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    Finding Vivian Maier
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Finding Vivian Maier
    Von Gregor Torinus

    Dass Filme über Künstler hoch unterhaltsam sein können, hat sich kürzlich erst wieder bei „Beltracchi – Die Kunst der Fälschung“ gezeigt, schließlich ist Arne Birkenstocks Film über den schlitzohrigen Meisterfälscher fast so etwas wie das Dokumentarfilm-Äquivalent zu Martin Scorseses poppigem Börsen-Spektakel „The Wolf Of Wall Street“. Jetzt folgt mit John Maloofs „Finding Vivian Maier“ eine weitere äußerst kurzweilige Kunst-Dokumentation. Im Mittelpunkt dieser filmischen Spurensuche, die so spannend ist wie ein guter Krimi, steht die 2009 verstorbene amerikanische Straßenfotografin Vivian Maier. Deren Werk wurde erst nach ihrem Tod zufällig entdeckt, Zeit ihres Lebens hatte die ebenso geniale wie geheimnisvolle Hobby-Künstlerin kaum eines ihrer Fotos überhaupt entwickelt, geschweige denn einem anderen Menschen gezeigt…

    Im Jahre 2007 arbeitete John Maloof an einem Buch über das Viertel in Chicago, in dem er aufgewachsen war. Zu diesem Zweck ersteigerte er bei einer Auktion für 380 Dollar eine Kiste voller alter Kamera-Negative, doch das Material erwies sich als unbrauchbar für seine damaligen Zwecke. Als das Buch fertig war, sah sich Maloof die Negative in Ruhe noch einmal genauer an und stellte fest, dass es sich um Aufnahmen von bemerkenswerter künstlerischer Qualität handelte. Auch den Namen der Fotografin fand Maloof in der Kiste: Vivian Maier. Doch als er nach ihr googelte, gab es keinen einzigen Treffer! Erst in einem Nachruf begegnete ihm der Name später zufällig erneut und schließlich entdeckte er eine Person, die die mysteriöse Fotografin persönlich gekannt hatte. So führte eines zum anderen, bis Maloof mit über 100 Zeitzeugen gesprochen hatte und sich im Besitz von mehr als 100.000 Negativen von Vivian Maier befand. Er erfuhr, dass sie zeitlebens als Kindermädchen und Hausverwalterin in New York und in Chicago gearbeitet hatte, aber warum sie ihre Fotos niemals veröffentlichte, das erfuhr er nicht.

    Die Menschen, die früher Vivian Maier in ihrem Haus angestellt hatten oder als Kinder von ihr betreut wurden, zeichnen vor Maloofs Kamera ein komplexes und widersprüchliches Bild der Frau. Mal wird Vivian als kinderlieb und fürsorglich, dann wieder als fast psychopathisch und sadistisch dargestellt. Was ihre Persönlichkeit angeht, bleibt die Fotografin eine mysteriöse Figur, kein Zweifel besteht hingegen an der künstlerischen Bedeutung ihres Werkes: Nach der Entdeckung des gewaltigen Nachlasses muss die Geschichte der Straßenfotografie des 20. Jahrhunderts neu geschrieben werden. Dabei ist die Erzählung von der unverhofften Entdeckung bedeutender Kunst ebenso spannend wie die Fragmente von Maiers Lebensgeschichte: Als Maloof erkennt, was für einen künstlerischen Schatz er geborgen hat, versucht er verschiedene Museen für die Fotos zu interessieren. Doch an Bildern einer unbekannten Fotografin besteht nirgendwo Bedarf. So nimmt Maloof die Sache schließlich in die eigene Hand, veröffentlicht eine Auswahl von Maiers Fotos im Internet und erntet begeisterte Reaktionen. Inzwischen veranstaltet der Regisseur in Zusammenarbeit mit verschiedenen Galerien Vivian-Maier-Ausstellungen in der ganzen Welt.

    So werden in „Finding Vivian Meier“ gleich zwei unglaubliche und untrennbare Geschichten erzählt: Zum einen die einer eigenbrötlerischen Fotografin, die ihre Aufnahmen zeitlebens kaum jemandem gezeigt hat, zum anderen die der späten Entdeckung und Verbreitung ihres großartigen Werks. Beide Erzählstränge werden vom äußerst begeisterungsfähigen Maloof mit geradezu kindlichem Enthusiasmus vorangetrieben. Dabei gehen der Filmemacher und sein Ko-Regisseur Charlie Siskel dramaturgisch so geschickt vor, dass die Spannung bis zum Ende immer weiter zunimmt. Fast jede Entdeckung wirft neue, verwirrende Fragen auf und selbst ein ausgewiesener Sprachexperte versagt, wenn es um die Klärung von Vivian Maiers Herkunft geht. Immer, wenn die Nanny und Fotografin als Mensch ein wenig greifbarer erscheint, wird das Bild von ihr wieder vollkommen verändert und umgeworfen. Sicher ist am Ende nur, dass Maier eine genaue Beobachterin war, die stets ihre Kamera bei sich trug, um im richtigen Moment den Auslöser drücken zu können. Ihre Fotos wiederum sind außergewöhnliche Porträts von Randgestalten der Gesellschaft voller poetischer Details, aus ihnen spricht ein ganz individueller Blick und eine unstillbare Neugier. Maier hat sich selbst als „eine Art von Spion“ bezeichnet, John Maloof setzt ihrem Leben und Werk nun ein filmisches Denkmal.

    Fazit: „Finding Vivian Maier“ ist eine ungemein spannende und faszinierende Dokumentation über eine ebenso geheimnisvolle wie geniale Fotografin und ihren unverhofften posthumen Ruhm.

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