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    They See You
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    They See You

    Big Brother im Monsterwald

    Von Christoph Petersen

    Vier Fremde stecken in einer Hütte in einem westirischen Wald fest. Es gibt keine Handys und der Weg bis zur nächsten Straße ist viel zu weit, um ihn an einem einzigen Tag zu bewältigen. Die Nacht unter freiem Himmel zu verbringen, um am nächsten Morgen weiter nach einem Ausweg zu suchen, ist ebenfalls keine Alternative. Sobald nämlich die Dunkelheit hereinbricht, versammeln sich draußen haufenweise monströse Wesen, die unheimliche Geräusche produzieren und ihrem Spitznamen Watchers alle Ehre machen: Die Menschen in der „Coop“ getauften Hütte müssen sich dann vor einem Einwegspiegel aufstellen – und während sie selbst nur ihre eigene Reflexion sehen, können die gaffenden Kreaturen sehr wohl von draußen hineinschauen. Für sie ist das angsterfüllte Treiben im Inneren offenbar eine Art Reality-TV, das sie sich allnächtlich stundenlang bis zum Morgengrauen reinziehen.

    Wie ihr berühmter Vater M. Night Shyamalan in seinem letzten Twist-Mindfuck „Knock At The Cabin“ setzt nun auch Ishana Shyamalan in „They See You“ auf die geheimnisvollen Geschehnisse in einer einsamen Hütte. Aber während der irische Autor A.M. Shine das zwar herbeikonstruierte, aber nichtsdestoweniger Neugierde schürende Szenario in seinem 2021 erschienenen Gothic-Horror-Roman „The Watchers“* noch nutzte, um eine von Paranoia und Klaustrophobie dominierte Schauer-Atmosphäre zu kreieren, hetzt die Debütregisseurin dermaßen durch den Plot, dass weder die Figuren noch der Schauplatz und erst recht nicht das zentrale Mysterium den nötigen Raum zum Atmen bekommen. Dabei ist der Film so sehr damit beschäftigt, sich die ganze Zeit über selbst zu erklären, dass die Spannung schnell auf der Strecke bleibt.

    Warner Bros.
    Sobald die Dunkelheit hereinbricht, stellen sich alle schön in Reih und Glied auf, um sich von den Monstern dort draußen begaffen zu lassen.

    Die in einem Tiergeschäft jobbende Protagonistin Mina (Dakota Fanning), die beim Ausfahren eines sprechenden Papageis mit ihrem Auto ausgerechnet im Watchers-Wald liegenbleibt, bekommt zwar ein hübsch geschnürtes Traumata-Päckchen samt toter Mutter und entfremdeter Zwillingsschwester mit auf den Weg. Aber nach ihrer Ankunft in der Hütte wirkt sie trotzdem nie wie ein Mensch aus Fleisch und Blut – und das ergeht dem bereits länger dort festsitzenden Trio Madeline (Olwen Fouéré), Ciara (Georgina Campbell) und Daniel (Oliver Finnegan) nicht groß anders: Wo auf den Buchseiten noch langsam die Spannungsschraube angezogen wird, bleibt Mina auf der Leinwand nicht mal Zeit, um sich groß über die Existenz der monströsen Kreaturen zu wundern. Keiner der Dialoge in der unfreiwilligen Hütten-WG wirkt irgendwie natürlich, alles dreht sich immer nur um Regeln und Erklärungen, die dann auch noch die meiste Zeit über dermaßen emotionslos vorgetragen werden, als würde jemand einen Wikipedia-Artikel herunterrattern.

    Das ist jedenfalls alles längst nicht so unterhaltsam wie die kurzen Ausschnitte aus „Lair Of Love“, die Mina irgendwann sogar auswendig mitsprechen kann. Die dritte Staffel der an das reale Format „Love Island“ angelehnten Reality-Dating-Show ist die einzige DVD, die den Coop-Bewohner*innen zum Zeit totschlagen zur Verfügung steht. Die angestrebte Metapher ist klar: hier das voyeuristische Publikum, das Reality-Sternchen bei der totalen Selbstentblößung zusieht, dort die voyeuristischen Kreaturen, die sich ein menschliches Quartett zum nächtlichen Angaffen als Geiseln halten. Aber die Idee zündet trotzdem nicht: Die wenigen Szenen, die wir mit den Beobachteten im Inneren der Hütte vor dem Spiegel verbringen, dauern zusammengenommen maximal ein paar Minuten, da bleibt für das Entstehen klaustrophobischer Beklemmungen gar keine Zeit. Außerdem mangelt es an inszenatorischer Finesse, um auch mal ungemütlichere Momente, in denen das Unwohlsein der Protagonist*innen greifbar wird, zu kreieren.

    Warner Bros.
    Die Monster setzen auf Einwegspiegel: Sie können dich sehen. Aber du nicht sie.

    Zur Abwechselung verbringt hier also ein Hollywoodstar mal nicht zu viel, sondern zu wenig Zeit vor dem Spiegel. Stattdessen geht es hinunter in den Kellern, wo 300 (!) Videodateien eines typischen Erklärbär-Charakters darauf warten, uns noch mehr in die Hintergründe der mysteriösen Monster einzuführen. Man spürt, dass Ishana Shyamalan die Geschichte der Wesen tatsächlich wahnsinnig zu interessieren scheint: Mit einer unerwarteten Zärtlichkeit wird da auf der Zielgeraden noch ein ganzes Fass voll mythologischer Hintergründe aufgemacht (die dann demnächst auch noch zu einem zweiten Teil der Romanvorlage führen sollen).

    Aber während das finale, wie drangeklatscht anmutende Drittel schon bei Fans der Vorlage alles andere als unumstritten war, zündet es im Film erst recht nicht: Ohne die Enge der Waldhütte wirkt „They See You“ auf den letzten Metern endgültig disparat und zersplittert – zumal Mina beim Rollen des Abspanns natürlich endlich ihr großes Traumata überwunden haben wird, man nur leider nicht so recht versteht, warum eigentlich.

    Fazit: Aus dem Baukasten des Mystery-Horror-Kammerspiels zusammengesteckt, bietet „They See You“ 100 Minuten reich an runtergeratterten Erklärungen, aber arm an Spannung und Atmosphäre.

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