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    Irgendwann werden wir uns alles erzählen
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Irgendwann werden wir uns alles erzählen

    Bei dieser Amour Fou fliegen die Funken auf Sparflamme

    Von Michael Meyns

    Nicht nur eine Amour Fou in der deutschen Provinz, sondern auch eine Coming-of-Age-Geschichte, die in der Phase unmittelbar nach der Wende spielt und die mit der Deutschen Wiedervereinigung verbundenen Probleme aufgreift. Ganz schön viel hat sich Emily Atef mit „Irgendwann werden wir uns alles erzählen" vorgenommen, der auf dem Bestseller von Daniela Krien basiert und um die 18-jährige Maria kreist, die eine Affäre mit dem 22 Jahre älteren Henner beginnt. Während es dem Roman und seiner Prosa gelingen, vom unbestimmten Dahinleben einer Jugendlichen und ihrer Suche nach sich selbst zu erzählen, bleiben Atefs Bilder allerdings zu kunstbeflissen, um die verschiedenen Ebenen der Erzählungen überzeugend zusammenzubringen.

    Die gerade volljährig gewordene Maria (Marlene Burow) wächst in der Nähe der deutsch-deutschen Grenze auf: Seitdem ihre Mutter Hannah (Jördis Triebel) arbeitslos geworden ist, wohnt sie aber nicht mehr zu Hause, sondern sondern auf dem Brendel-Hof. Hier lebt auch ihr Freund Johannes (Cedric Eich), der voller Elan seine künstlerische Ambitionen hegt. Seine Eltern sind dagegen weniger begeistert von der Anwesenheit von Maria, die sich lieber in ihre Bücher vergräbt, als auf dem Hof zu helfen oder sich gar Gedanken über ihre Zukunft zu machen. Eines Tages läuft ihr der 40-jährige Henner (Felix Kramer) über den Weg, der allein, nur mit ein paar Hunden, auf einem Nachbarhof wohnt. Aus dem Nichts beginnt Maria eine Affäre. Sie schleicht sich zu ihm, wann immer sie kann – doch Henner trägt viel emotionalen Ballast mit sich herum…

    Maria (Marlene Burow) lässt sich in der deutschen Provinz treiben – und landet so schließlich in den Armen der sehr viel älteren Henner (Felix Kramer).

    Daniela Kriens Roman erschien 2011 und reihte sich damit ein in ein wachsendes Genre der deutschen Literatur: dem Wenderoman. Im Sommer 1990, in dem „Irgendwann werden wir uns alles erzählen“ spielt, ist die Mauer zwar schon gefallen, aber die offizielle Wiedervereinigung steht noch aus. Dennoch sind die Folgen der Wende deutlich zu spüren, auch in der Provinz nahe der nun ehemaligen deutsch-deutschen Grenze. Staatseigene Unternehmen werden abgewickelt, die Arbeitslosigkeit wächst – und mit ihr auch die Wut und der Alkoholkonsum.

    Manche hängen ihren Träumen nach, so wie Johannes, andere haben gar keine Vorstellung, was da noch kommen wird, so wie Maria. Im Roman war die Figur noch 16, im Film ist sie 18 – es sind „nur“ zwei Jahre, aber eben doch entscheidende, gerade wenn es um eine Coming-of-Age-Geschichte geht. So soll die Affäre zwischen ihr und Henner wohl weniger extrem erscheinen.

    Zwei entscheidende Jahre

    Was allerdings zur Folge hat, dass nun eine erwachsene Frau – die Hauptdarstellerin Marlene Burow war bei den Dreharbeiten sogar schon 22 Jahre alt – mit Problemen ringt, die eher zu einem Teenager passen. Betont passiv wirkt diese Maria – und dabei ist es ganz egal, ob sie Sex mit ihrem Freund hat oder auf der Wiese einen Dostojewski-Roman liest. Was sie antreibt, was sie bewegt, das bleibt offen – und dementsprechend aus dem Nichts beginnt sie dann auch ihre Affäre mit dem doppelt so alten Henner, der sie berührt, sie sich einfach nimmt.

    Man kennt diese Konstellation aus dem Kino, zuletzt hat etwa Sabrina Sarabi in „Niemand ist bei den Kälbern“ eine Affäre zwischen einer jungen, gelangweilten Frau und einem deutlich älteren Mann erzählt, ebenfalls in der Provinz, allerdings ohne den zusätzlichen erzählerischen Anspruch der deutschen Einheit. Da wirkte das alles noch konzentrierter und auch überzeugender gespielt von Saskia Rosendahl als junge Frau auf der Suche nach sich selbst. Gerade im Vergleich bleibt Marlene Burow blass und dient so vor allem als Projektionsfläche für Regie und Buch.

    Schaler Sex, aber ein gutes Verständnis für die (Nach-)Wendezeit

    Die Amour Fou bleibt dabei größtenteils Behauptung. Stattdessen überzeugen andere Aspekte: Beobachtungen der Nachwendezeit, die hochkochende Wut der Dorfbewohner*innen, die langsam merken, dass es mit den versprochenen blühenden Landschaften so schnell nichts wird. Oder der Besuch eines verlorenen Sohns der Brendels, der vor Jahren in den Westen nach Bayern geflüchtet war, sich dort ein Leben aufgebaut hat.

    Nun kommt er mit Frau und zwei brav „Grüß Gott“ sagenden Kindern auf den Hof zurück und wirkt dort reichlich fehl am Platz. In diesen Momenten, in denen der Zustand der Nachwendezeit evoziert wird, hat „Irgendwann werden wir uns alles erzählen“ seine eigentlichen Stärken – doch sie stehen eher losgelöst neben dem eigentlichen Kern des Films.

    Fazit: Ein nur bedingt erfolgreicher Versuch, eine Amour Fou in der deutschen Provinz zu erzählen. Emily Atef verfilmt mit „Irgendwann werden wir uns alles erzählen“ einen Nachwende-Roman und evoziert dabei durchaus erfolgreich die unbestimmte Atmosphäre jener Zeit. Zugleich scheitert sie aber daran, die erotische Spannung zwischen dem ungleichen Paar auf den Punkt zu bringen.

    Wir haben „Irgendwann werden wir uns alles erzählen“ im Rahmen der Berlinale 2023 gesehen, wo er in den offiziellen Wettbewerb eingeladen wurde.

     

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