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    Nanny
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Nanny

    Der Sundance-Gewinner 2022 kommt direkt zu Amazon Prime Video

    Von Michael S. Bendix

    Auch der durchschlagende Erfolg von Jordan Peeles „Get Out“ (2017) dürfte einen entscheidenden Anteil daran haben, dass immer mehr schwarze Filmemacher*innen rassistische Strukturen und soziale Verwerfungen durch die Linse des Horrorfilms betrachten. Beispiele aus den vergangenen Jahren sind „Bad Hair“, „Antebellum“ oder auch Nia DaCostas Neuinterpretation des „Candyman“-Mythos. Nun reiht sich auch Nikyatu Jusu mit „Nanny“, der im Januar 2022 mit dem Hauptpreis beim Sundance Filmfestival ausgezeichnet wurde und nun in Deutschland direkt im Abo von Amazon Prime Video erscheint, in diese Entwicklung ein. Obwohl die Regisseurin ihr Langfilmdebüt in einem vertrauten Babysitter-Setting ansiedelt, setzt die Filmemacherin andere Schwerpunkte als viele ihrer Genre-Verwandten: Weder dringt hier eine Kinderfrau als Bedrohung in ein funktionales Familiengefüge ein, noch wird sie selbst etwa mit einem bösartigen Kind konfrontiert. Stattdessen bleibt das Genre-Element lange im Vagen – nicht unbedingt zum Vorteil des Films …

    Die aus Senegal stammende Aisha (Anna Diop) kommt als sogenannte illegale Immigrantin nach New York und findet dort schnell eine Stelle als Nanny bei einem weißen Upper-Class-Ehepaar in Manhattan. Ihren Sohn, den sie schweren Herzens in Afrika zurücklassen musste und später nachholen möchte, sieht sie fortan nur noch sporadisch auf dem Handy-Display – während sie für die ebenfalls sechs Jahre alte Rose (Rose Decker) schnell zur Vertrauensperson wird, indem sie ihr Französisch beibringt, senegalesische Gerichte kocht und Volksmärchen aus ihrer Heimat erzählt. Bei Amy (Michelle Monaghan) und Adam (Morgan Spector), den Eltern von Rose, scheint dagegen etwas nicht zu stimmen: So unterschiedlich ihre Temperamente sind – sie kontrollsüchtige Geschäftsfrau, er betont weltoffener Fotokünstler –, so gestellt wirkt ihre Freundlichkeit. Und auch ihre Ehe mutet seltsam erkaltet an. Schließlich wird Aisha von unheimlichen (Tag-)Träumen heimgesucht, die nach und nach Spuren in der Realität hinterlassen. Hat das alles etwas mit der nahenden Ankunft ihres Sohnes zu tun?

    Statt um ihren eigenen Sohn im Senegal kümmert sich Aisha (Anna Diop) um ein gleichaltriges fremdes Mädchen in Manhattan.

    Anstatt den Horror mit der Wirklichkeit zu verschränken, erzählt Nikyatu Jusu beides parallel – auf der einen Seite eine sozialrealistische Migrations- und Ausbeutungsgeschichte, auf der anderen Seite ein übersinnlicher Geisterfilm, der in oft gesehener Manier davon erzählt, wie eine metaphysische Entität die Psyche der Hauptfigur erschüttert. Jusu hat nicht nur Probleme damit, die beiden Ebenen organisch zusammenzubringen – von Schrecksequenz zu Schrecksequenz verstärkt sich auch der Eindruck, dass die Filmemacherin an den Affekten des Genres ohnehin wenig Interesse hat. Genau einmal findet sie ein nachdrücklich verstörendes Bild, wenn sich der Schatten einer riesigen Spinne an der Wand des Kinderzimmers manifestiert – ein Motiv, das auf eine der westafrikanischen Fabeln zurückgeht, die Aisha ihrem Pflegekind zum Einschlafen vorliest.

    In dieser fungiert eine Spinne namens Anansi als Symbolfigur für die Ermächtigung und den Widerstand der Sklav*innen, während sie uns als Unheilsbotin erscheint. Auch die berühmte Spinnenskulptur der französischen Künstlerin Louise Bourgeois, die nicht von ungefähr den Namen „Maman“ trägt, kann einem hier in den Sinn kommen – schließlich handelt „Nanny“ von einer Mutter, die aufgrund ökonomischer Ungleichheit ihre Rolle der Beschützerin aufgeben muss. Nur hier gelingt es dem Film, widerstreitende Deutungsmöglichkeiten in einem tatsächlich wirkmächtigen Bild zu vereinen – keine andere Horrorszene ist so effektiv, dass sie der Last der Metaphern standhalten und damit über ihre Funktion innerhalb von Jusus narrativem Konstrukt hinausweisen könnte. Zu abgegriffen sind viele Ideen, zu blass ihre Umsetzung.

    In seinen Horror-Szenen driftet „Nanny“ immer wieder ins Metaphysische ab.

    Dazu kommt, dass der wahre Horror von „Nanny“ ohnehin woanders lauert – beispielsweise in den Mikroaggressionen von Amy, die erst latent, dann immer offensichtlicher durch ihre demonstrativ wohlmeinende Fassade dringen. Was mit einem fehlgeleiteten Vergleich zwischen ihren Erfahrungen als Frau in einem männerdominierten Beruf und Aishas Ausgrenzungserfahrungen als schwarze Migrantin beginnt, setzt sich in unvollständigen Zahlungen fort – und erreicht seinen Höhepunkt, wenn Amy von ihrer Angestellten fordert, Rose kein senegalesisches Essen mehr anzubieten. Adam, der direkt beim ersten Aufeinandertreffen mit Aisha die Fotografie eines schwarzen Demonstranten dazu nutzt, sich als aufmerksamer, woker Gegenpol zu inszenieren, ist nur auf den ersten Blick eine Hilfe: Später nutzt er seine überlegene Stellung für Zudringlichkeiten aus.

    Einzig die romantische Begegnung mit dem alleinerziehenden Vater Malik (Sinqua Walls), der als Portier im gleichen Gebäude arbeitet, bietet ihr einen Ausgleich – wo ihr ansonsten jeder Arbeitsschritt und jedes Gespräch nur einmal mehr das klassen- und herkunftsbedingte Ungleichgewicht und ihre Position darin vor Augen führen. Hauptdarstellerin Anna Diop ist die Trägerin dieses Films – mit ihrer opaken Wärme, ihrem hartnäckigen Ringen um Würde füllt sie jede Szene mit Leben, selbst wenn Nikyatu Jusus Regie das Publikum oftmals auf Distanz hält. Wenn sie das Offenkundige zum Schluss noch einmal ausgiebig durcherklärt, mag man ihr das kaum zum Vorwurf machen – zum einen ist sie damit im gegenwärtigen Studio-Horrorfilm nicht annähernd allein, zum anderen lässt sich darin auch ein Versuch erkennen, das Nebeneinander der erzählerischen Fäden aufzulösen. Das kommt in diesem inhaltlich fraglos ambitionierten, aber unentschlossenen Film nur leider zu spät.

    Fazit: Nicht zuletzt dank seiner tollen Hauptdarstellerin ist „Nanny“ ein immer wieder eindrücklicher Film über die Ausbeutung migrantischer Arbeitskräfte. Die unentschiedene Erzählweise und allzu zaghafte Inszenierung verhindern allerdings, dass er auch als Horrorfilm funktioniert.

     

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