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    "Venom": Warum mehr Gewalt dem Film gut getan, ihn aber nicht gerettet hätte

    Schon vor dem Kinostart von „Venom“ wurde die Altersfreigabe der Marvel-Adaption heiß diskutiert. Tatsächlich hätte mehr Härte der Darstellung der Hauptfigur nicht geschadet – wirklich besser wäre der Film aber allein dadurch auch nicht geworden.

    2018 Sony Pictures Entertainment Deutschland GmbH

    Achtung, es folgen Spoiler zu „Venom“!

    Venom ist nicht nur einer der ikonischsten Gegenspieler des freundlichen Wandkrabblers Spider-Man, sondern auch bekannt dafür, nicht gerade zimperlich zu sein, wenn es darum geht, seine Widersacher aus dem Weg zu räumen oder seinen Hunger zu stillen. Schon der außerirdische Symbiont, der in den Marvel-Comics die meiste Zeit – wie nun auch im Film mit Tom Hardy – den Reporter Eddie Brock als Wirt benutzt, hat eine große Vorliebe dafür, seinen Opfern die Köpfe abzubeißen. Wenn er dann auch noch auf solche Widersacher wie den brutalen Carnage trifft (ein Alien und ein Psychokiller sind keine besonders umgängliche Kombination) merkt man in einigen Comic-Ausgaben schnell, dass diese nicht unbedingt für junge Leser geeignet sind.

    Als Sony nach dem sehr gemischt aufgenommenen Venom-Leinwanddebüt in Sam Raimis „Spider-Man 3“ und einigen Verzögerungen dann tatsächlich einen Solofilm über den Marvel-Schurken und -Antihelden anging, hatten Fans der Kultfigur Hoffnung, doch noch einen werkgetreuen Kinoauftritt des düsteren Monsters mit der langen Zunge zu bekommen – zumal nicht zuletzt Regisseur Ruben Fleischer in den USA ein sogenanntes R-Rating, also eine Altersfreigabe für ein erwachsenes Publikum, in Aussicht stellte (nur um kurz vor Start zurückzurudern und von solchen Plänen nie etwas gewusst haben zu wollen). Am Ende wurden die Fan-Wünsche nicht erhört und „Venom“ bekam das familienfreundlichere PG-13-Rating, hierzulande wurde der Film – wie meistens bei dieser US-Einstufung – ab zwölf Jahren freigegeben. Aber hätte mehr Gewalt wirklich zu einem besseren Ergebnis geführt? Die Antwort ist ein „klares“ Jein.

    Gewaltlose Verwirrung

    Mehr Brutalität macht einen Film natürlich nicht per se besser (mit Ausnahme von Fun-Splattern vielleicht, die aus dem oftmals augenzwinkernden, überhöhten Gewalteinsatz ihren Unterhaltungswert beziehen). Wenn sich die explizitere Darstellung von Gewalt allerdings organisch aus der jeweiligen Erzählung ergibt und sinnvoll eingebunden wird, um ein bestimmtes Bild von Figuren, der Geschichte oder einem Setting zu zeichnen, kann sie definitiv viel zur dichten Stimmung eines Films beitragen. Bestes Beispiel aus der Comicwelt war in der jüngeren Vergangenheit wohl „Logan - The Wolverine“, wo die ständig präsente Gewalt niemals zum Selbstzweck verkommt, sondern in all ihrer schonungslosen Konsequenz die ebenso trostlose wie atmosphärische Neo-Western-Welt überhaupt erst so richtig greifbar werden lässt.

    Zu einer im Kern – und vor allem in den Comics – so finsteren Figur wie Venom hätte solch eine Konsequenz zweifellos auch gut gepasst. Auch wenn Tom Hardy sein Bestes gibt und als Eddie Brock zwischenzeitlich etwas freidrehen darf, dominiert in „Venom“ allerdings das Gefühl, dass die Kreatur selbst nicht so richtig von der Leine gelassen wird und eher mit angezogener Handbremse agiert. Und wenn es dann doch mal zu einem der wenigen Momente kommt, in dem sie sich (offenbar) am Kopf eines Menschen laben darf, sorgt das durch die vage Andeutung im schlimmsten Fall sogar eher für Verwirrung. Ähnliche Abblendungen vor einem vermeintlichen schlimmen Schicksal (das letztlich aber doch noch abgewendet werden kann), dienen schließlich in zahllosen anderen Filmen und Serien als bloße Cliffhanger. Das ist ganz offensichtlich auch den „Venom“-Machern bewusst, da sie im Anschluss an das Hirn-Mahl nochmal explizit im Dialog darauf verweisen müssen, dass da gerade ein Kopf abgebissen wurde, damit hier auch kein Missverständnis entsteht. Wenn solche außerfilmischen Umstände wie die Altersfreigabe auf diese Weise Auswirkungen auf die Gestaltung von Gesprächen innerhalb eines Films zu haben scheinen, wird das Ganze endgültig zum kleinen Störfaktor.

    Regelrecht albern ist dann zudem die Szene, in der Bösewicht Riot mit zu tödlichen Klingen geformten Armen einmal durch die Forschungseinrichtung seines Wirts Carlton Drake (Riz Ahmed) fegt, um alle Wissenschaftler dort mit einem Schlag aus dem Weg zu räumen. Das tödliche Ergebnis kann man nämlich allenfalls erahnen, so harmlos und blutleer wird es in „Venom“ inszeniert. Natürlich muss nicht alles immer haarklein ausbuchstabiert werden, aber in dieser Form bleiben zumindest Venoms und Riots Bedrohlichkeit sowie der Schrecken ihrer Taten größtenteils Behauptung. Trotz allem liegt das Hauptproblem des Films aber eigentlich woanders.

    Das wahre Problem

    Viel schwerer als fehlende Gewaltspitzen wiegt die grundsätzliche Ausrichtung des Skripts. Venom ist in seinem Film niemals Bösewicht, sondern allenfalls Antiheld (und selbst das nicht bis zum Ende) – da kann er noch so tief herumgrummeln, mit seiner schleimigen Zunge wedeln, Polizisten vermöbeln und den armen Eddie durch die Gegend wirbeln. Eine absolut sprunghafte Figurenentwicklung lässt ihn nach recht vielversprechenden Ansätzen zu Beginn des Films äußerst plötzlich zu Eddies harmlosem Schoßhündchen werden. Eddies innerer Kampf wird nur für den Bruchteil der Laufzeit zu einem halbwegs ernsten Problem, von einem Moment auf den nächsten dann aber beiseite gewischt. In einer Szene spricht Venom noch von einer geplanten Invasion der Erde, nur wenige Minuten später möchte er dann – nach einer hanebüchenen Erklärung seines Sinneswandels – auf einmal jeden Baum auf unserem Planeten umarmen.

    Venom

    Die unausgegorene Charakterisierung fängt aber eigentlich sogar schon bei Eddie an. Der Reporter ist bei weitem kein rücksichtsloser Sensationsjournalist, der für eine Schlagzeile alles tut, sondern ein durch und durch rechtschaffener Mensch, der die Welt verbessern will. Dass er dafür auch mal zu fragwürdigeren Methoden (wie dem Durchsuchen des Laptops seiner Freundin) greift, belastet sein Gewissen, doch selbst derartige Schritte dienen für ihn stets einem hehren Ziel. So wird letztlich auch Venom zu einem austauschbaren Weltenretter, den am Ende kaum etwas von herkömmlichen Superhelden unterscheidet – außer die (sehr seltenen) Menschensnacks vielleicht, für die aber natürlich nur ganz, ganz böse Jungs herhalten dürfen, dafür sorgt die strenge Erziehung durch den ritterlichen Eddie schon.

    Bei dieser Entscheidung kann sich auch keiner der Beteiligten mit der niedrigen Altersfreigabe rausreden. Auch mit einem PG-13-Siegel wäre hier in Sachen ambivalenter (und nachvollziehbarer) Figurenzeichnung wesentlich mehr möglich gewesen. Ja, mehr Gewalt hätte dem ganzen Geschehen vielleicht eine größere Wucht und Tragweite verliehen und auch bei Venom noch spannendere Möglichkeiten eröffnet, doch nur weil der Symbiont nicht genüsslich auf Schädeln rumkauen darf, muss er nicht derart weichgespült werden, wie es nun bei seinem neuen und erneut enttäuschenden Leinwandauftritt der Fall ist.

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