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    Firebrand
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Firebrand

    Erst im Finale fängt die Leinwand endlich Feuer

    Von Christoph Petersen

    Der vielfach preisgekrönte brasilianische Regisseur Karim Aïnouz („Die Sehnsucht der Schwestern Gusmão“) hat sich bei seinem englischsprachigen Debüt zwar von dem Sachbuch-Besteller „Das Spiel der Königin“ (» bei Amazon*) inspirieren lassen, seinen Film über die Königsgemahlin Catherine Parr (1512–1548) aber trotzdem „Firebrand“ (= „Brandstifterin“) getauft.

    Der Titel erscheint dazu auch noch in modern-blockigen, feuerroten Lettern, die die gesamte Leinwand ausfüllen. Letztendlich weckt das aber nur Erwartungen, die dann doch kaum erfüllt werden: Statt als Pop-Oper wie „Marie Antoinette“ erweist sich „Firebrand“ als zwar erlesen fotografierter, aber zugleich auch arg biederer Kostümfilm, der sein anti-patriarchalisches Anliegen erst im an Quentin Tarantino erinnernden Finale mit der nötigen feurigen Leidenschaft vorbringt.

    Die sechste Frau von Henry VIII ist zugleich auch die einzige, die die Launen des paranoiden Despoten überlebt hat.

    Zwei Ehen wurden annulliert, eine Gemahlin starb nach der Geburt eines Kindes – und zwei seiner Frauen ließ er direkt hinrichten: Das Leben an der Seite des schwerkranken, ebenso reizbaren wie paranoiden Heinrich VIII. (Jude Law) ist höchst gefährlich. Das weiß auch seine sechste Frau Catherine Parr (Alicia Vikander), die ihrem Gatten deshalb jeden (sexuellen) Wunsch von den Lippen abzulesen versucht, aber nichtsdestotrotz sehr wohl auch ihren eigenen Kopf hat: Das zeigt sich einmal mehr, als der König von England für einen neuerlichen Feldzug auf den europäischen Kontinent übersetzt und seine Gattin für die Zwischenzeit als Regentin bestimmt.

    Catherine setzt sich nicht nur für eine Modernisierung des Landes gerade in religiösen Fragen ein. Sie trifft sich verbotenerweise auch mit ihrer alten Freundin Anne Askew (Erin Doherty), die als protestantische Rebellin gegen die Macht des Königs wettert! Schon bald muss Heinrich VIII. seine Mission vorzeitig abbrechen – die höllischen Schmerzen, die sein von einer Infektion bereits halb zersetztes Bein verursacht, lassen Reisen einfach nicht mehr zu. Während der Herrscher sichtbar auf sein Ende zusteuert, wird Catherine zum Opfer der Intrigen am Hofe – und es fragt sich eigentlich nur, was zuerst kommt: der Tod des Königs oder ihre Hinrichtung...

    Allzu biederes Kostümkino

    „Firebrand“ beginnt mit einer Einblendung, dass man viel aus der Geschichte lernen könnte, vor allem „über Männer und Kriege“. Wer hingegen auch an anderen Dingen interessiert sei, der müsse dann schon seine Fantasie bemühen. Aber gerade daran hakt es hier: Wenn Catherine und Anne darüber streiten, ob es nicht bedingungslose Rebellion bis hin zum Märtyrertum bräuchte, um die verkrusteten Strukturen aufzubrechen, oder ob es nicht doch schlauer wäre, wie die Königsgemahlin etwas aus dem Machtzentrum heraus zu verändern, dann klingt das zwar mitunter wie eine durchaus moderne Debatte (etwa darüber, ob man nun der Partei Die Grünen oder dem Bündnis Die letzte Generation beitreten sollte)…

    … aber insgesamt wirkt „Firebrand“ über weite Strecken dann doch eher angestaubt, gewürzt mit „Game Of Thrones“-artigen Hof-Intrigen, die hier aber ebenfalls eher auf Sparflamme vor sich hin köcheln. Was übrigens nicht heißt, dass es nicht trotzdem auch grandiose Bilder gibt: Die gefeierte französische Kamerafrau Hélène Louvart („La Chimera“) beweist auch diesmal wieder eine große Meisterschaft darin, immer wieder regelrecht gemäldeartige Einstellungen zu kreieren. Nur kommt dazwischen eben zu selten richtig Schwung in das historische Ränkespiel.

    Ein halb verfaultes Bein als MVP

    Am meisten hat dann noch Jude Law („Phantastische Tierwesen 3“) als misogyner Patriarch beizutragen: Der 2004 zum Sexiest Man Alive gewählte Brite begeistert mit einer komplett uneitlen Performance als fettleibiger Monarch mit verschrumpeltem Hintern, der schnaufend über seine gelangweilt daliegende Frau hinwegzuckelt und dessen Bein so sehr von Infektionen durchsetzt ist, dass sich der Eiter in regelrechten Schwallen aus den Wunden ergießt. Beim Wechseln der Verbände halten sich augenblicklich alle Anwesenden in einem Umkreis von 50 Metern die Nase zu – und selbst 900 Jahre später im Kinosaal meint man, den unsäglichen Fäulegeruch noch immer wahrzunehmen.

    So richtig nach vorn wagt sich Karim Aïnouz trotzdem erst in den letzten Minuten, wenn sich „Firebrand“ ein Stück weit der revisionistischen Historien-Trilogie von Quentin Tarantino (also „Inglourious Basterds“, „Django Unchained“ & „Once Upon A Time… In Hollywood“) anschließt. Da darf dann „Tomb Raider“-Star Alicia Vikander das korpulente Aushängeschild jahrhundertelanger Misogynie zu Fall bringen – ein historisch natürlich nicht verbürgter, eher unwahrscheinlicher, aber nichtsdestotrotz durch und durch kathartischer Rachemoment, dessen befreiende Energie dem Titel nach fast zwei Stunden Spielzeit zum ersten Mal so richtig gerecht wird.

    Fazit: Abgesehen von ein paar heutig klingenden Dialogen ist nicht ganz klar, warum sich Karim Aïnouz die Geschichte von Catherine Paar für sein englischsprachiges Debüt auserkoren hat – es gibt zwar durchaus einige spannende revisionistische Ansätze (vor allem in den letzten zehn Minuten), aber insgesamt können sich diese gegen die arg betuliche Inszenierung zu selten durchsetzen.

    Wir haben „Firebrand“ beim Cannes Filmfestival 2023 gesehen, wo der Film in den offiziellen Wettbewerb eingeladen wurde.

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