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    The Libertine
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    The Libertine
    Von Stefan Ludwig

    Kostümfilme sind Nischenprodukte. Meist spielen sie in einer Zeit, die ins moderne Popcorn-Kino so wenig passen wie Spider-Man ins reale New York. Nach ihrem Independent-Hit Lost In Translation wagte sich etwa Regisseurin Sofia Coppola mit Marie Antoinette an dieses schwierige Genre, konnte die außerordentlichen Erwartungen jedoch nicht ganz erfüllen. In Lawrence Dunmores Drama „The Libertine“ geht es – genau wie in „Marie Antoinette“ – um die Dekadenz und den ausschweifenden Lebensstil eines europäischen Adelshauses. Trotz guter Darsteller, perfekten Kostümen und einem interessanten Inszenierungsstil langweilt das Ergebnis jedoch streckenweise, weil die Story einfach nicht konsequent genug vorangetrieben wird.

    Der Earl of Rochester (Johnny Depp) ist ein begnadeter Lyriker. Seine zynischen Stücke bringen frischen Wind in die Theaterszene des 17. Jahrhunderts. Gleichsam hat er jedoch eine ausgeprägte Schwäche für Frauen und Alkohol. Ein Mann brauche die Wirtschaft und das Bordell, ist sein Kredo. Als er vom König aus seiner Verbannung auf einen Landsitz zurückgeholt wird, beauftragt ihn Charles II. (John Malkovich), ein Theaterstück zu schreiben, mit dem der französische Botschafter beeindruckt werden soll. Rochester nutzt die Gelegenheit, um ein versautes Stück zu schreiben, das die Regentschaft von Charles II. der Lächerlichkeit preisgibt. Während des Schreibens entdeckt er die Schauspielerin Elizabeth Barry (Samantha Morton), die auf der Bühne ausgebuht wird. Er glaubt jedoch, in ihr ein kleines Juwel aufgetan zu haben und bildet sie aus. Dabei verliebt sich Rochester in seine Schülerin. Als seine Frau Elizabeth Malet (Rosamund Pike) das bemerkt, flüchtet sie aus London zurück aufs Land…

    Johnny Depp hat ein ausgeprägtes Faible für extrovertierte Figuren. In die Rolle des ambivalenten Rochesters schlüpfte er zwischen zwei Auftritten als tuntiger Pirat Jack Sparrow in den Fluch der Karibik-Filmen. Sein Charakter in „The Libertine“ ist so hassenswert wie faszinierend. In einem Eröffnungsdialog warnt er den Zuschauer gar vor sich selbst. Dem weiblichen Teils des Publikums verkündet er zudem: „I’m up for it. All the time.“ Das gelte auch für die Männer, bemerkt er anschließend. Die dummen würden ihn bald mögen, glaubt er zu wissen, die neidischen jedoch nie. Neid gegenüber dem historischen Rochester zu empfinden, wäre jedoch verblüffend: Er starb im Alter von 33 Jahren an den Folgen einer Syphilis, die seine Nase hatte verkümmern lassen, weshalb er im britischen Parlament eine goldene Maske trug.

    „The Libertine“ wurde erstmalig 1994 mit John Malkovich als Rochester im Chicagoer Steppenwolf Theater aufgeführt. Stephen Jeffrey, der auch das Stück selbst geschrieben hat, adaptierte sein eigenes Werk daraufhin als Drehbuch. Aus der Theaterherkunft macht Regisseur Lawrence Dunmore, der selbst auf der Bühne zu Hause ist, in seinem Spielfilmdebüt keinen Hehl. Ein großer Teil des Films findet ohnehin im Theater statt. Auch die aus klassischen Dramen bekannte Dramaturgie ist deutlich erkennbar. Nach dem Höhepunkt in Form der Aufführung des anstößigen Theaterstücks steuert der Film zielsicher auf die finale Katastrophe zu.

    Der größte Pluspunkt des Films ist zweifelsohne die geniale Performance von Johnny Depp (Sweeney Todd, Wenn Träume fliegen lernen, Ed Wood). Der wandlungsfähige Darsteller fühlt sich in der Rolle des lasterhaften Frauenhelden sichtlich wohl. Seine Aura nimmt den Zuschauer von Beginn an gefangen. Dazu trägt auch der starke Eröffnungsdialog bei. Mit John Malkovich (Burn After Reading, Being John Malkovich) als Charles II. bietet „The Libertine“ einen weiteren sehr guten Darsteller. Malkovich gelingt es, in seinem Spiel die Verzweifelung des Königs mit royaler Würde zu vereinen. Es war übrigens die erste Amtshandlung des historischen Charles II., Frauen auf der Theaterbühne wieder zu erlauben. Elizabeth Barry wurde zu Rochesters Verhängnis, da er sich in sie, im Gegensatz zu den Prostituierten, die er vorher regelmäßig besuchte, ernsthaft verliebte. Auch für die Rolle der Barry wurde mit Samantha Morton (Minority Report, In America, Control) eine perfekte Besetzung gefunden.

    In „The Libertine“ gibt es keinen wirklichen Sympathieträger. Die Frauen sind fast alle käuflich, die Männer sind arrogante Arschlöcher. London wird als dreckiges, urbanes Loch dargestellt, in dem die meisten ums nackte Überleben kämpfen. Besonders deutlich wird diese Lebensrealität durch den Diener, den Rochester von den schlammigen Straßen aufgelesen hat. Natürlich braucht ein Film nicht zwingend Sympathieträger. Doch wenn der Zuschauer mangels Sympathien nicht mitfühlen kann, bedarf es halt anderer Faszinationsquellen. Diese finden sich in „The Libertine“ zwar in Form der ambivalenten Figuren, doch die Handlung selbst überzeugt dafür umso weniger. Die klassische Dramendramaturgie wirkt – direkt auf einen Kinofilm übertragen – einfach zu plump. Spätestens wenn im letzten Drittel Rochester durch das Theaterstück all seine Ehre verliert, gerät der Film aus den Fugen. Das Unhappy End ist vorprogrammiert und wird doch unnötig lange hinausgezögert.

    Deshalb überzeugt der Film auch insgesamt nicht wirklich. So faszinierend der in den Mittelpunkt gestellte Frauenheld auch sein mag, so wenig faszinierend ist das Drehbuch, das auf einer Theaterbühne eindeutig besser aufgehoben ist. Diese Schwäche können auch die gut aufgelegten Schauspieler nur bedingt wettmachen. Die beeindruckenden Kostüme alleine versetzen den Zuschauer in die Zeit des Films. Dabei sind sie in eine Art Kerzenlicht getaucht, das den Film nahezu Schwarz-Weiß erscheinen lässt und zu einem enormen Rauschen führt: Schwarz ist nie ganz schwarz, sondern flimmert stets leicht gräulich. Diese interessante visuelle Spielerie macht „The Libertine“ zumindest für Liebhaber von Kostümfilmen interessant.

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