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    Ein Schotte macht noch keinen Sommer
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Ein Schotte macht noch keinen Sommer
    Von Thomas Vorwerk

    In der Filmbranche herrscht nach wie vor ein Schubladendenken vor, und viele Projekte werden gleich mehrfach durch Passformen gequetscht, um den Vorstellungen von Finanziers und demoskopisch erforschten Zielgruppen zu entsprechen. Im vorliegenden Fall hat es eine durchaus außergewöhnliche Prämisse zwar tatsächlich bis zur Fertigstellung geschafft, aber für den deutschen Verleih macht man nun aus einer amüsanten und sogar etwas nachdenklichen Familienkomödie durch ein Filmplakat, das drei männliche Unterkörper in Kilts zeigt (und den skurril anmutenden Kopf eines Straußes) eine Art schottischen „Männerhort“. Und aus einem in Aufsatzmanier nacherzählten Ferienerlebnis (der Originaltitel lautet „What We Did On Our Holiday“, im Vorspann sogar in krakeliger Kinderschrift geschrieben) wird auf dem deutschen Markt das lustig klingende, aber auf den Film bezogen komplett nichtssagende „Ein Schotte macht noch keinen Sommer“. Diese Behandlung hat das extrem charmante gemeinsame Kinodebüt der englischen Sitcom-Experten Guy Jenkin und Andy Hamilton nicht verdient.

    Die Geschwister Lottie (10, Emilia Jones), Mickey (8, Bobby Smallridge) und Jess (5, Harriett Turnbull) haben sich mittlerweile mit der Trennung ihrer Eltern (Rosamund Pike als Abi, David Tennant als Doug) abgefunden, aber zum 75. Geburtstag des Großvaters Gordie (Billy Connolly) nach Schottland zu fahren, und dort „heile Familie“ zu spielen, um den herzkranken Opa zu „schonen“ - das entspricht weder dem Naturell noch dem Rechtsbewusstsein der Kinder. Während die Vorbereitungen zur Feier auf Hochtouren laufen und Vater Doug mehrfach bei seinem Bruder Gavin (Ben Miller) aneckt, fährt Opa Gordie mit seinen Enkeln zum Strand, wo die Kinder ein beinahe traumatisches Abenteuer erleben, das die gesamte Familie nochmal durcheinanderwirbelt und außerdem sogar Gesetzeshüter sowie diverse Medienvertreter auf den Plan ruft.

    Zugegeben, die meisten Zuschauer werden „Doctor Who“-Darsteller David Tennant und „Gone Girl“-Titelheldin Rosamund Pike ins Kino locken, doch die drei Kids verbringen nicht nur die meiste Zeit auf der Leinwand, sie sind auch die Stars dieses Films, und das von der ersten Szene an. Schon bei der Reisevorbereitung in England wird klar, dass die drei bereits ausgeprägte Persönlichkeiten haben: So lässt sich die altkluge fünfjährige Jess nicht einschüchtern, wenn es um unverzichtbare Reisemitbringsel geht - im Notfall hält sie einfach die Luft an, damit gewinnt sie jede Diskussion. Der achtjährige Mickey ist ein großer Wikinger-Fan mit nahezu unstillbarem Wissensdurst - und in Schottland wird er eine wichtige Tradition der Nordmänner zur Ausführung bringen. Und die älteste, Lottie, macht dauernd Aufzeichnungen in ihr Notizbuch und verstrickt Erwachsene gern in Diskussionen, bei denen sie so manchen Gesprächspartner mit ihrem Argumentationstalent verblüfft.

    Die Geschwister sind vor allem gemeinsam ungemein liebenswert, trotzdem erweisen sich die getrennten Eltern (Abi und Doug haben bereits neue Partner, die man aber nie im Film sieht) als stark überfordert und so werden hier immer wieder die Erwachsenen von den mit einem „Streitradar“ ausgestatteten Kids zur Ordnung gerufen, bevor der Keim eines Zwists überhaupt reifen kann. Die Kinderfiguren sind aber nicht nur manchmal vernünftiger als die „Großen“, sie sind auch extrem witzig und haben zudem die besten Dialoge bekommen, die aber dennoch kindgerecht wirken. Trotzdem ist dieser ungewöhnliche Familienfilm nicht unbedingt für ein Kinderpublikum geeignet, seine Themen sind nicht immer bequem (wobei Bambis Mutter und Simbas Vater in der Beziehung Pionierleistungen vollbracht haben) und echte Kids könnten auf ziemlich dumme (und gefährliche) Ideen kommen: Man will sicher nicht unbedingt, dass ein achtjähriger Steppke auf der Leinwand sieht, wie ein Gleichaltriger selbstbewusst und unerschrocken mit einem Benzinkanister hantiert, um ein stilechtes Wikingerbegräbnis umzusetzen.

    Nach der Ankunft auf dem üppigen schottischen Landsitz bekommen auch Gavins Frau Margaret (Amelia Bullmore) und der pubertierende Cousin Kenneth (Lewis Davie) ihre eigene Nebenhandlung, und zunächst wirkt es so, als würden die Karten neu gemischt, doch spätestens, wenn das eingespielte Kindertrio gemeinsam mit dem Opa alleine aufbricht, kommt man zum Herzen der Filmhandlung. Billy Connolly wirkt fast zu rüstig für einen 74jährigen, doch der gesundheitlich selbst etwas angeschlagene Komödienspezialist (demnächst in „Der Hobbit - Die Schlacht der fünf Heere“) ist tatsächlich auch schon in den Siebzigern und erfüllt seine Rolle mit Herz und Elan. Denn Opa Gordie erzählt den Kindern keine Ammenmärchen, begegnet ihnen auf Augenhöhe und bricht auch mal Erwachsenen-Regeln, weshalb man mit ihm viel mehr Spaß haben kann und beispielsweise Fahrstunden nehmen kann, obwohl man noch gar nicht selbst an die Pedale herankommt. Das ist eine der schönsten Szenen in einem zwischendurch sogar richtig spannenden Film, der erst gegen Ende stärker in die üblichen Genrebahnen gelenkt wird.

    Fazit: Drei naseweise Kids und einige Vollblutschauspieler bieten inmitten tourismustauglichen schottischen Landschaften viel zum Lachen und auch ein wenig zum Nachdenken: keine große Filmkunst, aber überdurchschnittlich gelungene Unterhaltung.

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