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    Die Migrantigen
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Die Migrantigen
    Von Antje Wessels

    Der Türke wird manchmal aggressiv, der Jugoslawe liebt seine Jogginghose und der Österreicher meckert gern!“ – das behauptet jedenfalls Arman T. Riahi („Everyday Rebellion“). Der Regisseur, der Anfang der 80er Jahre aus dem Iran nach Österreich flüchtete, möchte mit seiner Komödie „Die Migrantigen“ nach eigener Aussage dazu beitragen, dem Zuschauer die Angst zu nehmen. Die Angst davor, Vorurteile zu haben, in Klischees zu denken und Menschen in Schubladen zu stecken. Deshalb erzählt er in seinem Beitrag zum Dauerbrennerthema Migration von zwei Ausländern, die so sehr integriert sind, dass sie selbst kaum wissen, wie sich ihre „Spezies“ in den Augen Außenstehender verhält. Als sie versuchen, sich den Erwartungen anzupassen und sich so aufzuführen, wie es „Ausländer nun einmal tun“, bringen sie prompt ihre Mit-Migranten gegen sich auf: Die Integrierten sorgen sich um ihren Ruf. Mit seiner amüsanten Scharade zeigt Riahi nicht nur die Absurdität einer ausschließlich von Klischees bestimmten und verzerrten Wahrnehmung (sowie die fatale Sensationsgeilheit vieler Medien), sondern eben auch, dass es ganz und gar unmöglich ist, ohne Vor-Urteile und Erwartungen durch das Leben zu gehen. Gleichzeitig animiert „Die Migrantigen“ dazu, alle vermeintlichen Wahrheiten in Frage zu stellen und zu überprüfen – ein spannender, amüsanter, erzählerisch jedoch nicht immer ganz runder Film.

    Benny (Faris Rahoma) und Marko (Aleksandar Petrović) sind beste Freunde und wohnen beide im (fiktiven) Wiener Vorstadtviertel Rudolfsgrund. In diesem sogenannten Problembezirk leben viele verschiedene Ethnien auf engstem Raum – darüber möchte die engagierte TV-Redakteurin Marlene Weizenhuber (Doris Schretzmayer) eine Reportage drehen. Auf der Suche nach geeigneten Hauptfiguren trifft sie auf Benny und Marko, die zwar beide einen Migrationshintergrund haben, jedoch so perfekt in das Wiener Vorstadtleben integriert sind, dass nur noch Bennys schwarze Haare an die fremden Wurzeln erinnern. Aus Neugier und Jux geben die beiden Freunde vor der Kamera allerdings bald das „typische“ Ausländerduo: Drogen, Schutzgeld und Gewalt stehen für die zwei fortan auf der Tagesordnung, Marlene ist hin und weg von ihrer Entdeckung. Benny und Marko bringen den Rudolfsgrund mit ihrer Ausländershow mächtig zum Brodeln, denn die anderen integrierten Migranten sehen es gar nicht gern, dass man ihren Ruf so gnadenlos in den Dreck zieht.

    Der Anfang 2017 mit dem Max-Ophüls-Preis ausgezeichnete Spielfilm beginnt mit einer Szene, die so manch einem Schauspieler mit Migrationshintergrund aus der Seele sprechen dürfte (schließlich wurde selbst ein Star wie Elyas M’Barek am Anfang seiner Karriere allzu oft auf sein vermeintlich fremdländisches Äußeres reduziert): Der in Wien geborene und aufgewachsene Benny bewirbt sich bei einem Vorsprechen für eine Theaterhauptrolle, aber übrig bleibt für ihn letztlich nur – wieder einmal – die Nebenrolle des türkischen Taxifahrers. Auch später als sich das Fernsehteam auf die Suche nach geeigneten Protagonisten für die Dokumentation macht, erregen Benny und Marko in erster Linie aufgrund ihres Aussehens und durch ihren aufgesetzten Ausländerslang Aufmerksamkeit, aber weder die Castingverantwortlichen des Theaterstücks (darunter Josef Hader in einer winzigen Nebenrolle als Regisseur), noch die Redakteure der Sendung hinterfragen, was es mit den beiden jungen Männern wirklich auf sich hat.

    Durch das Doku-Szenario treibt Regisseur Riahi das Wechselspiel von imitierten, ausgebeuteten und verinnerlichten Klischees wirkungsvoll auf die Spitze, wobei das Ganze trotz aller Absurdität nie konstruiert wirkt und der Erzählton anders als etwa im thematisch ähnlich gelagerten Kassenschlager „Willkommen bei den Hartmanns“ immer bodenständig und fast nüchtern bleibt. Selbst der hanebüchene Einbruchversuch in die Zentrale des Fernsehsenders kommt nicht unglaubwürdig daher und wenn es hier eine Einblendung gegeben hätte, dass der Film auf wahren Ereignissen basiert, so wären wir auch ohne den täuschenden Ausschnitt aus einer Preisverleihung im Abspann, in dem Marlene Weizenhuber einen Preis für ihre Reportage entgegennimmt, versucht gewesen, das zu glauben.

    Zu dieser erstaunlichen Anmutung des Echten und Authentischen tragen vor allem die beiden Hauptdarsteller bei. Faris Rahoma und Aleksandar Petrović, die auch schon in „Auf bösem Boden“ gemeinsam vor der Kamera gestanden haben und diesmal auch am Drehbuch beteiligt waren, prägen „Die Migrantigen“ durch ihr natürliches Auftreten und ihr ungezwungenes Zusammenspiel. Sie verleihen Benny und Marko Esprit und Herz. Die wiederum bemühen sich darum, ihre Fake-Charaktere Omar Sharif („Wie der Schauspieler!“) und Tito zu glaubhaftem Leben zu erwecken. Dabei wirken sie so unbeholfen, wie es ungeübte Laien nun mal sind, zugleich erkennt der in den Schwindel eingeweihte Zuschauer sehr wohl, wie aufgesetzt die Kleinkriminellen-Masche der beiden eigentlich ist.

    Dass die erst mit der Zeit Lunte riechende Marlene lange auf den Fake hereinfällt, ist sehr amüsant, im Kontext wie er uns hier dargestellt wird, aber auch gar nicht so erstaunlich. Wenn man unbedingt etwas anderes glauben will, fällt es schließlich umso schwerer, die Wahrheit zu erkennen. Während Regisseur Riahi den zentralen Handlungsstrang um die Reportage mit allen seinen Feinheiten souverän im Griff hat, bleiben die privaten Hintergrundgeschichten mit Markos schwangerer Freundin Sophie (Daniela Zacherl) und seinem pflegebedürftigen Vater (Zijah Sokolovic), um den sich Benny öfter kümmert als Marko selbst, zu oberflächlich und bringen den Erzählfluss zwischendurch ins Stocken. Das nimmt dem Film einiges von seiner Dynamik, aber kaum etwas von seiner Originalität.

    Fazit: „Die Migrantigen“ lebt von einer amüsanten Idee und dem Gefühl, das Geschehen könnte sich so oder so ähnlich tatsächlich auch in der Realität abspielen. Zwischendurch hält sich Regisseur Arman T. Riahi allerdings zu sehr mit Nebensächlichkeiten auf.

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