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    Sehnsucht nach Paris
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Sehnsucht nach Paris
    Von Ulf Lepelmeier

    Prasselndes Kaminfeuer, frische Luft und duftendes Heu – das romantisch- verklärte Bild vom wunderbaren Landleben hat wenig zu tun mit der Realität, die mit anstrengend langen Tagen, unorthodoxen Arbeitszeiten und einem meist eintönigen Alltag einhergeht. So sehnt sich auch die Protagonistin in Marc Fitoussis Tragikomödie „Sehnsucht nach Paris“ nach etwas mehr Abwechslung (und nach ehelicher Aufmerksamkeit). Sie nutzt einen Vorwand, um den heimischen Rinderhof und den besorgten Ehemann einmal für ein paar Tage hinter sich zu lassen und begibt sich in die Stadt der Liebe. Unaufgeregt und einfühlsam begleitet der Regisseur die Protagonistin auf diesem Paris-Ausflug, der zu einer Reise der Selbstvergewisserung wird.

    Seit Jahrzehnten sind Brigitte (Isabelle Huppert) und Xavier (Jean-Pierre Darroussin) nun schon verheiratet und betreiben zusammen eine Viehzucht in der Normandie. Die Kinder sind bereits aus dem Haus und das Ehepaar durchlebt Woche für Woche den gleichen Trott, nur unterbrochen von den  Wettbewerben, bei denen Xavier voller Stolz seine besten Rinder zur Schau stellt. Brigitte hat sich mit dem ereignislosen Landleben scheinbar abgefunden, doch dann veranstalten drei Pariserinnen im gemieteten Nachbargut eine Party und ein weitaus jüngerer Mann zeigt Interesse an ihr. Der anregende Flirt mit Stan (Pio Marmaï) weckt Brigittes Lebensgeister und lässt sie davon träumen, noch einmal einen Neuanfang zu wagen. Unter dem Vorwand eines Dermatologenbesuchs reist sie für zwei Tage nach Paris, um Stan wiederzusehen und sich nochmal jung zu fühlen. Schon bald durchschaut Xavier den Schwindel und fährt seiner Frau hinterher...

    Nach der Mutter-Tochter-Tragikomödie „Copacabana“ vertraut Regisseur Marc Fitoussi ein weiteres Mal auf das schauspielerische Können von Isabelle Huppert („Die Klavierspielerin“, „8 Frauen“), die nach der unkonventionellen Babou (in „Copacabana“) nun die weitaus weniger umtriebige Landwirtin Brigitte verkörpert, in der die Sehnsucht nach Veränderung aufkeimt. Dabei bleibt der Regisseur seinem beiläufigen und nicht auf Zuspitzungen ausgerichteten Erzählstil treu, was auch zu den vergleichsweise bescheidenen Wünschen der Hauptfigur passt. Schließlich geht es Brigitte nicht um eine komplette Revolutionierung des bisherigen Daseins (wie beispielsweise der Protagonistin in „Villa Amalia“, einer weiteren Huppert-Figur), sondern lediglich um eine kleine Reform ihres Lebensstils sowie ein wenig wohltuende Abwechslung durch einen kurzen Parisaufenthalt. Der Flirt mit Stan und das Interesse des charmanten dänischen Geschäftsmanns Jasper (Michael Nyqvist) zeigen ihr, dass sie sich immer noch jung und attraktiv fühlen kann.

    Feinfühlig und lebensnah erzählt Fitoussi von schleichender Unzufriedenheit, vom Bedürfnis nach (Selbst-)Bestätigung und neuen Impulsen. So erscheint Brigitte eben nicht wie eine Egoistin, die sich die Dinge leicht macht und „einfach so“ ihren Mann verlässt. Wenn sie den Mut fasst, endlich ein wenig mehr an sich und ihre eigenen Wünsche zu denken, dann tut das ihrer Ehe in dieser gutwillig-sanften Erzählung am Ende nur gut. Denn die Krise ist nicht etwa existenziell, sondern lässt sich gut mit Brigittes sonderbarem roten Ausschlag vergleichen, der sich als äußeres Zeichen ihrer zunehmenden Frustration von der Brust aus immer weiter Richtung Hals ausbreitet: Irgendwann kann auch Ehemann Xavier die Irritation nicht mehr übersehen. Er hat die Beziehung schon zu lange als gegeben erachtet und die kleinen Andeutungen seiner Veränderungen herbeisehnenden Frau ignoriert oder gar kritisiert (etwa als sie zum Essen Tofuschnitzel zubereitet). Allmählich erkennt auch er die Gefahren der Routine und folgt seiner Frau schließlich nach Paris.

    Isabelle Huppert zeichnet mit leisem Humor das facettenreiche Porträt einer Frau, die plötzlich eine Neuausrichtung ihres Lebens unternimmt. An ihrer Seite überzeugt Jean-Pierre Darroussin („Le Havre“, „Café Olympique – Ein Geburtstag in Marseille“) als besorgter, vielleicht ein wenig überraschter, dann aber doch verständnisvoller Ehemann, der sich neu auf die Wünsche seiner Frau einstellen muss. Fitoussi richtet seine zurückhaltende Inszenierung ganz auf seine beiden Hauptdarsteller aus und so kommt es in den gemeinsamen Szenen von Huppert und Darroussin zu einigen sehr berührenden Momenten. Ohne unnötige Dramatik und künstliche Spannung läuft der Film schließlich auf ein passendes Ende hinaus, das weder zu optimistisch-kitschig noch zu deprimierend ausfällt und das Frauen- und Eheporträt gelungen abrundet.

    Fazit: Hervorragend gespielte, sanfte Tragikomödie über den Aufbruch einer Frau aus ihrem festgefahrenen Dasein auf dem Lande.

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