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    Die FILMSTARTS-Meinung: Sind Cliffhanger eigentlich Fluch oder Segen für Serien wie "Game Of Thrones" oder "The Walking Dead"?

    Mit Cliffhangern verbindet uns eine ganz spezielle Hassliebe! Aber woher stammt der Begriff? Und sind sie nun etwas Gutes oder Schlechtes? Wir verraten euch unsere Meinung – und präsentieren euch einige der legendärsten Cliffhanger der Geschichte!

    AMC Studios

    Es ist einer der am kontroversesten diskutierten Momente der jüngeren Seriengeschichte: das Finale der 6. Staffel von „The Walking Dead“ im April 2016!

    Fans würden von mindestens einer Figur Abschied nehmen müssen, soviel stand zu diesem Zeitpunkt fest – nur wen genau Negan (Jeffrey Dean Morgan) mit seinem heißgeliebten Baseballschläger Lucille den Schädel einschlagen würde, das blieb weiter offen. Mit dieser nur halb aufgelösten Tötungsszene entließen die Macher ihr Publikum für ein halbes Jahr in die Ungewissheit (Staffel 7 startete im Oktober 2016), woraufhin zahlreiche Zuschauer ihrem Unmut in den sozialen Netzwerken Luft macht. Ging die Entscheidung der Macher lediglich von kommerziellen Berechnungen aus? Oder war der Kniff auch dramaturgisch gerechtfertigt? Die aufgebrachte Reaktion vieler Fans zeigt jedenfalls: Cliffhanger sind immer auch ein Spiel mit dem Feuer!

    Dabei sind Cliffhanger keinesfalls eine Erfindung der modernen Fernsehgeschichte, sondern haben sich schon seit des 19. Jahrhunderts in der Literatur bewährt: Zwischen 1872 und Juli 1873 veröffentlichte das Tinsley’s Magazine die Novelle „A Pair Of Blue Eyes“ von Thomas Hardy kapitelweise, wobei der Autor am Ende eines der Kapitel seinen Protagonisten Henry Knight tatsächlich mit ungewissen Schicksal an einem Cliff herunterhängen ließ.

    Inzwischen gehört der Cliffhanger zum Standartinstrument von modernen Serienstoffen wie „Breaking Bad“ oder „Game Of Thrones“ genauso wie von deutlich weniger ambitionierten täglichen Seifenopern. Und auch die Autoren vieler erfolgreicher Filmreihen – von „Zurück in die Zukunft“ über „X-Men“ bis hin zu „Fluch der Karibik“ - machen von ihm Gebrauch. Gewissermaßen ist der Cliffhanger inzwischen so etwas wie eine Allzweckwaffe des seriellen Erzählens.

    Aber was genau verbirgt sich eigentlich hinter dem Begriff?

    Ein Cliffhanger zerstückelt den Klimax einer Geschichte in zwei Hälften: Die Macher geben dem Zuschauer zwar einerseits zu verstehen, dass die Handlung an einem Höhepunkt angelangt ist, verweigern sich jedoch, den präsentierten Konflikt sofort wieder aufzulösen. Stattdessen ist Rätselraten, Warten (und Teetrinken) angesagt – und zwar bis zur Veröffentlichung des nächsten Kapitels, der nächsten Serienfolge oder sogar dem nächsten Teil einer Filmreihe.

    Die wesentliche Informationslücke will gefüllt werden - und animiert die Fans so zu lebhafter Kommunikation: Theorien werden (früher am nächsten Morgen im Büro, heute eher in Internetforen) aufgestellt, modifiziert und wieder verworfen. Somit erweist sich der Cliffhanger als probates Mittel, um das Interesse des Publikums nicht einfach nur aufrechtzuerhalten, sondern ihn im besten Falle sogar noch viel stärker emotional in den Fortgang der Handlung zu involvieren.

    Regelmäßig entwickelt sich so beim Konsumenten eine regelrechte Hassliebe: Dem unbehaglichen Gefühl, „in der Luft hängen gelassen worden zu sein“, steht das dringende Bedürfnis nach Antworten entgegen. Wenn es dann endlich weitergeht, wird man natürlich erneut einschalten beziehungsweise den Weg ins Kino antreten - die Neugier obsiegt über die Verärgerung. Solch eine Ambivalenz gedanklich aufzulösen, fällt allerdings nicht immer leicht. Was also haben Cliffhanger neben effektiver Manipulation eigentlich noch (an Mehrwert für den Zuschauer) zu bieten?

    Der Autor bürdet dem Betrachter schließlich eine künstliche Pause auf - aber diese lässt eben auch Rückschlüsse auf das Verhältnis vom Zuschauer zum Werk zu: Nimmt jemand an dem Geschehen nämlich so weit Anteil, dass er mit den Figuren schon vorher mitfiebert, dann wird ihm sicherlich auch der Cliffhanger ordentlich zusetzen. Im umgekehrten Fall lässt den eh schon uninteressierten Zuschauer auch die erzählerische Klippe kalt – er wird sich zumindest weigern, von ihr abzuspringen, sie vielleicht sogar als billige Verarschung empfinden. Die Wirkung ist also ganz wesentlich an die bisherige Qualität des Stoffes gekoppelt: Der Rückgriff auf einen solch polarisierenden Behelf muss also keineswegs zwangsläufig eine kreative Schwäche der Macher signalisieren – vielmehr lässt sich anhand der Wuchtigkeit der Wirkung dieses Stilmittels ablesen, ob bis hierher gute Arbeit geleistet wurde oder ob der Zuschauer nicht eh längst schon ausgestiegen ist.

    Cliffhanger erinnern uns im Endeffekt auch daran, warum wir Serien und Filme überhaupt schauen: nämlich um voll und ganz in ein fiktives Szenario einzutauchen! Leiden wir mit den Protagonisten, sind die Macher ihrer originären Aufgabe nachgekommen – und ein Cliffhanger erweist sich dann als denkbar radikalste Antwort auf den Wunsch nach Unterhaltung. Der Vorwurf, man würde nur durch einen plumpen Taschenspielertrick an der Leine gehalten werden, scheint bei ehrlicher Würdigung hingegen widersinnig – denn wenn wir mal ganz tief in uns Hineinschauen, dann verlangen wir doch genau danach: nach emotionaler Ausbeutung durch die Autoren. Und diese wissen wiederum genau, dass im Dunkeln zu tappen häufig noch viel fürchterlicher ist als jede Gewissheit.

    Zugleich bedeuten Cliffhanger für die Macher immer auch ein großes Risiko, denn mit seiner Auflösung müssen sie stets ein zuvor heraus posauntes Versprechen einhalten. Wird zum Beispiel angedeutet, dass sich eine zentrale Figur in großer Gefahr befindet, nur um die Situation dann Tage oder Monate später mit einem banalen Kniff aufzulösen, werden die Fans verständlicherweise (und unserer Meinung nach auch völlig zu Recht) sehr erbost reagieren. Andererseits schürt der Cliffhanger bei ihnen Erwartungen, die sie – vor allem in Bezug auf das potentielle Ableben liebgewonnener Protagonisten - insgeheim gar nicht erfüllt sehen möchten: hope for the best, expect the worst. Die Entscheidung, was man dem Publikum zumutet, erfordert also einiges an Fingerspitzengefühl - schnell kann der geplante spektakuläre Drehbuch-Coup voll nach hinten losgehen.

    Mit Blick auf die Gegenwart und in die Zukunft gibt es allerdings triftige Gründe, um den Cliffhanger – zumindest in Bezug auf Serien - besorgt zu sein. Heute eröffnen Netflix & Co. ihren Kunden die Möglichkeit, sich mit einem Mausklick umgehend „Erlösung“ zu verschaffen - die einst obligatorische Wartezeit als essentieller Faktor droht daher zunehmend wegzufallen. Serien-Schöpfer werden – zumindest bei Stoffen für Streaming-Anbieter - zunehmend dazu geneigt sein, Staffeln wie einen abgeschlossenen Film zu konzipieren, statt aus jeder Episode ein für sich stehendes Werk zu machen (dann natürlich mit einem anständigen Cliffhanger am Schluss).

    Wir zumindest würden den Cliffhanger vermissen! Denn auch wenn er unser Nervenkostüm ganz schön strapaziert, wäre es ohne ihn – zugegebenermaßen – doch irgendwie langweilig. Eine echte hassLIEBE eben!

    < PS.: Ironischerweise gibt es in diesem Film übrigens keinen Cliffhanger:

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