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    Distorted - Nichts ist, wie es scheint
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    1,5
    enttäuschend
    Distorted - Nichts ist, wie es scheint

    Gescheitert trotz 360 Grad

    Von Lutz Granert

    Für die Vermarktung von „The Humanity Bureau“ haben sich die Macher 2018 etwas Originelles einfallen lassen. Denn statt den apokalyptischen Actionthriller nur als klassischen Film zu veröffentlichen, gab es parallel auch noch eine auf drei Bildschirme ausgelegte Multimedia-Version sowie einen 360-Grad-Virtual-Reality-Kurzfilm. Der Produzent Kevin DeWalt erklärte sein Ansinnen in einem Interview mit dem Branchenmagazin Variety wie folgt: „Wir wollen dem Publikum mehrere Möglichkeiten bieten, das filmische Universum zu erleben und sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen.“ „The Humanity Bureau“ konnte die so aufgebauten Erwartungen jedoch nicht mal im Ansatz erfüllen. Der dystopische Plot um eine radikale Leistungsgesellschaft in einer Welt nach dem Klimawandel entpuppte sich als zu flach, Nicolas Cage agierte in der Hauptrolle sichtlich gelangweilt und die preisgünstige Inszenierung von Regisseur Rob W. King ließ jegliche Atmosphäre vermissen. So fiel der Film – und damit auch der Rest des Projekts – bei Publikum und Kritikern gleichermaßen durch.

    Aber das hielt Produzent Kevin DeWalt und Regisseur Rob W. King nicht davon ab, es gleich bei einem weiteren gemeinsamen Projekt noch ein zweites Mal zu wagen: Eine Woche vor dem US-Start von „Distorted - Nichts ist, wie es scheint“ am 22. Juni 2018 ging unter dem Titel „Distorted Reality“ der begleitende zehnminütige 360-Grad-Kurzfilm, der am Set nach den eigentlichen Spielfilmaufnahmen mit Hilfe von 16 aufeinander abgestimmten GoPro-Kameras gleich noch mit abgedreht wurde, auf verschiedenen Virtual-Reality-Plattformen online. Ein netter Marketing-Gag, keine Frage. Aber am Ende kann selbst dieses gelungene Gimmick den halbgaren Psychothriller, der durch seine abstrusen Wendungen in der Schlussviertelstunde mehr Fragen als Antworten liefert, nicht vor der Belanglosigkeit retten.

    Auch die tolle Christina Ricci kann den Film nicht retten.

    Seit dem Tod ihres Kindes leidet die junge Malerin Lauren (Christina Ricci) an einer bipolaren Störung. Um ihr Trauma endlich hinter sich zu lassen, beschließt sie, gemeinsam mit ihrem Mann Russell (Brendan Fletcher) in einen modernen Wohnkomplex zu ziehen, der zugleich die Vorzüge zahlreicher Smart-Home-Anwendungen bietet. Nachdem sich die beiden häuslich eingerichtet haben, verstärken sich jedoch Laurens paranoide Wahnvorstellungen. Schließlich wendet sie sich in ihrer Verzweiflung sogar an den Enthüllungsjournalisten Vernon Sarsfield (John Cusack). Dieser vermutet, dass Lauren Opfer von Experimenten zur Bewusstseinskontrolle geworden ist. Russell glaubt seiner Frau zumindest anfänglich nicht und will sie schon in eine psychiatrische Anstalt einweisen lassen, als er schließlich ebenfalls zu erkennen meint, dass die neuen Vermieter offenbar ein teuflisches Spiel mit dem Paar treiben …

    Ein sichtlich bockloser John Cusack

    Der Psychothriller „Distorted - Nicht ist, wie es scheint“ lebt in erster Linie von seiner großartigen und sehr präsenten Hauptdarstellerin: Christina Ricci, die zuletzt in der Indie-Perle „Mütter und Töchter“ im Kino zu sehen war, ist unter ihrer blonden Mähne zwar fast nicht wiederzuerkennen. Trotzdem liefert sie als panisches, sichtbar verunsichertes Psychowrack, mit dem man sofort mitleidet, eine überzeugende Vorstellung ab. Schade ist nur, dass auch ihr nur eine simple Charakterzeichnung zukommt und die Ursache ihres Traumas bis zum Ende nicht ganz klar wird. Deutlich geringer fällt die Screentime von John Cusack („Arsenal“, „Blood Money“) aus, der erst nach 42 Filmminuten das erste Mal und selbst dann nur in einer Handvoll kurzer Szenen gelangweilt ins Geschehen eingreift. Als dubioser Journalist, der sich bei Treffen im Flüsterton in betont konspirativer Manier die Kapuze oder die Baseballkappe möglichst tief ins Gesicht zieht, bleibt er konsequent unterfordert. Cusack kratzt hier nicht nur an der Grenze zur unfreiwilligen Komik – und steht damit seinen mit Verschwörungstheorien von militärischen Experimenten zur Bewusstseinskontrolle, unterschwelligen Werbebotschaften und Manipulation durch elektromagnetische Wellen vollgestopften Dialogen in nichts nach.

    John Cusack muss sich anstrengen, um beim Schauspielen nicht direkt einzuschlafen.

    Die holprige Inszenierung von Rob W. King tut ihr Übriges, um so etwas wie Spannungsaufbau oder wohlige Gänsehaut-Atmosphäre von vorneherein zu vermeiden. Stattdessen wird auf plumpe Effekte gesetzt. „Distorted - Nichts ist, wie es scheint“ ist Epileptikern allein schon deswegen nicht zu empfehlen, weil King mit Laurens Umzug in den neuen Smart-Building-Wohnkomplex als übermäßig genutztes Stilmittel immer wieder grelle Stroboskop-Effekte auf die Zuschauer abfeuert, die schnell ganz gehörig auf die (Seh-)Nerven gehen. In bester „Ring“-Manier schaltet sich der Fernseher an, um schnell geschnittene, flackernde Aufnahmen mitsamt kurzen Textbotschaften abzufeuern, die in kurzen Einstellungen auf Lauren und den Zuschauer einprasseln.

    Während „Distorted“ über weite Strecken mit einer doch sehr gemächlichen Erzählweise auskommt, zieht Rob W. King das Tempo im letzten Viertel doch noch einmal merklich an, was aber auch eher in einer merkwürdig sprunghaften statt tatsächlich straffen Inszenierung mündet. Bei einem unmotivierten Mordkomplott gegen das Kind einer Nachbarin, das eine abstruse Wendung nach der anderen bereithält, überschlagen sich regelrecht die Ereignisse. Leider gipfelt der Film in einem wirren und weitestgehend unaufgelöst bleibenden Finale, das mehr Fragen aufwirft als beantwortet. Schade um den Aufwand, der vor allem mit der Produktion des 360-Grad-Kurzfilms betrieben wurde.

    Fazit: Selbst eine stark aufspielende Christina Ricci kommt gegen den gelangweilten John Cusack, das holprige Skript und die schwache Inszenierung einfach nicht an. So bietet „Distorted - Nichts ist, wie es scheint“ trotz überzeugender Hauptdarstellerin doch nur plumpe, vor allem zum enttäuschenden Ende hin sogar frustrierende Genrekost.

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