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    Neneh Superstar
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Neneh Superstar

    Emanzipation im Tutu

    Von Gaby Sikorski

    Die traditionsreiche Ballettschule der Pariser Oper mit ihrer beinahe 300-jährigen Geschichte fasziniert auch heute noch tanzbegeisterte Menschen in aller Welt, obwohl sie schon seit beinahe 20 Jahren nicht mehr in Paris und daher auch nicht wie früher an der Opéra Garnier ansässig ist. Zur Erinnerung: So heißt das prächtige alte Opernhaus, in dem sich einstmals das Phantom herumgetrieben hat bzw. haben soll. Auch wenn sich die „École de Danse de l'Opéra national de Paris“, wie sie offiziell heißt, inzwischen zu einem großen Internatsbetrieb im Pariser Vorort Nanterre gemausert hat, ist sie noch immer für praktisch jeden Ballettfan das Maß aller tänzerischen Dinge.

    Doch viele Kinder, die aufgrund ihrer Herkunft oder ihrer Hautfarbe angeblich nicht in das klassische französische Tanzschema passen, haben es bis heute schwer, einen Platz an der Schule zu bekommen, selbst wenn die Schule mittlerweile großen Wert auf Diversität legt. Wer hier aufgenommen werden möchte, hat zudem meistens schon an einer privaten Ballettschule die Grundlagen der Tanzausbildung erlernt. Aber wer kann sich das überhaupt leisten? Das ist auch eine der Fragen, die Ramzi Ben Sliman in seinem Familien-Kinofilm „Neneh Superstar“ stellt…

    Neneh (Oumy Bruni Garrel) will die erste Schwarze Ballerina an der Pariser Oper zu werden.

    Die 12-jährige Neneh (Oumy Bruni Garrel) gehört absolut nicht zu den privilegierten Kindern, lebt sie mit ihren Eltern doch in einem der Pariser Banlieues. Ihr Traum ist es trotzdem, die erste Schwarze Primaballerina an der Pariser Oper zu werden – und sie hat Glück, denn ihre Eltern (Aïssa Maïga und Steve Tientcheu) unterstützen sie nach Kräften. Neneh besteht dann auch tatsächlich die schwierige Aufnahmeprüfung an der Ballettschule, obwohl sie nicht alle Stimmen der Jury für sich gewinnen kann.

    Sie ist begabt und ehrgeizig, aber genügt das schon, um an der weltberühmten Ballettschule der Pariser Oper zu bestehen, an der „Schule von Prinzessinnen für Prinzessinnen“? Die Zähmung ihrer Wuschelfrisur zum typischen Tänzerinnen-Dutt auf dem Hinterkopf ist dabei noch die kleinste Herausforderung. Die Gemeinheiten der anderen Elevinnen sind ein viel größeres Problem – und zu allem Überfluss muss Neneh auch noch erkennen, dass ausgerechnet die Schuldirektorin Marianne Belage (Maïwenn) ihre gefährlichste Gegnerin ist…

    Ein Wirbelwind auf zwei Beinen

    Zum Tanzen geboren, das ist sie tatsächlich, die kleine Oumy Bruni Garrel, die sich von der ersten Sekunde an ins Herz ihres Publikums pirouettiert. Kleine Info nebenbei: Sie ist die Tochter des französischen Filmstars Valeria Bruni Tedeschi („Der Sommer mit Anaïs“). Ob Street Dance oder klassischer Tanz: Die selbstbewusste junge Dame beeindruckt mit ihrer Ausdruckskraft ebenso wie mit ihrer noch recht kindlichen tänzerischen Anmut. Mit ihrem Charme und ihrem Temperament wertet Oumy Bruni Garrel diesen ansonsten recht vorhersehbaren Familienfilm auf, der sich in das mittlerweile schon etablierte Genre der französischen Sozialkomödie einordnen ließe, wenn er denn nur eine Spur witziger wäre.

    So aber könnte man die Geschichte vielleicht am ehesten als Märchen bezeichnen: das Märchen von dem Schwarzen Mädchen, das sich allen Widerständen zum Trotz in ein Revier wagt, das von klapperdürren bleichen Kindern dominiert wird, die – allesamt gut erzogen und stets diskret – schon mit 12 Jahren sowohl die Intrige als auch die versteckte Bosheit perfekt beherrschen. Ramzi Ben Sliman gibt sich als Autor und Regisseur alle Mühe, um ganz klare Fronten zu schaffen: Auf der einen Seite die kaum voneinander unterscheidbaren weißen Ballettratten, die das einzige Schwarze Mädchen quälen, und auf der anderen Seite die einsame Neneh, die besser tanzt als alle anderen. Da werden dann auch einige Klischees bedient, die vermutlich in jeden Ballettfilm gehören: die Lehrer*innen, die das wahre Talent verkennen, der Traum vom großen Auftritt, der Kampf einer einzelnen um Anerkennung gegen alle Widerstände ...

    Nicht nur im Tutu, sondern auch als Street Dancerin drückt sich Neneh regelmäßig aus.

    So sehr hätte sich Sliman aber gar nicht bemühen müssen, Sympathien für Neneh zu wecken – das schafft Oumy Bruni Garrel nämlich auch ganz alleine. Immerhin hat Sliman mit Neneh eine Figur geschaffen, die anderen Kindern Mut macht, für sich und ihre Leidenschaft zu kämpfen. Das erinnert von der Aussage her ein wenig an „Billy Elliott“, nach dem sich tatsächlich viele kleine Jungen plötzlich fürs Tanzen interessierten. Doch hier steht ganz eindeutig Nenehs Situation an der Schule im Mittelpunkt und nicht familiäre Schwierigkeiten wie in „Billy Elliott“. Die Eltern sind bereit, für ihr tanzwütiges Kind praktisch alles zu tun, auch wenn die Mutter das Treiben ihrer Tochter gelegentlich misstrauisch beäugt.

    Sehr schön zu beobachten ist dabei das Spiel zwischen der pubertierenden, leicht zickigen Zwölfjährigen und Aïssa Maïga als Mutter. Ramzi Ben Sliman zeigt die beiden auch als Teil der Schwarzen Community, die von Herzlichkeit und Offenheit geprägt ist, ganz im Gegensatz zur immer leicht sterilen Atmosphäre an der Schule. Unter dem strengen Regiment der Schulleiterin hat es Neneh extrem schwer, sich zu behaupten. Maïwenn spielt diese Ballettdirektorin, die selbst ein großes Geheimnis mit sich trägt, sehr einfühlsam als hoch professionelle, verschlossene Ex-Tänzerin, die sich allen Gefühlen verweigert.

    Volle Kanne Schwanensee

    Im Vordergrund des Films steht immer das Tanzen, und da schwanenseet es ziemlich heftig von der Leinwand. Es wird viel getanzt, geprobt und trainiert. Den Mädchen wird im Tanzunterricht höchste Disziplin abverlangt – das wird hier überdeutlich und prinzipiell nicht hinterfragt. Das Internatsleben und die regulären Schulstunden sind zweitrangig. Mit einigem dramaturgischen Geschick kombiniert Ramzi Ben Sliman aber auch klassisches Ballett und Street Dance, indem er Neneh in den Innenräumen der Schule als Tänzerin mit Tutu, Dutt und Ballettschuhen zeigt und draußen im Freien in ihrer ganzen natürlichen Ausdruckskraft als Street Dancerin. Damit schlägt er einen publikumsfreundlichen Bogen zwischen Klassik und Moderne und macht Neneh zusätzlich zum Symbol für ein generelles kulturelles Miteinander. Und das ist ebenfalls hochgradig ehrenwert.

    Fazit: Ein Familienfilm, der in seinem eindeutigen Appell nach multikultureller Vielfalt durchaus anerkennenswert ist. Eindeutiger Star des Films ist die kleine Oumy Bruni Garrel, die in ihrer erfrischenden Art mit erstaunlicher Präzision und sehr viel emotionalem Engagement die schwierige Hauptrolle bewältigt. Sie macht aus einem eher vorhersehbaren modernen Ballettmärchen ein solides und teilweise zu Herzen gehendes Jugenddrama.

     

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