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    Wackersdorf
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Wackersdorf
    Von Thomas Vorwerk

    Der oberpfälzische Ort Wackersdorf erfuhr in den 1980ern eine traurige Berühmtheit in den Medien: Polizei und Demonstranten, die der damalige bayrische Ministerpräsident Franz Josef Strauß gern als „autonome Chaoten“ (und Schlimmeres) bezeichnet hat, lieferten sich teilweise bürgerkriegsähnliche Schlachten mit vielen Verletzten und sogar Todesopfern. Worum ging es? Um eine atomare Wiederaufbereitungsanlage (WAA), die dem strukturschwachen früheren Kohleabbaugebiet neue Arbeitsplätze bringen sollte - doch die Bevölkerung zweifelte schon Jahre vor Tschernobyl an der vermeintlichen Harmlosigkeit der riesigen Anlage. Nun kommt „Wackersdorf“ als Spielfilm ins Kino.

    Angesichts der Tragweite und der anhaltenden Aktualität des Themas Atomkraft, wäre der Streit um die WAA ein passender Stoff für einen Politreißer, aber Regisseur und Co-Autor Oliver Haffner („Ein Geschenk der Götter“) macht aus „Wackersdorf“ lieber eine Art Provinzposse. Wobei einem das Schmunzeln über die dort zu sehende Blauäugigkeit und die Übertölpelungstaktiken („Befehl von ganz oben!“) schnell im Halse stecken bleibt.

    1981 in der wirtschaftlich kriselnden Kreisstadt Schwandorf in der Oberpfalz (Bayern): Die Durchhalteparolen des Landrats Hans Schuierer (Johannes Zeiler) stoßen selbst bei seinen SPD-Parteigenossen auf taube Ohren. Als die CSU-Landesregierung den Bau einer Wiederaufbereitungsanlage anbietet („eine zukunftsweisende Technologie“), erkennt der Politiker in dem Projekt die unverhoffte Chance, die Finanzen des Landstrichs zu sanieren und gleichzeitig seine Wiederwahl zu sichern. Aber dann wird ein schnell von den Gegnern der WAA gebauter hölzerner Aussichtsturm mit Protestbannern ohne rechtliche Grundlage auf Befehl aus München von der örtlichen Polizei umgerissen und Schuierer beginnt am vermeintlichen Geschenk zu zweifeln. Während er Kontakt zur örtlichen Bürgerinitiative aufnimmt und zunehmend bei den Regierungsvertretern aneckt, droht die Situation im eifrig gerodeten Forst des Nachbarortes Wackersdorf zu eskalieren...

    Im Mittelpunkt des Films steht ausgerechnet jener Politiker, der anfänglich die treibende Kraft hinter der WAA ist, was an sich schon durchaus ungewöhnlich ist. Dass der verzweifelte, aber rechtschaffene Schuierer sich dann ganz langsam in einen „Held wider Willen“ verwandelt, ist aber vielleicht noch ungewöhnlicher, denn wann hat man zuletzt einen Politiker gesehen, der seine Meinung aus Überzeugung ändert? Johannes Zeiler, bekannt geworden als Faust unter der Regie von Alexander Sokurov, zeigt hier eine starke Leistung, die an die berühmten bodenständig-rechtschaffenen Figuren von James Stewart oder Tom Hanks erinnert.

    Im ersten Drittel, ja fast der Hälfte des Films spielen die Gegner der WAA, die hier hauptsächlich durch einen Pfarrer (Harry Täschner), den Physiklehrer von Schuierers Tochter und die zur linken Gallionsfigur stilisierte junge Mutter Monika Gegenfurtner (Anna Maria Sturm) repräsentiert werden, kaum eine Rolle. Schuierer agiert hier vorrangig unter seinen Kollegen und Gegnern aus Amt und Partei, darunter sein opportunistischer Büroleiter Vollmann (Florian Brückner, „Tannbach“), der als „CSU-Spitzel“ eingestufte Jurist Bössenecker (Peter Jordan, „Sommerfest“), die parteiinterne Sportgruppe „die roten Radler“ mit dem Bürgermeister des Nachbarorts Wackersdorf.

    Außerdem an Schuierers Seite („In Zukunft läuft alles zwischen dem Karl-Heinz und mir“): der Atom- und Strom-Lobbyist Billinger (hübsch subtil schleimig: Fabian Hinrichs aus „Sophie Scholl – Die letzten Tage“), der ihm schnell das Du und die Freundschaft anbietet, den Zuschauern aber dadurch umso suspekter ist. Schuierers Familie gehört dann zu den ersten, die nicht automatisch begeistert von den Bauplänen ist, und für den durchaus wissbegierigen und aufrechten Protagonisten wird die beschwerliche Marschrichtung immer klarer.

    Es gibt zwar zwischendurch auch mal eine Beschattung, die an die bedrohliche Szene aus Mike Nichols' Atom-Drama „Silkwood“ erinnert (wie Meryl Streep als Atomgegnerin Karen Silkwood von den Scheinwerfern in ihrem Rückspiegel geblendet wurde, hat man damals sogar als Plakatmotiv verwendet), aber bis zum dokumentarisch unterfütterten Blick auf noch kommende Ereignisse gegen Ende des Films bleiben die Konflikte in „Wackersdorf“ auf einem regionalen Niveau und atmen dabei ein wenig den Duft von kleinstädtischen Scharmützeln à la „Don Camillo und Peppone“, jener französisch-italienischen Filmreihe aus den 1950ern, in der ein Dorfgeistlicher und der kommunistische Bürgermeister immer wieder aneinandergerieten.

    Das Thema ist eigentlich bierernst, aber es gibt trotzdem jede Menge unterschwelligen Humor durch einen vor allem in der Serie „Mad Men“ zur Perfektion getriebenen Effekt: Man blickt einerseits kopfschüttelnd auf vermeintlich vergangene und rückständige Zustände wie Frauendiskriminierung und grassierende Engstirnigkeit und merkt dabei zugleich immer wieder, dass sich so viel gar nicht verändert hat, obwohl inzwischen natürlich weniger kettenrauchende Hochschwangere und blindgläubige Kernkraftbefürworter zu sehen sind.

    Die recht eigentümliche Genre-Mischung funktioniert deshalb gut, weil der sehr realitätsnahe Film sehr viel Zeitkolorit bietet (besonders an einigen Originalschauplätzen) und weil dazu die Themen Atomkraft und ziviler Ungehorsam unverändert aktuell sind. Eine der am absurdesten klingenden Ideen des Films würde man einem Drehbuchautoren wohl nie durchgehen lassen, wenn sie nicht historisch verbürgt wäre: Als es nicht gelingt, den widerspenstigen Landrat, dessen Unterschrift man zwingend für den Baubeginn braucht, mundtot zu machen, wird einfach flugs ein Gesetz verabschiedet, um das Problem zu umgehen. Dieses trug sogar den inoffiziellen Namen Lex Schuierer.

    Fazit: Mit viel Lokal- und Zeitkolorit wird ein in den 1980ern brodelnder Konflikt erfrischend volksnah „aufbereitet“. Eine unterhaltsame Politiknachhilfestunde mit treffendem Aktualitätsbezug.

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