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    Nackt
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Nackt
    Von Carsten Baumgardt

    Doris Dörrie ist wieder zurück in ihrem Metier. Nach dem spirituell-spaßigen Digitalkamera-Experiment „Erleuchtung garantiert“ setzt der Workaholic mit dem kammerspielartigen Drama „Nackt“ wieder auf alte Stärken. Mit teils furiosen Dialogen und starken Darstellern erforscht sie die Untiefen zwischenmenschlicher Beziehungen.

    Die emotionale Chaotin Emilia (Heike Makatsch) und der Chefzyniker Felix (Benno Fürmann) haben sich vor kurzem getrennt, worunter beide psychisch wie finanziell leiden. Trotzdem sind sie nicht verfeindet und wollen gemeinsam zu einem Abendessen mit zwei befreundeten Paaren gehen. Annette (Alexandra Maria Lara) und Boris (Jürgen Vogel) sind einfach nur glücklich, haben aber im Grunde gar keine Lust auf das Essen. Das liegt vor allem an den Gastgebern. Der neureiche Dylan (Mehmet Kurtulus) und seine hysterische Frau Charlotte (Nina Hoss) residieren in einem luxuriösen Berliner Loft, das vor Dekadenz nur so strotzt. Nach kleineren verbalen Sticheleien schlägt Emilia ein Experiment vor, das eine These beweisen soll. Paare, auch wenn sie bereits lange zusammen sind, erkennen ihren Partner durch Ertasten nicht. Damit konfrontiert, lassen sich die beiden Paare darauf ein und setzen zudem noch viel Geld darauf, dass sie es schaffen. Emilia und Felix sind die Schiedsrichter...

    Mit ihrer 11. Regiearbeit adaptiert Multitalent Doris Dörrie ihr eigenes Buch „Happy“, das sie im Vorjahr bereits zu einem Theaterstück verarbeitet hatte. Die Atmosphäre ist über die gesamte Spielzeit kammerspielartig dicht, fast alles spielt in geschlossenen Räumen. Nur die mit der DV-Kamera eingefangenen - und durch diverse Farbfilter gezogenen - Rückblenden brechen aus der bewussten Limitierung aus. Nach einer kurzen, in Rückblenden erläuterten Einführung, konzentriert sich das Geschehen - entgegen allen Genreregeln - gewagt lange auf das Duo Makatsch/Fürmann. In dieser Kombination findet „Nackt“ die größte Authentizität. Selten war Heike Makatsch ("Resident Evil") so gut und präzise auf der Leinwand zu sehen wie hier. Sie erspielt sich die höchste Glaubwürdigkeit aller Figuren. Auch Fürmann kann seinem Charakter Tiefe verpassen. In dem coolen Zyniker steckt eine sensible Seele, die sich nach und nach entblößt.

    Jürgen Vogel ist ein großartiger Schauspieler und kann generell alles mimen. Man nimmt ihm zwar ab, dass er verrückt nach der Business-Frau Alexandra Maria Lara ist, aber das Designer-Hemd und die Krawatte wirken an ihm irgendwie fremd. Das heißt nicht, dass Vogel fehlbesetzt ist, denn dazu ist er zu gut, aber hundertprozentig passts nicht. Doch Vogel gibt alles, was er in die Waagschale zu werfen hat. Lara liefert ebenfalls eine gute Leistung ab, überzeugt mit Ausstrahlung und ist zudem sehr sexy. Am unsympathischsten sind sicherlich Mehmet Kurtulus und Nina Hoss, was aber natürlich an ihren Charakteren liegt. Dylan und Charlotte schwimmen im Geld, wissen aber nichts damit anzufangen und gehen sich vor Langeweile auf die Nerven.

    Auch, wenn das tragischkomische Verbal-Scharmützel auf enge Räume begrenzt ist, zieht Kameramann Frank Griebe alle Register. Allerdings ist die übertriebene Symbolik mit den verschiedenen Farbgebungen oft zu prätenziös geraten. Die Dialoge um die drei Paar-Phasen Glück (Vogel/Lara), Trennung (Makatsch/Fürmann) und Unglück (Hoss/Kurtulus) unterliegen leider einigen Schwankungen. Zumeist großartig präzise, klug und lebensnah, wird aber manchmal einfach zu viel geredet, zu viel analysiert, zu viel zerredet, zu sehr seziert. Kaum ein reales Paar würde eine derart emotionale Selbstzerfleischung veranstalten.

    Die Struktur von „Nackt“ ist der eines Theaterstückes nachempfunden - also in drei Akte aufgeteilt. Im letzten Teil geht die Dynamik dem Ganzen etwas abhanden, die Luft ist nicht raus, aber sie wird dünner. Regisseurin Dörrie verlangte von ihrem großartig aufspielenden Ensemble viel Mut. Schließlich mussten Lara, Hoss, Vogel und Kurtulus die Tastszene, die zwar nur fünf Minuten im Film ausmacht, aber von zentraler Bedeutung ist, nackt spielen. Dörrie lässt den Zuschauer nicht allzu voyeuristisch auf das Geschehen blicken, bleibt mit der Kamera zumeist nah an den Personen. Trotz kleiner Schwächen kann „Nackt“ als Gesamtwerk überzeugen. Zu begeisternd sind die Vorstellungen der Darsteller, zu gut viele der Dialoge, als dass man sich über die unnötigen Chanson-Einlagen ärgern sollte.

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