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    My Zoé
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    My Zoé

    Was lange währt, wird doch nicht immer gut

    Von Oliver Kube

    Schon Mitte der 1990er begann die Schauspielerin, Drehbuchautorin und Regisseurin Julie Delpy mit den Arbeiten an ihrem mit Sci-Fi- und Thriller-Elementen gespickten Melodram „My Zoe“. Die ursprüngliche Idee zu den zentralen moralischen Dilemmata kam ihr, als sie sich bei der Arbeit an der „Drei Farben“-Trilogie ausführlich mit dem legendären Filmemacher Krzysztof Kieślowski über die Themen Elternschaft, Liebe, Verlust und Schicksal unterhielt. 2016 sah es dann endlich so aus, als ob die Französin ihr langgehegtes Herzensprojekt endlich würde realisieren können. Doch dann stieg einer der Hauptfinanciers nur Wochen vor dem geplanten Produktionsstart plötzlich aus, weil sein neuer US-Anwalt ihm dazu geraten hatte. Anstatt nach Vorwänden und Ausreden zu suchen, sagte man der zweifach oscarnominierten Delpy geradewegs ins Gesicht, dass man nun doch nicht in ein Werk investieren wolle, bei dem eine Frau am Ruder stünde. Weibliche Regisseure wären einfach zu emotional und unzuverlässig, hieß es kurz und knapp.

    Julie Delpy war aufgrund dieser Zurschaustellung von unverblümtem Sexismus und des gigantischen Lochs in ihrem Budget verständlicherweise am Boden zerstört. Bereit aufzugeben war sie aber nicht. Mit Hilfe der Produktionsfirma ihres befreundeten Kollegen Daniel Brühl, der bereits zuvor zugesagt hatte, vor der Kamera eine essenzielle Rolle zu übernehmen, wurden neue Geldgeber aufgetan. Die ermöglichten, mit anderthalbjähriger Verzögerung doch noch den Dreh in Berlin und Moskau anzugehen. Bei einer solchen Vorgeschichte wäre es natürlich besonders schön gewesen, wenn der trotz allem fertiggestellte Film dann ein richtiger Triumph geworden wäre. Doch leider haben sich Durchhaltevermögen und Engagement aller Beteiligten künstlerisch nicht wirklich ausgezahlt.

    Die Beziehung von Isabelle und James ist einfach nicht mehr zu kitten...

    Die in der deutschen Bundeshauptstadt als Genetikerin arbeitende Franko-Amerikanerin Isabelle (Julie Delpy) und ihr britischer Mann James (Richard Armitage) stehen vor den Scherben ihrer Ehe. Nun beginnt das Tauziehen um das Sorgerecht für die gemeinsame Tochter Zoe (Sophia Ally). Beide wollen für die Kleine da sein und den anderen mit allen Mitteln ausstechen. In ihrem neuen Lover Akil (Saleh Bakri) findet Isabelle einen Verbündeten, der ihr in stressigen Zeiten beisteht. Da kommt es eines Nachts zu einer plötzlichen Hirnblutung bei Zoe. Wenig später ist das sofort ins Krankenhaus eingelieferte Mädchen tot. Doch ihre Mutter weigert sich, die Tatsache mit allen Konsequenzen zu akzeptieren. Sie entnimmt Gewebeproben vom leblosen Körper ihres Kindes und reist nach Moskau. Dort unterhält der deutsche Kollege Dr. Fischer (Daniel Brühl) eine trotz zweifelhafter Reputation florierende Praxis für künstliche Befruchtung...

    Julie Delpy, die die meisten natürlich durch ihre Rolle als Celine in Richard Linklaters bittersüßer, dialoggetriebener „Before Sunrise“-Trilogie kennen, hat als Regisseurin bisher vor allem mit seichteren Stoffen wie „2 Tage Paris“ und der Fortsetzung „2 Tage New York“ Erfolge gefeiert. „My Zoe“ startet nun auch mit einer sanften, harmlos anmutenden Szene, in der Gemma Arterton („Hänsel und Gretel: Hexenjäger“) ihren Babybauch streichelt. In Wahrheit ist der sanfte Einstieg aber schon eine Andeutung für das ambivalenten Finale, dass die Zuschauer offensichtlich zu möglichst hitzigen und spannenden Diskussionen nach dem Verlassen des Kinosaals anstacheln soll.

    Schwangerschafts-Sci-Fi

    Auf dem Weg zu diesem Finale gilt es für den Zuschauer allerdings einiges an Holprigkeiten zu überstehen. So braucht die Einführung, inklusive Vorstellung von Isabelle und ihrem Verhältnis zu sowohl ihrer süßen Tochter als auch ihrem Ex, einfach viel zu lange. Es ist schnell offensichtlich, dass Mann und Frau einfach nicht mehr miteinander können und ihre Zwistigkeiten beziehungsweise individuellen Eitelkeiten ungewollt auf dem schmalen Rücken von Zoe austragen. Trotzdem sehen wir mindestens drei oder vier „Kramer gegen Kramer“-Szenen zu viel – Zeit, die besser darin investiert worden wäre, dem Publikum von Anfang an zu vermitteln, dass sich die Handlung nicht in der Gegenwart, sondern eine paar Jahre in der Zukunft abspielt.

    So sorgt ein sich etwa zur Mitte der Laufzeit zutragender Moment, in dem Isabelle frustriert ihren Tablet-Computer wie ein Stück Pappe zusammenknüllt und in die Ecke wirft, erst einmal für Verwirrung. Später gibt es noch weitere solcher Zukunfts-Gadgets, die letztlich aber nur Beiwerk sind. Dass wir uns im Jahr 2024 befinden, wird nur irgendwann mit einer beiläufigen Bemerkung erwähnt. Dabei wäre nicht unwichtig gewesen, diesen Umstand zu kennen, wenn der Film von einer intensiven Familientragödie mit dem Abschalten von Zoes Beatmungsgeräten quasi im Handumdrehen in Richtung einer visuell recht kalten, thematisch dystopisch angehauchten Episode von „Black Mirror“ oder „The Outer Limits“ mutiert. Auf einmal sind wir dann nämlich im hier offenbar zum moralischen Wilden Westen verkommenen Moskau und sitzen mit Isabelle im Warteraum der leicht spacig anmutenden Praxis von Dr. Fischer, die gefüllt ist mit schwangeren Frauen aller Altersstufen.

    ... aber vielleicht kann der in Moskau ansässige Dr. Fischer ja bei einem anderen Problem weiterhelfen.

    Klar, Delpy wollte Isabelle in ihrer Eigenschaft als starke, unabhängige Frau etablieren. Das wäre aber sicher auch knapper und subtiler gegangen. So wirkt ihre Entscheidung, sich gegen das Schicksal als trauernde Mutter zu stellen, nicht aus spontaner Verzweiflung geboren, sondern kühl, überlegt und fast wie von langer Hand vorbereitet. Was der Geschichte viel von ihrem Potenzial nimmt und dem Zuschauer allzu früh die Möglichkeit gibt, eins und eins zusammen zu zählen, als wir die von Gemma Arterton verkörperte Figur aus der Eröffnungsszene wiedertreffen, die sich als Gattin von Dr. Fischer herausstellt.

    Es ist schade um die guten Performances, allen voran von Daniel Brühl („Rush“) und July Delpy selbst, sowie die atmosphärischen Bilder von Kameramann Stéphane Fontaine („Elle“). Aber so dürften sich die Unterhaltungen des Publikums nach dem Abspann weniger darum drehen, wie weit wir als Menschen mit neuen Technologien gehen sollten oder dürfen, als eher darum, zu welchem Zeitpunkt Kinogängerin X die finale Wendung vorausgesehen oder Zuschauer Y aufgrund der krassen tonalen Unstimmigkeit zwischen erster und zweiter Filmhälfte das Interesse verloren hat.

    Fazit: Zwei Hälften, die kein Ganzes ergeben. Julie Delpy verhebt sich mit ihrer siebten Regiearbeit und liefert einen visuell attraktiven, engagiert gespielten, erzählerisch aber arg unstimmigen Genre-Mix mit einer schon früh aus dem Gleis springenden Story.

     

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