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    Exil
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Exil

    Opfer oder Arschloch (oder beides)

    Von Björn Becher

    In Deutschland gibt es ein Problem mit Fremdenhass und mit rassistisch motiviertem Terror. In den vergangenen Jahren wurden Menschen ermordet, weil sie woanders herkommen, anders aussehen oder auch nur Plätze besuchten, welche die xenophoben Täter mit Ausländern in Verbindung gebracht haben. Wie es bei gesellschaftlichen Problemen Usus ist, reagiert nun auch das Kino darauf – durchaus auch radikal und schonungslos, wie zum Beispiel im schmerzhaften, oft kaum noch erträglichen „Wintermärchen“.

    Einen anderen Weg als Jan Bonny in seinem mit dem Preis der deutschen Filmkritik ausgezeichneten Drama über eine nur teilweise fiktive Version des NSU schlägt nun „Babai“-Regisseur Visar Morina in „Exil“ ein. Er nimmt nicht den Terror ins Visier, sondern geht an die Wurzel: den Alltagsrassismus. Dabei gelingen ihm eindringliche Momente, die aus dem phasenweise etwas unentschlossen wirkenden, zugleich aber mitunter auch zu offensichtlichen Drama gemeinsam mit den starken Darstellern herausstechen.

    Xhafer ist überzeugt, gemobbt zu werden.

    Der aus dem Kosovo stammende, in Deutschland für ein Pharmaunternehmen beschäftigte Xhafer (Mišel Maticevic) glaubt, an seinem Arbeitsplatz wegen seiner Herkunft schikaniert zu werden. Es kann doch kein Zufall sein, dass er schon zum zweiten Mal nicht über die kurzfristige Raumänderung für ein Meeting informiert wurde. Und sabotiert Kollege Urs (Rainer Bock) nicht sogar seine Arbeit, weil er ihm Testdaten vorenthält? Eine tote Ratte am Gartentor und ein brennender Kinderwagen vor seinem Einfamilienhaus sind für ihn endgültige Beweise für durch Ausländerhass motiviertes Mobbing. Seine Frau Nora (Sandra Hüller) versucht noch, ihn zu beschwichtigen, doch Xhafer ist von seiner Sicht der Dinge längst überzeugt…

    Zu Beginn gelingt es Visar Morina noch vorzüglich, den Zuschauer im Ungewissen zu lassen. Xhafer bildet sich die Schikanen nicht ein, die tote Ratte und der brennende Kinderwagen sind da. Zugleich steht jedoch die Frage im Raum, ob die daraus gezogenen Schlüsse von seiner Paranoia geleitet sind. Schließlich vermutet er schnell hinter allem nur noch Fremdenhass, etwa auch bei einem zugegeben überflüssigen und schlechten Witz zweier Polizisten, die mit dem Gag aber in Wahrheit auf etwas ganz anderes anspielen. Xhafer steigert sich in eine Wahnvorstellung, die schnell auch auf andere Gebiete übergreift. So ist er bald auch davon überzeugt, dass seine Frau ihn betrügt, und er fängt an, überall Anzeichen dafür zu suchen – und findet dann auch welche, selbst wenn es nur eine hochgeklappte Klobrille ist.

    Hass oder einfach nur heiß?

    Auch das spezielle Setting trägt dazu bei, diese Ungewissheit heraufzubeschwören. Auch wenn es nie explizit thematisiert wird, scheinen wir uns mitten in einer Hitzewelle zu befinden. Immer wieder laufen Ventilatoren, Hemden sind von Schweiß getränkt, den Figuren perlen die Tropfen auf der Stirn. Lässt die Hitze Xhafer überreagieren, fördert sie seine Einbildung? Oder sind Kollegen wie der ohnehin scheinbar ein ganzes Stück neben sich stehende Urs deswegen einfach langsamer und fehleranfälliger? Oder liegt Xhafer wirklich richtig, wird er gemobbt, weil er Ausländer ist?

    Eigentlich ist „Exil“ damit der perfekte Film für eine Gegenwart, in der Alltagsrassismus nicht nur Nährboden für rechten Terror ist, sondern auch zunehmend Misstrauen sät. Unterstützt von einem einmal mehr stark aufspielenden Mišel Maticevic („Im Angesicht des Verbrechens“) zeigt Morina auf, wie sehr der Protagonist leidet. Immer wieder kommt die Kamera dem Gesicht von Xhafer ganz nah und verdeutlicht, wie er versucht, sich unter Kontrolle zu halten und nicht zu explodieren – und wie er förmlich dazu gedrängt wird, hinter allem Rassismus zu vermuten.

    Kurzer, verschwitzter Sex.

    Dafür, dass die Ungewissheit darüber, was wirklich passiert, so dominant ins Zentrum gerückt wird, ist allerdings viel zu offensichtlich, wohin der Hase läuft. Je besser wir Xhafer, der selbst eine Affäre hat, kennenlernen, desto weniger zweideutig wird das Bild und desto uninteressanter wird auch das vermeintliche Verwirrspiel, das dann doch nur vorgeschoben ist. „Vielleicht bist du auch einfach nur ein Arschloch“, stellt die einmal mehr herausragend agierende Sandra Hüller („Toni Erdmann“) als sich abrackernde Mutter und Doktorandin an einer Stelle fest – und man will ihr einfach nur direkt zustimmen.

    Dabei ist es kein Problem, dass Xhafer ein Unsympath ist, es macht sogar die Darstellung von Alltagsrassismus noch wirkungsvoller, weil man trotz der Abneigung gegen die Figur mit ihm mitfühlt. Es ist nur schwer vorzustellen, wie es ein Mensch aushält, wenn die Kollegen auch nach zwei Jahren immer noch glauben, er käme aus Kroatien. Oder er bei einer Vorstellungsrunde bei jedem Gast seinen Namen nicht nur zwei, sondern meist drei Mal wiederholen muss. Solche Momente sind in „Exil“ besonders eindringlich geraten, doch das darum herumgesponnene Spannungskonstrukt fesselt irgendwann nicht mehr – und wird am Ende trotz einiger bewusst offengelassener Leerstellen dann auch noch übererklärt.

    Fazit: „Exil“ liefert eindringliche, wachrüttelnde Momente zum Thema Alltagsrassismus – bettet diese aber in einer Geschichte ein, die nur zu Beginn spannend und dann viel zu schnell durchschaut ist.

    Wir haben „Exil“ im Rahmen der Berlinale gesehen, wo er in der Sektion Panorama gezeigt wurde.

     

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