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    Der fantastische Mr. Fox
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Der fantastische Mr. Fox
    Von Sascha Westphal

    Laut Gerüchten, die vor allem im Internet kursieren, soll der amerikanische Filmemacher Wes Anderson seinen ersten Animationsfilm „Der fantastische Mr. Fox“, eine Stopmotion-Adaption des gleichnamigen Kinderbuches von Roald Dahl, von Zuhause aus inszeniert und seine Regieanweisung per E-Mail geschickt haben. Diese Geschichte, die sicher bald den Status einer (Hollywood-)Legende erreicht, passt natürlich perfekt zu Andersons Image als leicht verschrobener Exzentriker, der sich mit seinen bizarren Familien-Filmen (Die Royal Tenenbaums, Die Tiefseetaucher, Darjeeling Limited) eine ganz eigene Nische in der Traumfabrik erobert hat. Aber sie wirft zugleich auch eine faszinierende und sehr grundsätzliche Frage auf: Wie sieht die Arbeit eines Regisseurs bei einem Animationsfilm eigentlich genau aus? Oder anders gefragt: Warum sollte er nicht tatsächlich, wenn die Sets und die Puppen erst einmal gebaut sind, einfach seine Anweisungen per E-Mail geben? Aber letztlich sind diese Fragen doch wieder müßig. Entscheidend ist nur der fertige Film, und der ist nicht nur unverkennbar von Wes Anderson. Er zählt dank seines überaus skurrilen Witzes und seiner zutiefst anarchistischen Grundhaltung fraglos zu den genialsten Animationsfilmen dieses Jahrzehnts.

    Mr. Fox (Stimme: George Clooney) war immer der beste Hühnerdieb weit und breit. Sich in einen Stall zu schleichen und dort nach Belieben Beute zu machen, lag nicht nur in seiner Natur; das war einfach seine Berufung. Doch aus Liebe zu seiner Frau Mrs. Fox (Meryl Streep) und seinem kleinen Ash (Jason Schwartzman) hat er seine Passion aufgegeben. Nun führt er ein ruhiges Leben in einem zum Fuchsbau umgestalteten Baum und verdient sein Auskommen als Kolumnist für eine Zeitung. Alles könnte perfekt sein, gäbe es da nicht seine drei Nachbarn, die reichen Bauern Grimm, Gräulich und Grob, die die größten Geflügelzuchten des Landes ihr Eigen nennen. Grob ist darüber hinaus noch der erfolgreichste Produzent von Apfelweinen. Natürlich ist die Versuchung für Mr. Fox einfach zu nah und auch viel zu groß. Schließlich plant er drei perfekte Raubzüge und führt sie zusammen mit seinem Freund Kylie (Wallace Wolodarsky), einem furchtsamen, aber treuen Opossum, durch. Nur macht er sich die drei gierigen Bauern damit zu Todfeinden. Angeführt von dem sadistischen Trinker Grob nehmen sie das Heim der Familie Fox unter Beschuss…

    Immer wieder hat Wes Anderson von dysfunktionalen Familien und launenhaften Patriarchen erzählt. Die Tennenbaums leiden genauso wie die Zissous in den „Tiefseetauchern“ unter den Schrullen und Obsessionen übermächtiger Väter. Ein Entkommen gibt es nicht. Selbst nach ihrem Tod haben – davon zeugen die Whitmans in „Darjeeling Limited“ – Andersons kaputte, aber eben auch ungeheuer charismatische Familienfürsten ihren Clan noch fest in der Hand. Mr. Fox, der in der Originalversion den unwiderstehlichen Charme George Clooneys (Ocean’s Eleven, Michael Clayton, Up In The Air) versprüht, fügt sich perfekt in diese Galerie der verantwortungslosen Väter ein. Mit seinem perfekt sitzenden zweireihigen Anzug und seinem rhetorischen Talent ist dieser Fuchs der geborene Verführer. Lange widerstehen kann ihm niemand. Nur ist – und das wissen alle, die ständig mit ihm zusammen leben, ganz genau – sein Egoismus eben noch viel größer als der Zauber, den er ausstrahlt. Und so sind seine von Meryl Streep (Mamma Mia!, Glaubensfrage, Julie & Julia) gesprochene Frau und sein Sohn Ash (Jason Schwartzman, I Heart Huckabees, Marie Antoinette), der immer in einem selbstgebastelten Superhelden-Cape herumläuft, eben nicht nur seine Familie, sondern auch seine Opfer.

    Dieser Mr. Fox könnte also direkt aus der Imagination Wes Andersons entsprungen sein. Der Filmemacher hat sich Roald Dahls Figur so sehr zu Eigen gemacht, dass es schon beinahe unheimlich ist. Dazu passt dann auch, dass sich Anderson, der bisher nur Realfilme gedreht hat, mit der größten Selbstverständlichkeit der Möglichkeiten des Animationskinos bedient. Erste Erfahrungen mit der Stopmotion-Technik hatte er zwar schon bei den Unterwasserszenen von „Die Tiefseetaucher“ gemacht, doch seinerzeit stammten die animierten Sequenzen noch von Henry Selick, dem Macher von Coraline, Nightmare Before Christmas und der Roald-Dahl-Verfilmung James und der Riesenpfirsich.

    Diese vielleicht klassischste aller Animationstechniken scheint aber auch wie geschaffen für Wes Anderson zu sein. Schließlich ermöglicht sie es ihm seiner bizarren Phantasie ganz und gar freien Lauf zu lassen. Anders als Selick, dessen Filme sich eine eigene, in sich geschlossene Realität schaffen, in die der Betrachter regelrecht eintauchen kann, betont Anderson immer ganz bewusst das Künstliche seiner Welt. Die Landschaften und die Figuren haben nichts Natürliches an sich. Sie könnten vielmehr direkt aus den Illustrationen eines Kinderbuches stammen, allerdings eines sehr schrägen Kinderbuchs, das sich letztlich eher an Erwachsene als an deren Sprösslinge richtet. Insofern ist auch „Der fantastische Mr. Fox“ letztlich gar kein Kinderfilm im üblichen Sinne. Er erzählt zwar eine Geschichte von sprechenden Tieren, wie sie gerade für das Animationskino so typisch sind. Nur hat er viel mehr mit klassischen Fabeln als mit heutigen Disney-Produktionen gemeinsam.

    Aber trotz all der offensichtlichen Verbindungslinien zu Andersons früheren Arbeiten ist „Der fantastische Mr. Fox“ weitaus mehr als eine animierte Variation bekannter Themen und Motive. Der Wechsel vom Realfilm zur Stopmotion scheint fast so etwas wie eine befreiende Wirkung auf diesen Kino-Exzentriker gehabt zu haben. Er ist sich treu geblieben und hat zugleich seinen Horizont noch einmal deutlich erweitert. Diese großartige Adaption trägt neben seiner Handschrift eben auch die seines ursprünglichen Autors. Der schwarze Humor des Films und seine extrem kritische Haltung gegenüber einer von Geld und Gier bestimmten Ordnung sind purer Roald Dahl. Der Stellungskrieg, den die drei Großbauern, die zugleich auch Großkapitalisten sind, zusammen mit ihren bezahlten Helfershelfern gegen die Familie Fox und alle anderen freilebenden Tiere führen, ist auch eine Schlacht der Weltanschauungen. Mr. Fox betont nicht ohne Grund immer wieder, dass er und seine unfreiwilligen Leidensgenossen wilde Tiere sind. Auch sie haben ihre Gemeinschaft – es gibt eine Tageszeitung genauso wie Anwälte und Grundstücksmakler. Doch diese Gemeinschaft fußt auf einem Sinn für und dem Bedürfnis nach Freiheit. Und genau diese Freiheit ist der eigentliche Feind der drei Bauern und des von ihnen getragenen Systems.

    Schon „Die Tiefseetaucher“, diese überaus eigenwillige Variation auf „Moby Dick“, den amerikanischen Klassiker schlechthin, ließ sich als Allegorie auf die verheerenden Folgen des 11. September lesen. Dennoch überrascht die Deutlichkeit, mit der Anderson diesmal politisch Stellung bezieht, zumal er selbst die Kunst und die Künstler nicht von seiner teils erstaunlich harschen Kritik ausnimmt. Der von dem britischen Sänger Jarvis Cocker gesprochene Petey ist zwar ein Folk-Sänger und Songwriter, aber auch einer von Grobs Schergen. Einmal wagt er, am Lagerfeuer eine Ballade über Mr. Fox und seine fantastischen Taten zu singen, und wird dafür natürlich sofort von seinem Boss zurechtgewiesen, was er kommentarlos über sich ergehen lässt. Auch die Künstler sind abhängig vom Kapital und lassen sich von ihm instrumentalisieren. Die für Anderson so typische Exzentrik, die bisher der letzte Fluchtpunkt für ihn und alle war, die sich mit den bestehenden Verhältnis nicht anfreunden können und wollen, reicht nun nicht mehr. Erst wenn sie zu einer Waffe des Widerstands wird, gewinnt sie wieder an Bedeutung.

    In Petey hat sich Wes Anderson zumindest in gewissen Grad selbst porträtiert. Nur führen seine Geldgeber anders als Grob keinen offenen Krieg; und so kann er seinen Film gewordenen Folksong singen, ohne dafür Abbitte leisten zu müssen. Trotzdem ist es schon ein wenig verwunderlich, dass ihm ein großes Hollywood-Studio die Mittel für diese Feier eines im tiefsten Herzen anarchistischen Amerikas zur Verfügung gestellt. Dass ausgerechnet Rupert Murdochs 20th Century Fox eine solch phantasievolle und subversive Ballade auf einen grandiosen und dabei uramerikanischen Outlaw herausbringt, ist eine der fantastischen Absurditäten des Filmgeschäfts.

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