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    Tatort: Gier
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Tatort: Gier
    Von Lars-Christian Daniels

    Seit die aufgeweckte Bibi Fellner (Adele Neuhauser) dem mürrischen Chefinspektor Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) bei den Ermittlungen unter die Arme greift, weht im Wiener „Tatort“ frischer Wind: Das Debüt der mittlerweile trockenen Ex-Alkoholikerin im Jahr 2011 markierte einen deutlichen Qualitätsaufschwung im bis dahin etwas angestaubt wirkenden Krimi aus Österreich, der sich in den folgenden Jahren in der Spitzengruppe der öffentlich-rechtlichen Krimireihe etabliert hat, wenngleich der ORF zuletzt immer häufiger Mittelmaß bot: Der „Tatort: Paradies“, in dem es Eisner und Fellner in ein Altersheim in der Steiermark verschlug, fiel ebenso harmlos aus wie der „Tatort: Grenzfall“, bei dem die Wiener Ermittler im tschechisch-österreichischen Grenzgebiet auf Täterfang gingen. In Robert Dornhelms „Tatort: Gier“ geht der Trend nun sogar vom Durchschnitt ins Negative: Der zwölfte gemeinsame Einsatz von Eisner und Fellner ist ihr bisher schwächster, was vor allem an der hohen Vorhersehbarkeit der Geschichte, dem fehlenden Wiener Schmäh und der bisher vielleicht langweiligsten ersten Filmhälfte des „Tatort“-Jahres 2015 liegt.

    In einer Chemiefabrik  ereignet sich ein tragischer Unfall: Roswita Mader (Emily Cox), das schwangere Patenkind von BKA-Chef Ernst Rauter (Hubert Kramar), trägt einen mangelhaften Schutzanzug und wird mit hochaggressiver Säure verätzt. Chefinspektor Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Major Bibi Fellner (Adele Neuhauser) befinden sich gerade auf Rauters Geburtstagsfeier, auf der auch Roswitas Ehemann Helmut Mader (Eugen Knecht) von dem schrecklichen Zwischenfall erfährt. Wenig später erliegt die junge Frau ihren Verletzungen. Obwohl Eisner und Fellner nicht für Unfälle dieser Art zuständig sind, bittet Rauter sie darum, sich der Sache persönlich anzunehmen. Die Wiener Ermittler finden heraus, dass die Schutzanzüge von der Firma Petronatex, einem Subunternehmen des Wendler-Konzerns, geliefert wurden. Deren Geschäfte leitet Finanzexpertin Sabrina Wendler (Maria Köstlinger), deren Mann Peter (Anian Zollner) sich nach einem Mordversuch an ihr in der Psychiatrie befindet. Auf dem Chefsessel des traditionsreichen Familienunternehmens sitzt unterdessen Sabrinas Geliebter Viktor Perschawa (Michael Masula). Kritisch beäugt wird dieser von Sekretärin Elisabeth Schneider (Johanna Mertinz), einem treuen Urgestein der Firma...

    Die 950. Ausgabe der populären Krimireihe krankt an einem grundsätzlichen Dilemma: Zu einem echten „Tatort“ gehört normalerweise ein Mord oder zumindest ein Auftaktverbrechen – und das gibt es diesmal nicht. Der Säure-Unfall der schwangeren Roswita, den Regisseur Robert Dornhelm (Oscar-Nominierung für die Ballett-Dokumentation „The Children Of Theatre Street“) in all seiner Grausamkeit zeigt, ist einfach ein tragisches Unglück, das allenfalls auf Profitgier und das Einsparen von Materialkosten zurückzuführen ist. Die Kommissare verrichten in der Folge eine geschlagene Filmdreiviertelstunde lang den Job, der eigentlich den Arbeitsinspekteuren zufällt: Sie hören sich ein wenig in der Firma um, lassen Herkunft und Material des Schutzanzugs prüfen und stehen doch vor einer entscheidenden Frage: Warum das alles? Der Unfall ist nicht mehr zu ändern und weitere Opfer nach ersten Maßnahmen der Firmenleitung mit ziemlicher Sicherheit auszuschließen. Eisner und Fellner, die einzig auf Wunsch ihres Vorgesetzten („Macht’s für mich – bitte!“) auf Spurensuche gehen, stochern einfach mal ein bisschen im Nebel – das gestaltet sich unheimlich zäh und dient in erster Linie dazu, die ziemlich schablonenhaft angelegten Nebenfiguren einzuführen.

    Unter diesen gibt es dann auch nur eine wirklich interessante Figur: Es ist der undurchsichtige Schnurrbartträger Peter Wendler (Anian Zollner, „Wir wollten aufs Meer“), der allerdings in der geschlossenen Psychiatrie hockt und daher als Mörder des obligatorischen zweiten Toten definitiv ausscheidet. Immerhin: Mit der zweiten Leiche  – die wie so oft im „Tatort“ pünktlich nach 45 Minuten gefunden wird – kommt der Krimi endlich auf Betriebstemperatur, obwohl Drehbuchautorin Verena Kurth („Schnell ermittelt“) sich mit diesem Whodunit nach Schema F allzu widerstandslos den ungeschriebenen Gesetzen der Krimireihe unterwirft. Weil die erste Krimihälfte für die spannungslose Spurensuche im Umfeld des Chemiekonzerns verschenkt wurde, bleibt für mehr aber auch kaum Zeit: Allenfalls die pfiffige Schlusspointe, die an Alfred Hitchcocks Suspense-Thriller „Frenzy“ erinnert, ist ein gelungener Überraschungsmoment.

    Dem zwölften gemeinsamen „Tatort“ von Adele Neuhauser („3faltig“) und Harald Krassnitzer („Gier“) fehlt es aber nicht nur an einer originellen Geschichte, sondern auch an dem berühmt-berüchtigten Wiener Schmäh, der den „Tatort“ aus Österreich so unverwechselbar macht: Sowohl Moritz Eisner, der diesmal von den Anrufen seiner zuletzt in der Reha schwitzenden Tochter Claudia (Tanja Raunig) verschont bleibt, als auch Bibi Fellner, deren kultverdächtiger Pontiac Firebird sich vorübergehend in der Werkstatt befindet, geben sich diesmal überraschend handzahm. Die amüsanten Frotzeleien und Streitereien, die sonst meist schon allein das Einschalten wert sind, fehlen fast komplett – zum Schmunzeln laden eigentlich nur die einleitende Party, auf der die beiden völlig overdressed erscheinen, und eine subtil humorvolle Szene im Präsidium ein. In der haben sich die ungleichen Ermittler zwei Pizzen bestellt haben und Fellner überlässt wie selbstverständlich ihrem Kollegen die Rechnung überlässt („Die Funghi zahlt!“). Für eher unfreiwillige Komik sorgt hingegen Sabrina Wendlers seltsamer Hausangestellter Gupta Kumar (Thomas Nash), dessen indischer Akzent zwar prächtig mit seinem exotischen Gärtner-Outfit harmoniert, ansonsten aber ziemlich aufgesetzt wirkt.

    Fazit: Robert Dornhelms „Tatort: Gier“ ist ein schwacher, erst in der zweiten Filmhälfte interessanter Krimi aus Wien, bei dem sich die Ermittler ungewohnt brav präsentieren.

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