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    Verteidiger des Glaubens
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Verteidiger des Glaubens

    Wir waren Papst! Und haben es versaut

    Von Thomas Lassonczyk

    Erst vor kurzem hat das Forschungszentrum Generationenverträge an der Universität Freiburg eine Studie veröffentlicht, die Zahlen offenbart, die für die beiden großen deutschen Kirchen alarmierend sein dürften. So rechnet man bis zum Jahr 2060 mit einem drastischen Mitgliederschwund von beinahe 50 Prozent, von aktuell 44,8 Millionen auf dann nur noch 22,7 Millionen Mitglieder. Das hat zum einen mit der demografischen Entwicklung zu tun, die Sterberate von katholischen wie evangelischen Mitgliedern ist nun mal merklich höher als die Geburtenrate. Zum anderen hat insbesondere die katholische Kirche mit massiven Korruptionsvorwürfen, groß angelegten Finanzaffären und nicht enden wollenden Missbrauchsskandalen zu kämpfen.

    Damit passt der mit großem logistischem Aufwand produzierte Dokumentarfilm von Christoph Röhl perfekt in die Zeit. In „Verteidiger des Glaubens“ zeichnet der Regisseur, der 2009 für sein Debüt „Ein Teil von mir“ (über einen Teenager, der unverhofft Vaterfreuden entgegensieht) den Max-Ophüls-Preis erhielt, ein Porträt des deutschen Papstes Joseph Ratzinger. Dabei stellt er die durchaus gewagte These auf, dass der einst als Heilsbringer und Erneuerer der Kirche gefeierte Papst Benedikt XVI. diese in Wirklichkeit in ihre größte Krise geführt habe.

    Schon zu Beginn seines Films provoziert Röhl mit einem Satz des katholischen Theologen Blaise Pascal: „Der Mensch ist weder Engel noch Bestie, und sein Unglück ist, dass er umso bestialischer wird, je mehr er ein Engel sein will.“ Der Regisseur lässt zwar offen, ob er jemanden und wenn ja, wen er damit in seinem Werk gemeint haben könnte. Doch die ersten Bilder nach diesem Zitat zeigen Joseph Ratzinger, als er im Jahre 2005 vom Balkon am Petersplatz die Glückwünsche der begeisterten Menschenmenge zu seiner Wahl entgegennimmt.

    Es folgt eine mehr oder weniger chronologisch angeordnete Geschichte vom Aufstieg und Fall von Benedikt XVI. Dabei wird sichtbar, dass sich der einst so fortschrittliche junge Ratzinger mehr und mehr zu „einem Verteidiger der Wahrheit gegen die Moderne“ entwickelte. So wurden unter seiner Ägide progressive Bischöfe entfernt, um den „Glauben zu schützen und zu fördern“. Auch gegen Marcial Maciel, den Gründer der erzkonservativen Kongregation der Legionäre Christi, bezog der Papst nicht eindeutig Stellung. Erst als herauskam, dass Maciel unter anderem zahlreiche Sexualstraften nachgewiesen werden konnten, wurde dieser zu einem „Leben in Buße“ verdonnert (woran er sich im Übrigen nicht hielt).

    Auch danach kommt Benedikt XVI. nicht zur Ruhe, Kindesmissbrauch durch Geistliche in den USA, in Irland und schließlich auch in der Nähe seiner Heimat in Regensburg, wo Ratzingers Bruder Georg jahrzehntelang den Chor der Domspatzen geleitet hatte. All das und viele weitere Skandale auch innerhalb der Mauern des Vatikans, die das Oberhaupt der Kirche einmal sinngemäß mit den Worten „Der Teufel hat uns im Priesterjahr Dreck ins Gesicht geschmissen“ zusammenfasste, führten schließlich 2013 zum Rücktritt eines auf ganzer Linie gescheiterten Papstes, der im Film einmal als „bemerkenswert wirklichkeitsfremder Mensch“ beschrieben wird.

    Für „Verteidiger des Glaubens“ konnte Christoph Röhl ganz offensichtlich aus dem Vollen schöpfen. So drehte er nicht nur an Originalschauplätzen in Deutschland, Irland, Italien und den USA, er bekam auch nahezu alle wichtigen Experten, Weggefährten und enge Vertraute wie etwa Georg Gänswein, den Privatsekretär des Papstes, für ausführliche Statements vor die Kamera. Aber auch scharfe Kritiker wie der irische Priester Tony Flannery sagen offen ihre Meinung. Zu diesen Interviews kommen noch vor Ort gedrehte Aufnahmen kirchlicher Zeremonien und feierlicher Messen im Vatikan und anderswo sowie Unmengen seltenen Archivmaterials, unter anderem auch aus dem Jahr 1951, die Bilder von Ratzingers Weihe zum Priester zeigen. Zusammengehalten werden die Talking Heads durch Off-Kommentare, die der Tatort-Kommissar und multitalentierte Ulrich Tukur mit sachlich-nüchterner Stimme auf so objektiv wie nur mögliche Weise vorträgt. So entsteht nach und nach das Bild eines „unfehlbaren“ Menschen, der vermutlich nur das Beste für seine Schäfchen wollte, aber letztlich genau das Gegenteil davon erreicht hat.

    Fazit: Sehr aufwendig realisierter Dokumentarfilm über Aufstieg und Niedergang des deutschen Papstes Benedikt XVI., der kaum ein gutes Haar am Vatikan und der katholischen Kirche lässt. Sehr gelungen, selbst wenn der Film in der Umsetzung dem im Fernsehen allgemein üblichen Stil-Prinzip der Talking Heads folgt.

    Wir haben „Verteidiger des Glaubens“ im Rahmen des DOK.fest München gesehen.

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