Mein Konto
    Ride Like a Girl - Ihr größter Traum
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Ride Like a Girl - Ihr größter Traum

    Garantiert kein Pferdekitsch!

    Von Carsten Baumgardt

    In den allermeisten sportlichen Disziplinen werden die Teilnehmer nach Geschlechtern getrennt. Aber es gibt Ausnahmen wie gewisse Wettkämpfe im Segeln, Motorsport oder Schießen. Die bekannteste Disziplin, in der der Kampf um die Weltspitze grundsätzlich auch zwischen den Geschlechtern ausgetragen wird, ist jedoch der Pferdesport. In der Dressur haben die männlichen Starter keinerlei und im Springreiten kaum körperliche Vorteile. Nur beim Pferderennen ist das anders. Der knallharte Job des Jockeys ist zwar für alle offen, aber die wenigen vertretenen Frauen sind meist chancenlos, weil Kraft und Ausdauer sehr wichtig sind.

    Die australische Schauspielerin Rachel Griffiths („Hacksaw Ridge“) bringt mit ihrem Kino-Debüt als Regisseurin nun eines der schillerndsten Sportereignisse in der Geschichte unter dieser Perspektive auf die große Leinwand: 2015 triumphierte nämlich Jockey Michelle Payne als erste Frau in 155 Jahren beim legendären Melbourne Cup – und das, obwohl sie als 100:1-Außenseiterin an den Start gegangen war. Ja, „Ride Like A Girl“ ist ein klassischer, inspirierender Sportfilm, der die üblichen Mechanismen des Genres nutzt. Aber Regisseurin Griffiths liefert hier keine süßliche Pferdefilmromantik (wie der Titel möglicherweise denken machen könnte), sondern schafft ein dramatisches und vielschichtiges Porträt einer extrem ehrgeizigen Sportlerin, die sich gegen alle Widerstände durchsetzt.

    Teresa Palmer und Sam Neill sind die bekanntesten Stars in "Ride Like A Girl".

    Schon als kleines Mädchen träumt Michelle Payne (als Kind: Summer North, später: Teresa Palmer) davon, später einmal als Jockey den Melbourne Cup zu gewinnen – das berühmteste Pferderennen Australiens. Seitdem ihre Mutter bei einem Unfall starb, als Michelle gerade mal sechs Monate alt war, zieht Vater Paddy (Sam Neill) sie und ihre neun Geschwister allein auf. Und die Fscamilie Payne ist verrückt nach Pferdesport. Sie besitzen ein Gestüt, alle Kinder sind Jockeys, Vater Paddy ihr Trainer. Mit 15 beginnt Michelle, bei Rennen als Jockey zu starten und erste Siege bei kleinen Veranstaltungen einzufahren. Doch sie will mehr und in eine bedeutendere Rennserie einsteigen. Darüber überwirft sie sich mit ihrem als Trainer strengen Vater und macht auf eigene Faust weiter. Nach einem verheerenden Sturz, bei dem sie schwerste Verletzungen erleidet, scheint ihre Karriere früh beendet. Doch Michelle kämpft sich zurück. Trainer Darren Weir (Sullivan Stapleton) glaubt an sie und gibt ihr eine Chance…

    Pferderennen ist ein chauvinistischer Sport“, sagt die reale Michelle Payne selbst über ihre Leidenschaft. Und sie muss es ja wissen, schließlich war sie bei den allermeisten ihrer Rennen zumindest der einzige weibliche Jockey. Sie war sogar überhaupt erst die fünfte Frau, die als Jockey beim Melbourne Cup teilgenommen hat. Bei den Buchmachern stand auf einen Sieg ihres nur 50.000 Dollar teuren Pferdes Prince Of Penzance eine Quote von 100:1. Für diesen superkrassen Außenseiter-Sieg gab es anschließend 3,6 Millionen australische Dollar Preisgeld für den Besitzer. Das Zwei-Meilen-Rennen ist ein gesellschaftliches Ereignis in Australien, wie Wimbledon beim Tennis in England.

    Regisseurin Rachel Griffiths hat Paynes Sternstunde damals im TV verfolgt: „Es war ein unbeschreiblicher Moment. Jeder erinnert sich, wo er während des Rennens war. Ich rief meinen Produzenten an und sagte: ‚Wir müssen das hier machen.‘ Es hat so viele Dinge angestoßen.“ Aber im Zentrum des Films steht natürlich weniger der finale Triumph als vielmehr der steinige Weg dorthin. Michelle Payne muss schließlich nicht nur um ihren Platz in ihrem geliebten Sport hart kämpfen, sondern sich auch als jüngstes Kind in einer Großfamilie behaupten.

    Das Jockey-Leben ist kein Ponyhof

    Zwar ist der Ton in der pferdesportverrückten Sippe harmonisch, doch wenn es um die Sache geht, kann ihr Vater Paddy auch extrem hart sein. Dieser letztendlich etwas überstrapazierte Konflikt füllt eine weite Strecke von „Ride Like A Girl“ aus: „Jurassic Park“-Veteran Sam Neill gibt das zunächst liebevoll-knorrige, warmherzige Familienoberhaupt, aus dem plötzlich ein störrisch-kaltherziger Granitkopf wird, der sich zwar weiterhin aufopferungsvoll um seine anderen acht Kinder kümmert, Michelle aber konsequent ignoriert – nur weil sie seinen Ratschlag abgelehnt hat. Aber das sind zumindest für die selbstbewusste Protagonistin nur Nebengeräusche auf ihrem mit Widerständen gespickten Aufstieg zur Spitze.

    Griffiths zeigt anschaulich, dass das Leben als Jockey kein Ponyhof ist, sondern eine der gefährlichsten Beschäftigungen der Welt. Laut einer Studie des Medical Journal Of Australia ist der Beruf des Jockeys gefährlicher als der des Boxers – nur Hochseefischer leben noch riskanter. Im Film verdeutlicht eine Texttafel diesen Fakt: Michelle Payne erlitt (bis 2015) sieben Stürze und 16 Knochenbrüche in 3.200 Rennen. Ähnlich wie zuletzt in „Bleed For This“, als Boxer Vinny Pazienza (gespielt von Miles Teller) nach einem Halswirbelbruch wieder boxt, fällt es auch hier als Zuschauer in vielen Momenten schwer, da überhaupt noch hinzusehen, wenn Michelle nach ihrem schweren Unfall unter Qualen (zu) früh wieder ins Training einsteigt. Aber so nähert sich die Regisseurin eben dem Antrieb und dem Ehrgeiz ihrer Protagonistin, die die Sturheit ihres Vaters in sich trägt.

    Michelle Payne ist unglaublich ehrgeizig.

    Teresa Palmer („Lights Out“, „Warm Bodies“) zeigt dabei eine der besten Leistungen ihrer Karriere, weil sie Michelle Payne zwar als inspirierende, unaufhaltsame Heldin zeigt, aber auch ihre ambivalente Seite zulässt. Paynes Reitstil ist aggressiver als der vieler Männer, weil sie sehr nah an den Gegnern reitet, und ihr Umgang mit Sponsoren und Besitzern kann auch mal ruppig sein, wenn es ihr nötig erscheint. Wenn Payne dann am Ende des Tages ihren großen Sieg erringt, ist das eine schöne Belohnung für das Publikum – dass die so stark einschlägt, zeigt noch einmal, dass Rachel Griffiths und ihre Hauptdarstellerin Teresa Palmer offensichtlich gute Arbeit geleistet haben. „Ride Like A Girl“ hat aller Härte zum Trotz einfach auch ein sehr großes Herz.

    Unterstützt wird die solide Charakterzeichnung von überragend atmosphärischen und authentischen Bildern von den Pferderennbahnen Australiens. Man hat aber nicht nur hier das Gefühl, direkt dabei zu sein, auch im Rennen ist der Zuschauer dank Martin McGraths („Muriels Hochzeit“) beweglicher Kamera mitten im Starterfeld der Jockeys mit dabei. Die Dynamik des Sports kommt so sehr gut rüber. Nebenbei gönnt sich Griffiths betörend schöne Landschaftsaufnahmen, um wenigstens auf der visuelle Ebene doch noch ein bisschen Pferderomantik einzuschmuggeln.

    Fazit: Von dem verniedlichenden Titel „Ride Like A Girl” sollte man sich nicht täuschen lassen: Rachel Griffiths atmosphärisch tolles Regiedebüt ist ein ansprechendes Porträt einer mutigen jungen Frau, die sich gegen alle Vorurteile mit unbändigem Willen und Ehrgeiz in einer raubeinigen Männerdomäne durchsetzt.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top