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    Pingpong
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Pingpong
    Von Christian Horn

    Aus heiterem Himmel taucht der 16-jährige Paul (Sebastian Urzendowsky) bei seinem Onkel (Falk Rockstroh) und dessen wohlbetuchter Mittelschichtfamilie auf. Vor allem Anna (Marion Mitterhammer), die Frau des Hauses, ist vom unangekündigtem Erscheinen ihres Neffen wenig angetan und macht sich schon am ersten Tag Gedanken darüber, wie lange er wohl bleiben wird. Paul hat die bei der Beerdigung seines Vaters ausgesprochene Floskel, dass er jederzeit seinen Onkel besuchen könne, wenn es ihm daheim zu viel wird, zu wörtlich genommen. Pauls Cousin Robert (Clemens Berg) begegnet dem Ankömmling zunächst ebenfalls eher abweisend, freundet sich aber bald mit ihm an.

    In den folgenden 80 Minuten seziert Regisseur Matthias Luthardt, der mit „Pingpong“ sein Regiedebüt vorlegt, die auf den ersten Blick – wenn auch etwas steif wirkende – harmonisch zusammen lebende Familie. Die Schauplätze des Films beschränken sich auf das Haus der Familie, den großen Garten und den nahe gelegenen Wald samt umgekipptem Waldsee. Und auch die übrige Inszenierung ist in der jungen Tradition der „Berliner Schule“ stehend äußerst sparsam und stringent und erinnert an den französischen Regisseur Francois Ozon (Swimming Pool, 5x2). Auf der musikalischen Ebene wird weitestgehend nur das Klavierspiel Roberts eingesetzt, die Bildgestaltung ist schlicht und ohne Schnörkel und die Schnitte werden ebenfalls sehr bedacht eingesetzt, wodurch sie zur ruhigen Atmosphäre beitragen. Ohne Eile entfaltet Luthardt seine Geschichte und breitet die Konstellationen in der Familie Stück für Stück auf der Leinwand aus. Von der ersten Minute an wird der Zuschauer von der unterschwellig bedrohlich wirkenden Stimmung des Films eingenommen.

    Die zentrale Beziehung ist die zwischen Anna und Paul, in deren Mitte Robert steht. Schon bald wird klar, dass Paul in eine jugendliche, vielleicht ödipale, Schwärmerei für Anna geraten ist und diese sich davon durchaus geschmeichelt fühlt. Eifersüchtig beäugt wird das Ganze von Robert, für den Anna mehr strenge Lehrerin denn liebevolle Mutter ist. Als Pauls Onkel geschäftlich nach Madrid verreisen muss, verdichtet Luthardt seinen Blick auf diese Dreierkonstellation und spitzt seine Dramaturgie immer mehr zu. Das wesentliche Thema zwischen Anna und Robert wird das herannahende Klavier-Vorspiel für die Aufnahmeprüfung an der Kunsthochschule, an dem Robert aufgrund des Drängens seiner Mutter mehr und mehr das Interesse verliert. Auf der anderen Seite intensiviert sich der Flirt zwischen Anna und Paul immer weiter; sie kommen sich auf einer geistigen und schließlich auch körperlichen Ebene näher. Für Anna ist das alles ein Spiel, bei dem sie im Lauf der Handlung die Kontrolle zu verlieren droht. Der durch den Selbstmord seines Vaters ohnehin emotional angegriffene Paul beginnt zu leiden, als er sich in Anna verliebt, diese Liebe aber nur auf einer spielerischen Ebene erwidert wird. Sein verzweifelter Blick als er Anna vom Boden des Pools aus, den er wieder betriebsbereit machen will, fragt wie es mit ihnen weitergehen soll und diese sich wortlos umdreht, trifft den Zuschauer ganz unmittelbar – und fasst Pauls zunehmende Verzweiflung in ein ausdrucksstarkes Bild. Am Ende, als es bereits zur Katastrophe gekommen ist, wird diese Situation aus der umgekehrten Perspektive gezeigt: auf jedes „Ping“ folgt ein „Pong“.

    Die Figur der Anna ist neben Paul die schillerndste des Films. Die eher konservative und sehr dominante Frau überrascht immer wieder – etwa mit ihrer Begeisterung bei einer kleinen Essensschlacht oder damit, dass sie dem Familienhund Sekt zu dessen Geburtstag einschenkt. Marion Mitterhammer spielt überzeugend und macht Anna plausibel, ohne ihrer Figur alle Geheimnisse zu entlocken. Und auch Sebastian Urzendowsky macht seinen Charakter mit geringen Mitteln glaubhaft und (be)greifbar. Die sehr intensive Szene, als er mit Robert am Waldsee zeltet und vom Selbstmord seines Vaters erzählt, geht dem Zuschauer – neben der klaustrophobischen Kamera – auch durch Urzendowskys emotionales und lebensnahes Spiel sehr nahe.

    Matthias Luthardt fasst die sprichwörtlichen bröckelnden Fassaden in beklemmende Bilder. Eine scheinbar intakte Familie, in der es zum Frühstück frisch gepressten Orangensaft und den Feuilletonteil der „Zeit“ gibt, offenbart eine tief sitzende Unfähigkeit zur Kommunikation und wirkt schließlich mehr wie eine Zweckgemeinschaft, in der eher kalkuliert als geliebt wird. Immer wiederkehrende Motive, wie zum Beispiel das Klavierspiel Roberts, der umgekippte Waldsee oder das Tischtennisspielen, erzeugen ein Gefühl von Alltag, in den sich der anfangs als Fremdkörper empfundene Paul immer mehr einpasst. Ähnlich wie das Blut immer wieder aus seinem Verband hervortritt, fällt die Maske der Familie Tropfen um Tropfen. Die gute Mine wird innerhalb der Familie allerdings bis zuletzt aufrechterhalten, nur Paul macht seinem Frust und seinem Schmerz durch eine Verzweiflungstat Luft.

    „Pingpong“ wird durch seine erzählerische Dichte und schlichte Ästhetik zu einem weiteren Beweis für die Stärke des neuesten deutschen Films und Matthias Luthardt etabliert sich mit seinem Erstling in der Reihe der viel versprechenden jungen Regisseure aus Deutschland. Zu Recht wurde sein Film international ausgezeichnet – beispielsweise mit dem Drehbuchpreis auf dem diesjährigen Filmfestival in Cannes und einer Nominierung beim Europäischen Filmpreis für die Entdeckung des Jahres. Luthardts Sozialkritik durch seinen mikroskopischen Blick auf eine Familie kommt weitaus minimalistischer als in American Beauty daher und trifft den Zuschauer am Ende dafür umso härter.

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