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    Free-TV-Premiere nach jahrzehntelangem (!) Warten: In diesem imposanten Bilderrausch verschwimmen Kino und Wirklichkeit
    Sidney Schering
    Sidney Schering
    -Freier Autor und Kritiker
    Sein erster Kinofilm war Disneys „Aladdin“. Schon in der Grundschule las er Kino-Sachbücher und baute sich parallel dazu eine Film-Sammlung auf. Klar, dass er irgendwann hier landen musste.

    Über 20 Jahre nach seiner Weltpremiere ist es so weit: Der in sogleich mehrfachem Sinne bildschöne Anime-Meilenstein „Millennium Actress“ läuft heute Abend erstmals im deutschen Free-TV! Wir sagen euch, weshalb der Film ein absolutes Muss ist.

    Science-Fiction, Katastrophenthriller, Historiendrama, Mystery und hinreißend-sehnsuchtsvolle Romanze: „Millennium Actress“ macht als Genre-Streifzug bei all diesen Stationen Halt – und touchiert diverse weitere Sektionen der Filmkunst. Doch im Kern ist der Anime-Meilenstein eine durch ebenso kauzigen wie emotionalen Surrealismus bereicherte Geschichte über Liebe und Hingabe.

    Regisseur Satoshi Kon verneigte sich 2001 somit vor dem filmischen Erbe des vergangenen Jahrtausends. Heute, am 28. April 2023, feiert „Millennium Actress“ ab 20.15 Uhr bei ProSieben Maxx seine deutsche Free-TV-Premiere – und ihr solltet euch diese ästhetische Wucht von einem Film keinesfalls entgehen lassen. Alternativ findet ihr das bittersüße, fiebrig-verträumte Anime-Drama bei Prime Video als VOD:

    "Millennium Actress": Ein Sog aus Erinnerung & Lebensträumen

    Japan zur Jahrtausendwende: Die Ginei Studios blicken nach einflussreichem Wirken in den gähnenden Schlund des Bankrotts. Aus diesem Anlass plant Regisseur Genya Tachibana eine Dokumentation über eine lebende Legende, die aus dieser Traumfabrik hervorgegangen ist – Chiyoko Fujiwara, die sich vor Jahrzehnten zurückgezogen hat.

    Während eines Interview-Drehs überreicht Genya seinem Idol einen goldenen Schlüssel, von dem er glaubt, dass Chiyoko ihn einst in den Ginei Studios verloren hat. Dieses Geschenk weckt in der Gastgeberin lebhafte Erinnerungen. So lebhaft und mitreißend, dass Genya und sein Kameramann Kyōji Ida sich in ihnen verlieren...

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    Das 20. Jahrhundert fand gerade sein Ende, als sich „Perfect Blue“-Regisseur Satoshi Kon seinem zweiten abendfüllenden Kinofilm annahm. Obwohl die Jahrhundertwende in „Millennium Actress“ keine explizite Rolle spielt, lässt bereits der Titel erahnen, dass Kon stark von ihr beeinflusst war. Hält man dies im Hinterkopf, macht sich die bittersüße Stimmung von „Millennium Actress“ noch zügiger bemerkbar.

    Nicht nur, weil Chiyokos Karriere- und Lebensstationen sowohl einschneidende, (kultur-)historische Kapitel Japans als auch dort populäre Filmgenres abdecken. Sondern auch, weil sich der Film als gedankenversunkener Liebesbrief an eine Kunstform herausstellt, die eng mit dem zurückgelassenen Jahrhundert verknüpft ist – dem klassischen Zeichentrickfilm. Dieser wurde in der Form, in der wir ihn kennen, im 20. Jahrhundert sowohl erschaffen, als auch von der Digitalisierung eingeholt.

    Selbst Filme wie „Ghost In The Shell“ oder (um in den Westen zu schauen) „Der König der Löwen“ wurden mit Hilfe digitaler Prozesse verwirklicht, „Millennium Actress“ dagegen stellt ein atemberaubend schönes, detailverliebtes Aufbegehren komplett von Hand erzeugter Trickfilmkunst dar. Selbst in der Postproduktion wurde auf analoge Arbeitsschritte gesetzt – so ließ Kon die verschiedenen Film-im-Film-Sequenzen in unterschiedlichen Laboren entwickeln, damit sich ihr Look filigran voneinander abhebt.

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    Dieser hauchfeine Kunstgriff verstärkt die soghaft-bezaubernde Wirkung des Bildrausches, der Chiyokos Erzählungen begleitet. Zugleich ist er so subtil, dass allem zum Trotz die Zeit- und Wirklichkeitsebenen verschwimmen: Lose inspiriert von den Biografien der japanischen Star-Schauspielerinnen Setsuko Hara und Hideko Takamine, die abrupt ihre funkelnden Karrieren beendeten, vereint Kon im Laufe der Geschichte Lebensrealität, unklare Erinnerungen und Filmhandlungen, bis sie unzertrennlich sind.

    Nicht nur für uns wird „Millennium Actress“ zum filmischen Trompe-l’œil, also einem illusionistischen Gemälde, das mittels perspektivischer Tricks die Frage aufwirft, wie viele Ebenen wir gerade betrachten. Auch für die Doku-Crew entfaltet sich ein Verwirrspiel, an dem sie sogar teilnimmt. Das führt zu allerlei Komik, etwa wenn sich Genya mit Begeisterung in diverse Rollen stürzt, was Kyōji knochentrocken kommentiert. Das gibt dem Publikum die Option, sich einfach in die Position des Duos zu versetzen und „Millennium Actress“ als sprudelnde Quell der Fantasie zu bewundern.

    Die Interpretation bleibt dem Zuschauer überlassen

    Aber die verschachtelt erzählte, von einem nachvollziehbaren Kern der romantischen Sehnsucht angetriebene Geschichte gestattet viel mehr. Sie regt durch das berührende Leben der Protagonistin dazu an, in ambivalente Deutungsfragen abzutauchen: „Millennium Actress“ lässt sich als Metapher auf Japans Historie verstehen, als Geschichte über Reinkarnation oder als Drama über ein alterndes Talent, das die Erinnerungen an seine Biografie nicht weiter von seinem Schaffen trennen kann.

    Kon hielt fest, dass er es liebend gern seinem Publikum überlässt, den Film zu entziffern. Es gibt keine ultimative Lösung – wir alle dürften uns der Geschichte auf eigenen Pfaden nähern. Es geht in „Millennium Actress“ nicht um einen willkürlichen Schlusspunkt – der Weg ist das Ziel!

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