In der vom Quoten-Flop zum Kult avancierten Reality-Serie „Mein neuer Freund" schlüpfte Christian Ulmen in wechselnde Rollen und ging mit versteckter Kamera dem nichtsahnenden Umfeld eines Kandidaten ein ganzes Wochenende gehörig auf die Nerven. Ulmens Trumpf war dabei die Übertreibung, seine Figuren waren so überzeichnet, dass sie oftmals schlichtweg unerträglich waren. Ulmen baute diesen Stil im herausragenden und deutlich gesellschaftskritischeren Internetfolgeformat "ulmen.tv" noch weiter aus und erarbeite sich damit den Ruf des deutschen Pendants zum britischen Komiker Sacha Baron Cohen, der als „Borat", „Brüno" oder „Ali G." Antisemitismus, Homophobie und Rassismus entlarvt. Nun wagt Christian Ulmen mit einem neuen Alter Ego den Sprung auf die Kinoleinwand. Wer von Robert Wildes „Jonas" aber ähnliche humoristische Bösartigkeiten wie von Ulmens früheren Figuren oder von Kollege Cohen erwartet, wird enttäuscht. Stattdessen nimmt sich der Schauspieler deutlich zurück und liefert gemeinsam mit Wilde einen Blick auf die heutige Institution Schule, der überraschend positiv ausfällt. „Jonas" ist daher nur teils Komödie, viel mehr Dokumentation und hat gerade dort seine Stärken, während die inszenierten Abschnitte gelegentlich schwächeln.
Christian Ulmen ist Jonas. Jonas ist 18 Jahre alt, mehrmals sitzengeblieben und bekommt nun an einer Brandenburger Realschule eine letzte Chance auf einen Realschulabschluss. Inmitten realer Lehrer und Schüler drückt Christian Ulmen, aufwendig jünger geschminkt, als Jonas noch einmal die Schulbank – für sechs Wochen. Denn so lange läuft die Bewährungszeit für den neuen Schüler. Danach entscheidet die Lehrerkonferenz, ob es Sinn macht, ihn weiter zu fördern. Als Stolperstein erweist sich für Jonas schnell die Mathematik, denn was ein Logarithmus ist, weiß er beim besten Willen nicht. Die vorprogrammierte 6 versucht er in anderen Bereichen auszugleichen – vor allem um Musik-Unterricht der schönen Frau Maschke, in die er sich Hals über Kopf verliebt. Um ihr zu imponieren gründet Jonas eine Schulband, die immer mehr Mitglieder gewinnt. Zwischen Diskussionen über Gott und die Welt mit der Ethiklehrerin und peinlichen Mathe-Prüfungen an der Tafel sucht Jonas nach einem Weg, um die Probezeit zu überstehen und Frau Maschkes Herz zu gewinnen...
Während Ulmen in „Mein neuer Freund" und „ulmen.tv" noch mit schrägen Alter Egos darauf setzte, deren soziale Umfelder zur Weißglut zu treiben, musste er für „Jonas" nun andere Register ziehen. Hätte Ulmen auch hier die Rampensau gegeben, wäre das Projekt wohl nach wenigen Tagen beendet worden. Denn in einer Schulgemeinschaft muss sich Ulmen integrieren und Freunde gewinnen, um die Interaktion am Leben zu halten. Die größte Leistung Ulmens in „Jonas" ist daher, wie sehr er sich immer wieder zurücknimmt und oftmals in der Masse der Schüler verschwindet. Einer der stärksten Momente in diesem Sinne ist eine sehr lebhafte Diskussion zwischen Schülern und einer Lehrerin, die sich um die korrekte Benotung einer Referats-Gruppenarbeit dreht. Die ganze Debatte über sitzt Ulmen stumm, aber interessiert lauschend im Raum. Der Comedian versteht instinktiv, dass diese offen-ehrliche Diskussion ohne sein Zutun funktioniert.
Wunderbar wird in Momenten wie diesem illustriert, wie schwer durchschaubar die Benotung mündlicher Leistungen in manchen Fällen ist – ein Umstand, der jedem aus seiner eigenen Schulzeit bekannt sein dürfte. Hier ist „Jonas" keine Ulmen-Show, sondern eine treffende Dokumentation über den Schulalltag. Während immer wieder Horror-Meldungen über junge Gewalttäter und kriegsgebietsartige Zustände auf deutschen Schulhöfen durch die Presse geistern, singt „Jonas" förmlich ein Loblied auf die Klassengemeinschaft. Auch wenn natürlich nicht alle Schüler miteinander können, ist es erstaunlich, wie oft die Schüler dann doch zueinander halten. Die Besseren geben den Schwächeren Nachhilfe, bei Notendiskussionen ergreift man füreinander Partei, Hausarbeiten Abschreiben und Spicken ist ohnehin Ehrensache und die Mädels sind mit Dating-Tipps für den „Neuen" sofort zur Hand. Selbst beim Parkplatzsaufen am Wochenende wird in der Gruppe darauf geachtet, dass zwar Wodka und Korn in Strömen fließen, aber jeder sein Limit kennt.
Inmitten dieser interessanten Gemeinschaft treibt Ulmen wohlreduziert sein Unwesen, wobei es ihm anders als in seinen früheren Kostümierungen hier sichtlich schwerer fällt, komische Pointen zu setzen. Die Lovestory mit der Musiklehrerin erweist sich dabei nach und nach sogar als Ballast, wirkt dieser Nebenschauplatz doch wie ein offensichtliches Handlungskonstrukt. Schon besser sind da Jonas' Vier-Augen-Gespräche mit dem liberal-verständnisvollen Schuldirektor, auch wenn Ulmen gelegentlich zu lange auf einer guten Idee – etwa einem Bestechungsversuch mit 5.000 Euro – herumreitet. Dass die Musik das Steckenpferd des ehemaligen Musik-Moderators ist, erweist sich dagegen als Glücksfall. Der erste große Auftritt der Schülerband, bei dem der Sterne-Klassiker „Was hat dich bloß so ruiniert" großartig vor gemeinsam versammelter Schüler- und Lehrerschaft vorgetragen wird, ist sogar ein wahrer Gänsehaut-Moment.
Fazit: „Jonas" ist ein spannender Einblick in einen konstruktiven Schulalltag – den mal witzigen, bisweilen aber auch störenden Christian Ulmen braucht es oft nicht. Wenn Helge Schneider zum Schluss „Schule ist nicht schön" singt, möchte man in diesem Fall klar widersprechen. Denn mit seiner Quasi-Dokumentation „Jonas" ruft Robert Wilde in Erinnerung, wie schön Schule im Bestfall sein kann. Und dass diese schöne Produktion überhaupt zustande kam, das wiederum haben wir dann doch Christian Ulmen zu verdanken!