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    "Der Begriff Fantasy ist so vorbelastet": Wir sprechen mit Autor Wolfgang Hohlbein über die Serien-Adaption von "Der Greif"
    Stefan Geisler
    Stefan Geisler
    -Redakteur
    Stefan ist ist passionierter Magic- und D&D-Spieler und liebt das fantastische Kino. Tolkiens Mittelerde liebt er ebenso wie die furchteinflößenden Kreaturen von Ray Harryhausen.

    Wolfgang Hohlbein ist eine Ikone der deutschsprachigen Fantasy-Literatur. Der Autor hat inzwischen mehr als 200 (!) Bücher veröffentlicht. Wir haben mit dem Großmeister der Phantastik nun u. a. über die Produktion von Amazons „Der Greif“ gesprochen.

    ©Gordon A. Timpen, Amazon Studios

    Wolfgang Hohlbein ist DER deutsche Großmeister der fantastischen und Horror-Literatur. Über 200 Romane hat der Autor bereits veröffentlicht. Gemeinsam mit seiner Frau Heike Hohlbein veröffentlichte der Schriftsteller schon 1989 mit „Der Greif“ einen absoluten Klassiker seines Schaffens. Jetzt, 34 Jahre nach der Erstveröffentlichung, wurde der Roman bei Amazon Prime Video zur Serie und kann seit dem 25. Mai 2023 beim Streaming-Anbieter abgerufen werden.

    FILMSTARTS-Redakteur Stefan Geisler hat Wolfgang Hohlbein via Zoom für ein Interview getroffen und mit ihm über die Unterschiede zwischen Fantasy und Phantastik, den Einfluss von Hollywood auf das Genre und kommende Hohlbein-Produktionen gesprochen.

    Tanja Winkler
    Wolfgang Hohlbein hat bereits über 200 Bücher geschrieben.

    "Der Greif" als Musical? Fast wäre diese Idee Wirklichkeit geworden

    FILMSTARTS: Erst einmal etwas Persönliches: Ich bin ja seit meiner Jugend ein großer Fan Ihrer Arbeit. Insbesondere die „Der Hexer“-Reihe habe ich damals wirklich verschlungen.

    Wolfgang Hohlbein: Dann habe ich eine gute Nachricht für Sie. Die Reihe geht wahrscheinlich weiter!

    FILMSTARTS: Oh! Das ist eine wirklich schöne Nachricht!

    Wie kam es bei „Der Greif“ eigentlich zur Zusammenarbeit mit Amazon?

    Wolfgang Hohlbein: Dass Amazon das Projekt übernehmen würde, stand von Anfang an gar nicht so fest. Zuerst war da Sebastian Marka, der Regisseur von „Der Greif“, der Kontakt mit mir aufgenommen hatte. Er hatte vorher bereits mit einem Musiker an der Idee gearbeitet, aus dem „Greif“ eine Bühnenshow, ein Musical oder eine Rock-Oper zu machen. Aus dem Projekt ist letztlich nichts geworden, aber ihn hat die Idee nie losgelassen und irgendwann hat er sich dann ein Herz gefasst und mich angerufen.

    Ich habe da sofort die Begeisterung bei ihm gespürt und gemerkt, dass wir auf einer Wellenlänge liegen und da ich sowieso gerade aus anderen Gründen nach Berlin gefahren bin, habe ich ihm vorgeschlagen, sich doch mal irgendwo auf eine Pizza, ein Bier oder einen Kaffee zu treffen. Daraus wurde dann ein ganzer Abend. Es hat dann noch mal sechs, sieben Jahre gedauert, bis es wirklich funktioniert hat, aber Sebastian hat einfach nicht losgelassen und hat so lange genörgelt, bis ich gesagt habe: „Na dann mach doch“ (lacht)...

    FILMSTARTS: Welchen Einfluss hatten Sie auf die Produktion von „Der Greif“?

    Wolfgang Hohlbein: Gar keinen. War auch nicht nötig. Wir sind immer in Kontakt geblieben, ich habe immer mal wieder in das Drehbuch reingeguckt und hatte intensive Gespräche mit Sebastian [Marka] und [Autor] Erol [Yesilkaya]. Wenn ich nicht von Anfang an so ein Grundvertrauen in die beiden gehabt hätte, dann hätte ich ihnen nicht erlaubt, das zu machen. Eine hundertprozentige Übereinstimmung kann man sowieso nicht erreichen. Jeder hat andere Bilder im Kopf. Und es ist ja für mich auch mal ganz spannend zu sehen, was andere aus diesem Stoff machen.

    Gordon A. Timpen, Amazon Studios
    Die Welt von „Der Greif“ wird von fantastischen Kreaturen bevölkert.

    FILMSTARTS: Wie schwer ist es denn, sich von der eigenen Vision der Geschichte zu lösen?

    Wolfgang Hohlbein: Die neuen Bilder müssen entweder so radikal anders sein, dass ich sage „Oh toll, darauf wäre ich ja nie gekommen“ oder der eigenen Vorstellung relativ nahe kommen. Und hier kommt beides zusammen. Es sind ein paar neue Sachen drin, die mir nie eingefallen wären – ich hätte auch vor 40 Jahren gar nicht den Mut gehabt, sowas zu schreiben – und andererseits kommt vieles meinem „Kopfkino“ doch sehr, sehr nahe.

    FILMSTARTS: Was zeichnet deutsche Fantasy aus?

    Wolfgang Hohlbein: Ich weiß gar nicht, ob es so etwas wie deutsche Fantasy überhaupt gibt? Vielleicht ein bisschen mehr dieses Nordische, Schwermütige, was da manchmal durchblitzt. Aber was ist Fantasy überhaupt? Ich mag das Wort sowieso nicht...

    FILMSTARTS: Nein?

    Wolfgang Hohlbein: Nein, ich finde „Phantastik“ viel besser. Der Begriff Fantasy ist so vorbelastet, auch durch ganz viele schlechte Filme und Bücher. Ein kleines Beispiel: Als ich angefangen habe, das Internet für mich zu entdecken – so vor 20 Jahren – da war der erste Suchbegriff, den ich eingegeben habe, natürlich Fantasy. Und ich habe tonnenweise Pornografie bekommen... (lacht)

    FILMSTARTS: [lacht] So vorbelastet ist der Begriff also...?

    Wolfgang Hohlbein: Wenn ich damals gefragt wurde, was ich schreibe und ich mit Fantasy geantwortet habe, dann kam als Antwort: „Ist das was Unanständiges?“ Das ist heute nicht mehr so. Ich glaube, deutsche Fantasy sind vielleicht noch die Gebrüder Grimm. Phantastik trifft es eher.

    ©Gordon A. Timpen, Amazon Studios.jpg
    Wie wird die Reise für Mark enden?

    FILMSTARTS: Ist das Genre der Phantastik inzwischen in der Mitte der Gesellschaft angekommen? Haben wir diesen Punkt erreicht?

    Wolfgang Hohlbein: Das hatten wir immer schon. Was ist denn „Ein Sommernachtstraum“, was ist Goethes „Faust“? Aber ich verstehe, was Sie meinen. Vielleicht hat sich die Phantastik ihren Platz in der Gesellschaft, auf den Bücherregalen und Bildschirmen erobert. Vor 30 oder 40 Jahren war es nicht normal, dass der Inspektor in einem Krimi Wahrsager ist und die Lösung irgendwie „erspürt“ oder „erträumt“ – heute stört sich da niemand mehr dran. Aber sie war immer da – Menschen hatten immer schon ein unheimliches Bedürfnis nach fantastischen Stoffen.

    Erwartet uns bald ein deutscher Witcher?

    FILMSTARTS: Welches ihrer Bücher würden Sie gerne einmal für die große Leinwand umgesetzt sehen?

    Wolfgang Hohlbein: Also natürlich unser erstes Buch „Märchenmond“. Als Serie würde ich „Der Hexer von Salem“ sehen. Da gibt es gerade auch schon ernsthafte Gespräche und Drehbücher. Natürlich heißt das noch nichts...

    FILMSTARTS: Hat sich das Genre der Phantastik in den letzten Jahren sehr gewandelt? Gerade auch durch den Einfluss von Hollywood?

    Wolfgang Hohlbein: Es ist natürlich ein bisschen erwachsener geworden. Und Hollywood ist ein gutes Stichwort. Ich bin sehr froh, dass „Der Greif“ keine Hollywood-Produktion ist, dann wäre es sehr viel bunter und lauter geworden und Emmerich hätte den Schwarzen Turm wahrscheinlich am Ende der ersten Staffel in die Luft gesprengt. Aber was sich auf jeden Fall gewandelt hat, ist, dass viele Dinge heute machbar sind. Die großen Bilder – sowas konnte früher nur Hollywood. Heute kann man das auch in Deutschland – das werden Sie sehen bei „Der Greif“.

    Insofern hat sich da viel gewandelt, weil man heute viele Dinge machen kann, die früher gar nicht möglich waren. Nehmen Sie mal nur „Game Of Thrones“: Bei den ersten großen Massenszenen, da waren 42 Leute auf der linken und 33 Leute auf der rechten Seite, der Rest waren Schatten und Schwertergeklirr. In den letzten Staffeln sah man dann wirklich die Zehntausender-Heere aufeinanderprallen. Das hat Hollywood, aber auch die Zeit geändert, dass das heute technisch möglich ist. Ich prophezeie, dass man technisch in spätestens fünf Jahren alles darstellen kann, was man will – und dann sind der Fantasie wirklich gar keine Grenzen mehr gesetzt.

    Gordon A. Timpen, Amazon Studios
    Ist die Welt des Schwarzen Turms real?

    FILMSTARTS: Was zeichnet für Sie eine gute Romanumsetzung aus?

    Wolfgang Hohlbein: Wenn man nach zwei Stunden aus dem Kino geht oder den Fernseher ausschaltet und sagt: „Schöne Geschichte. Ich habe mich gut unterhalten gefühlt“. Mehr will ich nicht, damit bin ich vollends zufrieden.

    FILMSTARTS: Wie groß ist der Einfluss anderer Autoren auf ihre Werke?

    Wolfgang Hohlbein: Ganz am Anfang meiner Karriere gab es mal einen bösen Verriss von einem meiner Bücher, weil da schwarze Reiter drin vorgekommen sind. Und die gibt es ja auch bei Tolkien. Schwarze Türme gab es ja auch vor Stephen King. Es gibt so ein paar Archetypen, die haben wir alle im Kopf und die kommen auch immer und immer wieder. Und trotzdem ist der Einfluss von anderen Autoren natürlich groß: Wenn ich nicht lesen würde, dann würde ich auch nicht schreiben.

    Ich habe es auch schon selber gemerkt: Vor 10, 15 Jahren habe ich aus irgendeinem Grund nicht mehr gelesen. Habe nur noch Videospiele gespielt und Filme geguckt oder bin Motorrad gefahren. Und bereits nach kurzer Zeit habe ich gemerkt, dass die Qualität meiner Texte nachgelassen hat. Ich brauche einfach den Input von anderen Autoren – was nicht heißt, dass ich Ideen klaue, aber dass ich gucke, wie andere Autoren Geschichten erzählen, wie man seine Figuren charakterisiert oder wie man seine Leser in fremde Welten entführt. Und ohne andere Autoren, so beispielsweise auch Stephen King, der einer meiner Lieblingsautoren ist, oder Tolkien und Lovecraft – ohne die würde es auch meine Bücher nicht geben.

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