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    Bad Lieutenant - Cop ohne Gewissen
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Bad Lieutenant - Cop ohne Gewissen
    Von Jan Hamm

    Auf allen sieben Kontinenten dieser Erde hat er schon gedreht; vom monumentalen Porträt des Wahnsinns ( Aguirre, der Zorn Gottes, Fitzcarraldo) über surreale Parabeln (Auch Zwerge haben klein angefangen, The Wild Blue Yonder) bis hin zu intimen Sozialstudien (Jeder für sich und Gott gegen alle, Stroszek). In der Welt des Werner Herzog existieren Grenzen nur, um überwunden zu werden. Doch Grenzüberschreitung, das heißt mehr, als mit der Kamera in die entlegensten Winkel von Amazonas, Himalaya oder Antarktis vorzudringen. Das bedeutet auch, den Horizont zu erweitern und neuen Prämissen nachzugehen. Herzog bringt es auf den Punkt: Seinen neuen Film hätte er nicht für sich, sondern für sein Publikum gemacht – ein Cop-Drama-Remake, inszeniert nach einem fremden Drehbuch. Potzblitz! Bevor eingeschworenen Jüngern der Autorenfilmerlegende nun aber ob „Bad Lieutenant: Port Of Call New Orleans“ der Angstschweiß aus den Poren schießt, kann Entwarnung gegeben werden. Zwar schimpfte der Schöpfer des 1992er-Bad Lieutenant Herzog öffentlich zur Hölle, mehr als freundlichen Dank für die Extra-PR und die Bekundung, das Original nie gesehen zu haben, erntete Abel Ferrara damit aber nicht. Das „Bad Lieutenant“-Präfix fällt ohnehin bloß auf das Kalkül des Produzenten Edward Pressman zurück. Sei es drum: Ist er ein Herzog, oder ist er es nicht – der böse Lieutenant? Ja, eindeutig, und was für einer! Der Regie-Exzentriker lehnt sich entspannt zurück, spielt mit dem Mainstream, scheucht Nicolas Cage wie beiläufig auf einen unverhofften Karrieregipfel und neutralisiert jeglichen Pathos mit seinem einzigartigen Humor. „Bad Lieutenant“ ist die locker-leichte Fingerübung eines Meisters, ein bissiger und grandios unterhaltsamer Film.

    New Orleans, kurz nach der Katrina-Katastrophe: Terence McDonagh (Nicolas Cage, Knowing, Das Vermächtnis des geheimen Buches) und Cop-Kumpel Stevie (Val Kilmer, Frozen, Heat) schlendern durch einen Gefängniskeller und geben Wetteinsätze über die Standfestigkeit eines von der Evakuierung übergangenen Häftlings ab. Kurz bevor der arme Typ absäuft, fasst McDonagh sich ein Herz und springt trotz Designergarderobe ins kalte Nass. Ein Jahr später wird er für seine Heldentat zum Lieutenant befördert, die dabei zugezogenen Rückenschmerzen jedoch bleiben. Auf der Jagd nach Schmerzkillern ist dem Junkie jedes Mittel recht: Frisch gefilzten Stoff vor Ort wegzuballern und gleich noch einen Quickie zwecks Besänftigung der Staatsgewalt zu kassieren, gehört zur Arbeitsroutine. Als McDonagh auf einen fünffachen Mord und die Fährte des Drogenkönigs Big Fate (Xzibit, Akte X – Jenseits der Wahrheit) angesetzt wird, kippt sein dreckiger Alltag zwischen Prostituierten-Freundin Frankie (Eva Mendes, The Spirit, Ghost Rider), Gläubigern (u.a. Brad Dourif, Herr der Ringe – Die zwei Türme) und misstrauischen Kollegen endgültig aus dem Lot. Willkommen im Moloch New Orleans...

    Die Remake-Idee ist bei Werner Herzog so abwegig nicht. Immerhin schuf er mit Nosferatu – Phantom der Nacht eine faszinierende Neuinterpretation des Stummfilmklassikers Nosferatu, eine Symphonie des Grauens und schloss das junge Nachkriegskino Deutschlands wieder legitim an die Gründerzeit Murnaus an. Dennoch wäre es grob verfehlt, „Bad Lieutenant“ als Remake des Ferrara-Streifens abzustempeln, mit dem Drogen- und Korruptionshabitus des Titelgebers sind die Parallelen nämlich bereits erschöpft. Ging es bei Harvey Keitels namenlosem Cop noch um katholische Schuld-und-Sühne-Dramatik, folgt Herzog dem Stoff aus einer ganz anderen Perspektive. Und zwar einer völlig wertfreien. „Bad Lieutenant“ ist keine moralisch konnotierte Erzählung. So widerwärtig McDonagh streckenweise auch agieren mag, stets kontert Herzog die implizite Tragik aus und sorgt dafür, dass die Geschichte ihr Augenzwinkern beibehält.

    Zu den Höhepunkten zählt dabei eine für den Arthouse-Visionär untypisch in Slow Motion durchästhetisierte Ballersequenz, die McDonagh mit einem hysterisch gekreischten „Shoot him again. His soul is still dancing!“ kommentiert. Und tatsächlich: Hinter der durchlöcherten Leiche ist ein im wilden Breakdance versunkenes Alter Ego des niedergestreckten Ganoven auszumachen. Immer wieder überführt Herzog Anspannung ins Groteske, insbesondere mit Tieraufnahmen, die den Film visuell abrupt aufbrechen und eine lange Tradition im Oeuvre des Regisseurs haben, etwa in Gestalt des Dromedars in Auch Zwerge haben klein angefangen oder dem Affenrudel, das Klaus Kinskis finales Delirium in „Aguirre, der Zorn Gottes“ begleitet.

    Auf die symbolische Bedeutung dieser Aufnahmen angesprochen folgt die übliche Finte: „Fragen Sie das Ihre Freunde vom Regietheater. Die Tiere stellen gewaltige Metaphern dar – ich habe aber keine Ahnung, wofür!“ Das wird auch Nicolas Cage nicht wissen, wenn er irritiert in Richtung der auf einem Schreibtisch verharrenden und im millimeternahen Close Up eingefangenen Iguanas starrt. Und mit einem Mal ist sie glasklar, die Ahnenreihe McDonaghs, der sich als weitere Inkarnation des Herzog’schen Archetypen am ehesten neben „Fitzcarraldo“ einreiht. Der exzessiven Entgrenzung gegenüber steht kontrastierende Introversion, wenn McDonagh auf die Reise in die eigene Kindheit aufbricht, in eine Zeit, in der verbuddelte Rostlöffel noch als Piratenschatz taugten. Unter all den Schichten des Wahns verbirgt sich ein Kern kindlicher Phantasie und Unschuld. Herzog ist eben weder Richter, noch kühler Analyst. Er fühlt mit seiner Figur.

    So auch Nicolas Cage, der hier zur elektrisierenden Höchstform aufläuft. Das ist mehr als Overacting, das ist purer Jazz. Cage ist das Instrument, das zu wilden Soli ansetzt, die melodische Grundstruktur umwirbelt und ornamentiert. So wacker sich Eva Mendes, Val Kilmer oder Michael Shannon (Zeiten des Aufruhrs) in ihren Nebenrollen auch schlagen, „Bad Lieutenant“ ist Cages große One-Man-Show. Höchstens Brad Dourif kann da noch mitziehen, ihm ist der Irrsinn ohnehin ins Gesicht gemeißelt. Auch lange nach Kinski gilt: Unter Herzogs Regie wird schauspielerisches Potential nicht bloß ausgeschöpft, sondern essentiell destilliert. Harvey Keitel in allen Ehren, aber dieser „Bad Lieutenant“ hat den Vergleich nicht nötig. Da kann Ferrara noch so laut fluchen.

    Altmeister Herzog hat einen fantastischen Film gedreht, der sich nicht im Geringsten um seinen Krimiplot schert, sondern stattdessen tief, humorvoll und wertfrei in seine ambivalente Hauptfigur eindringt. Auch ohne die existenzialistische Suche nach Transzendenz und Fremdheit, die zuletzt seine Doku-Essays Grizzly Man und Encounters At The End Of The World auszeichnete, ist es ihm einmal mehr geglückt: ganz großes Kino!

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