Mein Konto
    Tatort: Der hundertste Affe
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    1,5
    enttäuschend
    Tatort: Der hundertste Affe
    Von Lars-Christian Daniels

    Die Bremer „Tatort“-Kommissare Inga Lürsen (Sabine Postel, „Die Kanzlei“) und Nils Stedefreund (Oliver Mommsen, „Ein offener Käfig“) gehören zu den dienstältesten der Krimireihe: Lürsen ist bereits seit 1997 in der Hansestadt aktiv und wurde zunächst vom unscheinbaren Assistenten Stefan Stoll (Rufus Beck, „Der bewegte Mann) unterstützt, ehe 2001 Stedefreund ins Team stieß und seitdem an ihrer Seite ermittelt. Trotz dieser dauerhaften Konstellation tat sich personell in den vergangenen Jahren einiges: Lürsens Tochter Helen Reinders (Camilla Renschke) wurde zur Vorgesetzten ihrer eigenen Mutter, Stedefreund verabschiedete sich 2013 vorübergehend nach Afghanistan und Aushilfskommissar Leo Uljanoff (Antoine Monot, Jr., „Absolute Giganten“) segnete schon nach zwei Folgen das Zeitliche. Auch in Florian Baxmeyers „Tatort: Der hundertste Affe“ kommt wieder Bewegung ins Personalkarussell: Eine neue BKA-Kollegin bringt die Bremer Ermittler auf Trab und bandelt außerdem mit Stedefreund an. Der amüsante Auftritt der egozentrischen Beamtin ist der Lichtblick in Baxmeyers rasantem Terror-Thriller, dessen dynamische Inszenierung die dünne Geschichte und die schwachen Figuren bei weitem nicht übertünchen kann.

    Die Stadt Bremen befindet sich im Ausnahmezustand: Die radikalen Umweltaktivisten Luisa (Friederike Becht), Sven (Franz Pätzold) und Dabo (Jerry Hoffmann) drohen mit einem Giftanschlag aufs Trinkwasser. Ihre Forderungen: Der Wissenschaftler Dr. Urs Render (Manfred Zapatka), der derzeitig in Untersuchungshaft sitzt, soll sich öffentlich zu den Machenschaften seines Arbeitgebers bekennen – einem Biotechnologiekonzern, der ohne Rücksicht auf Mensch und Umwelt Millionen mit genmanipuliertem Saatgut und Pestiziden verdient. Schon bald gibt es eine erste Tote im Bremer Stadionbad. Die Hauptkommissare Inga Lürsen (Sabine Postel) und Nils Stedefreund (Oliver Mommsen) werden gemeinsam mit ihrer Chefin Helen Reinders (Camilla Renschke) und dem Kommissar vom Dienst Joost Brauer (Werner Wölbern) in den Krisenstab von Leiter Helmut Lorentz (Barnaby Metschurat) berufen. Die Ermittler ahnen nicht, dass die Terroristen eine Webcam im Präsidium gehackt haben und ihre Gespräche belauschen. Doch da gibt es ja noch die eigenwillige BKA-Kollegin Linda Selb (Luise Wolfram), die fernab des Präsidiums auf eigene Faust ermittelt...

    Der Bremer „Tatort“ war in den vergangenen Jahren die Wundertüte unter den aktuell 21 verschiedenen Schauplätzen der Krimireihe: Hochklassigen Beiträgen wie „Tatort: Brüder“ oder „Tatort: Die Wiederkehr“ standen schwache Folgen wie „Tatort: Hochzeitsnacht“ oder „Tatort: Ordnung im Lot“ gegenüber. Mittelmaß ist an der Weser nahezu ausgeschlossen, und auch der 28. Fall von Lürsen und Stedefreund wird sicher polarisieren: Regisseur Florian Baxmeyer („Die drei ??? – Das verfluchte Schloss“), der zum elften Mal einen „Tatort“ im kleinsten deutschen Bundesland inszeniert, legt ein halsbrecherisches Erzähltempo vor und bricht dabei mit vielen Konventionen der Erfolgsreihe. Nach einer kurzen Einleitung, in der Lürsen und Stedefreund vor den Trümmern ihrer Ermittlungen stehen („Wir haben’s verbockt!“), springt die Handlung ein paar Stunden zurück und das Geschehen wird chronologisch aufgerollt – Uhrzeiteinblendungen in bester „24“-Manier inklusive. Die Schnittfrequenz ist atemberaubend, die Bilder von Kameramann Peter Joachim Krause („Auf das Leben!“) sind oft verwackelt und die Dialoge so schnell aneinandergereiht, dass dem Zuschauer kaum Zeit bleibt, seine Gedanken zu sortieren.

    Die flotte Inszenierung und das echtzeitnahe Terror-Szenario können aber nicht über die schablonenhaften Nebenfiguren und die erheblichen Logiklöcher im Drehbuch von Christian Jeltsch („Stille“) hinwegtäuschen: Wie schon im vorherigen Bremer „Tatort: Wer Wind erntet, sät Sturm“ stehen wieder überzeichnete Umweltaktivisten im Blickpunkt, die aus allen Rohren mit nervtötenden Plattitüden feuern. Die toughe Luisa und der verliebte Sven reiben sich in ermüdenden Streitereien auf, die wie aus dem Baukasten für Konfliktgespräche zusammengeschustert klingen und schon im nächsten Moment wieder vergessen sind. „Denk an unsere Ziele: weltweite Öffentlichkeit!“, maßregelt Luisa ihren hadernden Partner, und hält beim Showdown drei Dutzend aufgeregte Journalisten mit einer Wassersprenkleranlage in Schach. Der psychisch labile Sven kapert hingegen mühelos eine Webcam im Präsidium, lässt sich von den Ermittlern aber mit einer simplen Retourkutsche narren, statt seinen Laptop einfach abzuschalten. Deutlich glaubwürdiger gestalten sich die Machtspielchen im Präsidium, bei denen der abgebrühte Krisenstabsleiter Helmut Lorentz (Barnaby Metschurat, „Der gute Göring“) viele Sympathiepunkte verbucht.

    Der große Lichtblick im schwachen Figurenensemble ist aber BKA-Kollegin Linda Selb (Luise Wolfram, „Aus der Kurve“), die auch zukünftig in Bremen mitermitteln soll: „Ich bin die Beste, wenn man mich in Ruhe lässt“, keift sie schon bei der ersten Begegnung in Richtung der Kollegen, und sorgt mit ihren ich-fixierten Methoden in der Folge für so manchen Lacher. Der wichtigtuende Stadtrat Claas Beckmann (Johannes Allmayer, „Colonia Dignidad - Es gibt kein Zurück“) und der von seinem Arbeitgeber enttäuschte Wissenschaftler Urs Render (Manfred Zapatka, „KDD - Kriminaldauerdienst“) hingegen sind nur wandelnde Klischees. Dass in diesem seelenlosen „Tatort“ unter dem Strich über ein Dutzend Menschen sterben, gerät im Übrigen fast zur Randnotiz: Das Schicksal der Opfer lässt einen völlig kalt, weil ihr Tod nur in Nebensätzen thematisiert wird und es einen weiteren großen Anschlag auf die Hansestadt zu verhindern gilt. So wird die dynamische Verpackung und das für „Tatort“-Verhältnisse ungewohnt hohe Erzähltempo wohl am ehesten den Zuschauern gefallen, die die Hamburger „Tatort“-Folgen mit Til Schweiger und Fahri Yardim lieben, in denen es ähnlich leichen- und temporeich zugeht.

    Fazit: Florian Baxmeyers „Tatort: Der hundertste Affe“ ist ein flott inszenierter Thriller, enttäuscht aber im Hinblick auf Drehbuch und Figuren auf ganzer Linie.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top