Mein Konto
    Tatort: Echolot
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    1,5
    enttäuschend
    Tatort: Echolot
    Von Lars-Christian Daniels

    Mit dem Stuttgarter „Tatort: HAL“ ging im August 2016 die bis dato futuristischste Ausgabe der populären Krimireihe auf Sendung: Filmemacher Niki Stein („Rommel“) entwarf im Schwabenländle ein spannendes Überwachungsszenario und spickte seinen Krimi mit zahlreichen Science-Fiction-Anleihen und augenzwinkernden Verweisen auf Stanley Kubricks wegweisenden Klassiker „2001 – Odyssee im Weltraum“. Beim Publikum war das Echo erwartungsgemäß gespalten: Während viele der traditionsbewussteren „Tatort“-Zuschauer diesen neuartigen Ansatz ablehnten, freuten sich andere über das gelungene Sci-Fi-Experiment. Im Bremer „Tatort: Echolot“, der den Auftakt zur ARD-Themenwoche „Zukunft der Arbeit“ bildet, werden nun erneut die Schattenseiten der Digitalisierung beleuchtet: Das auch privat liierte Regie- und Autorenduo Claudia Prietzel und Peter Henning lässt die Kommissare im Umfeld einer jungen IT-Firma ermitteln, die mit einem innovativen Projekt den Markt erobern möchte und den Tod ihrer wertvollsten Mitarbeiterin verkraften muss. Im direkten Vergleich schneidet der Krimi aus Bremen allerdings deutlich schlechter ab als der Stuttgarter Beitrag, was in erster Linie an den klischeebeladenen Figuren und der holprigen Dramaturgie liegt.

    Auf einer Landstraße bei Bremen kommt es zu einem tödlichen Autounfall: Vanessa Arnold (Adina Vetter) kommt mit ihrem Wagen von der Straße ab und stirbt noch am Unfallort. Die Indizien lassen die Bremer Hauptkommissare Inga Lürsen (Sabine Postel) und Nils Stedefreund (Oliver Mommsen) daran zweifeln, dass die Mitgründerin des erfolgreichen Start-up-Unternehmens „Golden Bird Systems“ den Unfall selbst verschuldet hat. Als die Polizisten Doris Osterloh (Eleonore Weisgerber), der Mutter der Toten, die traurige Nachricht überbringen, erleben sie eine Überraschung: Diese ruft ihre Tochter auf dem Handy an – und die Totgeglaubte meldet sich putzmunter am anderen Ende der Leitung. Die Kommissare, die bei ihren Nachforschungen von BKA-Kollegin Linda Selb (Luise Wolfram) unterstützt werden, suchen Arnolds IT-Firma auf und stellen fest, dass sie mit dem digitalen Assistenten „Nessa“ telefoniert haben, der dem Opfer nachempfunden wurde. Während Arnolds Mann David (Matthias Lier) im Flieger vom Tod seiner Frau erfährt, reagieren die Entwickler Kai Simon (Lasse Myhr) und Paul Beck (Christoph Schechinger) geschockt – schließlich gibt es nun kein menschliches Ebenbild ihrer virtuellen Kopie mehr, die der Firma das finanzielle Überleben sichern soll ...

    Virtual Reality, selbstfahrende Autos, Smart Living: Im Hier und Heute ist bekanntlich (fast) alles miteinander vernetzt und bietet Kriminellen damit auch Angriffsfläche für Missbrauch. Die Drehbuchautoren Peter Henning und Christine Otto („Schande“) legen den Finger auf den Puls der Zeit und meistern dabei die knifflige Gratwanderung, sowohl die „Digital Natives“ als auch das ältere Publikum der Krimireihe mit ihrem futuristisch angehauchten Stoff erreichen zu müssen: Ausufernde Erklärungen der Fachbegriffe bleiben erfreulicherweise aus und auch in den Figuren dürfte sich jeder Zuschauer irgendwo wiederfinden. Mit Lürsen gibt es die aus der Offline-Generation stammende Ermittlerin jenseits der 50, mit BKA-Kollegin Selb den jungen Nerd mit Hackerqualitäten und mit Stedefreund zudem eine Identifikationsfigur zwischen diesen beiden Extremen. Dessen Techtelmechtel mit Selb aus dem schwachen letzten Bremer „Tatort: Der hundertste Affe“ wird allerdings nicht mehr thematisiert: Außer ein paar Neckereien findet zwischen den beiden Kollegen zwischenmenschlich nicht viel statt, wenngleich Selb wieder ein paar nette Oneliner zum Besten geben und ihre Umwelt mit ihrer trockenen Art zum Staunen bringen darf.

    So sehr die Digitalisierung – unabhängig von allen Risiken, die mit ihr einhergehen – das Berufsleben verändern und unseren Alltag erleichtern mag, so sehr scheint sie den „Tatort“-Autoren diesmal aber das Geschichtenerzählen zu erschweren: Anders als im eingangs erwähnten Stuttgarter „Tatort: HAL“ erweist sich der ewige Blick durch VR-Brillen, auf kryptische Zahlencodes oder wackelige Tablet-Videos auf Dauer als ziemlich zähe Angelegenheit. Das liegt auch daran, dass der vermeintlich riesige Nutzen der digitalen Assistentin „Nessa“ nebulös bleibt: Weckte „HAL“ mit gesammelten Big Data sogar das Interesse des baden-württembergischen LKA, scheint Nessas Hauptnutzen darin zu bestehen, die sexuellen Phantasien ihrer notgeilen Entwickler zu bedienen und auf dem Pornomarkt zahlungskräftige Interessenten aus Fernost auf den Plan zu rufen. Die zeitgemäße Aufmachung kann weder über die dünne Handlung, noch über die fehlenden Spannungsmomente hinwegtäuschen: Der 998. „Tatort“ mag eine moderne und mutige Geschichte erzählen, besitzt als Whodunit zum Miträtseln aber nur einen geringen Unterhaltungswert.

    Komplett in die Hose geht auch die Figurenzeichnung auf Seiten der jungen IT-Firma, deren Personal wie aus dem Baukasten für hippe Start-up-Unternehmen zusammengesetzt wirkt: Schräge Büromöbel und teure High-Tech-Geräte füllen die chaotischen Räume des von außen tristen Backsteingebäudes, im Kühlschrank und auf den Designertischen der „Think Tanks“ stehen neonfarbene Elektrolytgetränke und im Empfangsbereich sogar ein Käfig mit Wellensittichen. Alles bei „Golden Bird Systems“ sieht genauso aus, wie man sich das Innenleben einer von Hipstern und Nerds betriebenen IT-Schmiede vorstellen würde und wirkt gerade deshalb so künstlich. Witwer David Arnold (Matthias Lier) scheint der Tod seiner Frau überhaupt nicht zu tangieren, während „Chief Financial Officer und Board Member“ Kai Simon (Lasse Myhr) nicht ohne Stolz die Firmenphilosophie herunterbeten darf  („Wir haben hier Arbeitsflexibilität. Hauptsache, der Output stimmt.“). Mit der kleinen Lilly Arnold (Emilia Pieske), die ihre tote Mutter in der Leichenhalle mit ihrem Tablet fotografiert, gibt es zudem eine ziemlich rätselhafte Figur – die hohe Technikaffinität ihrer Eltern wirkt als alleinige Erklärung für das seltsame Verhalten der Kleinen reichlich dünn. Und Lürsens Vorgesetzte und Tochter Helen Reinders (Camilla Renschke)? Die darf exakt fünf Sätze sagen und wird im Bremer „Tatort“ endgültig aufs Abstellgleis geschoben.

    Fazit: Gut gemeint, weniger gut gemacht: Der Bremer „Tatort: Echolot“ funktioniert als Warnung vor den Risiken der digitalen Vernetzung zwar durchaus passabel, überzeugt als Krimi aber nicht.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top