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    Ein Chanson für dich
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Ein Chanson für dich
    Von Jens Balkenborg

    Ach ja, der Eurovision Songcontest: Seit nunmehr 61 Jahren treten bei dem wirklichkeitsfernen Liederwettbewerb hochgestylte Schlagersternchen gegeneinander an und trällern um die Gunst der Zuschauer. Das in die Jahre gekommene TV-Spektakel ist sich seither treu geblieben und zelebriert mit allerhand Pathos, Emotionen und mittlerweile auch visuellem Overkill die heile Welt. In seinem märchenhaften „Ein Chanson für Dich“ imaginiert Regisseur Bavo Defurne („Nordzee, Texas“) die fiktive Geschichte einer einstigen Ikone des Songcontests, die ausgerechnet gegen ABBA verlor und anschließend von der medialen Bildfläche verschwand. Die beiden wundervollen Hauptdarsteller Isabelle Huppert und Kévin Azaïs sowie die nostalgische Inszenierung machen aus „Ein Chanson für Dich“ eine unterhaltsame Mischung aus musikalischer Romanze und bittersüßer Komödie.

    Ihre besten Zeiten hat Liliane Cheverny (Isabelle Huppert) hinter sich: Vor 30 Jahren wurde sie als Sängerin Laura gefeiert, doch nach ihrer erfolglosen Teilnahme am Eurovision Songcontest folgte ein Karriereknick, inzwischen schlägt sie sich als Fließbandarbeiterin in einer Pastetenfabrik durch. Auch die Liebe zu ihrem ehemaligen Manager und Komponisten Tony Jones (Johan Leysen) ging nach dem Scheitern beim Schlager-Grand Prix den Bach runter. In ihren schnöden Alltag aus monotoner Arbeit und einsamen Besäufnissen vor dem Fernseher kommt frischer Wind, als sie den Boxer Jean Leloup (Kévin Azaïs) in der Fabrik kennenlernt. Der Jüngling erkennt in Liliane die einstige Pop-Ikone und ermuntert sie zu einem Comeback. Nach einem ersten Auftritt in Leloups Boxclub blüht Liliane auf und die beiden verlieben sich ineinander. Jean wird ihr Manager und meldet Laura kurzerhand beim Vorentscheid zum Eurovision Songcontest an. Da allerdings auch ein Lied für den Wettbewerb her muss, wendet sich Liliane an Tony, der zugleich auch in der Jury sitzt ...

    Der Flame Bavo Defurne erzählt in seiner märchenhaften Geschichte vom zweiten Frühling einer desillusionierten und in die Jahre gekommenen Frau. Für diese Figur hätte er keine bessere Besetzung finden können als Isabelle Huppert. Die Ausnahmeschauspielerin, die zuletzt für ihre Darbietung als Vergewaltigungsopfer in Paul Verhoevens verstörendem Thriller „Elle“ eine Oscar-Nominierung erhielt und sowohl den Golden Globe als auch den César gewann, holt aus der im Grunde vergleichsweise simplen Rolle des Showbusiness-Phoenix ein Maximum an Charakternuancen heraus. Der wesentlich jüngere Kévin Azaïs („Liebe auf den ersten Schlag“) steht der Grande Dame Huppert allerdings in nichts nach und spielt seinen Boxer mit sympathischem Post-Adoleszenz-Charme und verschmitzter Neugier.

    Im Zentrum des Films steht die eigentlich unmögliche Liebe zwischen der gealterten Diva und dem 21-Jährigen, der noch bei den Eltern wohnt. Defurne inszeniert den Weg der Beiden heraus aus der von kühlem Edelstahl dominierten Fabrikküche hin zu neuer Leidenschaft als Zusammenprall von Alt und Neu, von Nostalgie und Moderne. Von der außerfilmischen Gegenwart sind sie dabei allerdings weit entfernt: Mit seinem Schnauzbart, den stahlblauen Augen und Sprüchen wie „Du brauchst Liebe wie eine Blume Wasser“ könnte Jean ebenso gut einem Klassiker der großen Hollywood-Ära entsprungen sein, und auch die Mopedfahrten der Turteltäubchen und die theatralisch-musikalischen Überhöhungen in dramatischen Szenen lassen an alte Filme denken. Und so verläuft die Gefühlsachterbahn der Liebenden auch in vertrauten Bahnen und bietet kaum Überraschungen.

    Neben den sympathischen Darstellern belebt vor allem der trockene Humor, der in einigen Szenen zu Tage tritt, Defurnes erst zweiten Spielfilm: Dem Vater von Jean und seiner Heldenverehrung von Laura sind hier ebenso einige Lacher garantiert wie den lustigen Spitzen gegen das Showbusiness, etwa wenn nach Lauras Auftritt die karnevalesken Five Boys auf die Bühne gerufen werden oder der Moderator zur Pausenunterhaltung eine skateboardfahrende Saxophonistin ansagt. Eine fundierte Kritik an den Mechanismen der Unterhaltungsindustrie ist das aber nicht, dafür ist „Ein Chanson für Dich“ viel zu sehr im eigenen zahmen Eskapismus-Modus gefangen.

    Fazit: Bavo Defurnes zweiter Spielfilm ist etwas seichtes, aber kurzweiliges Unterhaltungskino mit tollen Darstellern.

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