mit seinen Antworten auf die bohrenden Fragen des Haftrichters in eine ausweglose Lage manövriert, wird das Publikum in dazu parallel montierten Rückblenden Zeuge, wie der Familienvater in der Vergangenheit seine sexuellen Vorlieben mit Esther auslebt. Amalric verwebt die beiden Handlungsstränge gekonnt miteinander, ohne das Geheimnis um Juliens Inhaftierung zu früh zu lüften.

    Auch wenn „Das blaue Zimmer“, der bei den Französischen Filmtagen Tübingen-Stuttgart seine Deutschlandpremiere feierte, ein dialoglastiger Film ist, sprechen die Bilder oft eine deutlichere Sprache als die Worte. Viele Dialoge finden im Off statt, während Kameramann Christophe Beaucarne („Gemma Bovery“) dazu verschiedene Stillleben einfängt. Das verleiht dem Justizdrama einen leicht impressionistischen Anstrich. Die recht freizügigen Erotikszenen und die Machtspielchen wecken zudem Erinnerungen an Roman Polanskis „Venus im Pelz“, in dem Amalric in einer ähnlich gelagerten Rolle zu sehen war. Störend fallen allerdings die kitschig-theatralischen Streicherklänge von Grégoire Hetzel („Die Frau, die singt“) auf, die die romantischen Turtelszenen zwischen Julien und Esther eher erdrücken, als die Gefühle der beiden zu unterstreichen. Auch als doppelbödiger Justizthriller funktioniert „Das blaue Zimmer“ nur bedingt: Der große Aha-Effekt auf der Zielgeraden bleibt aus und rein juristisch betrachtet steht der Indizienprozess gegen Julien auf ziemlich tönernen Füßen. Doch darum geht es Amalric auch nicht: „Das blaue Zimmer“ überzeugt mit starken Figuren, die der Filmemacher in ihrer Vielschichtigkeit auslotet und deren inneren Antrieb er überzeugend herausarbeitet.

    Fazit: Mathieu Amalrics impressionistisch angehauchtes Justizdrama lebt eher von seinen komplexen Figuren und den starken Darstellern als von überraschenden Wendungen.

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