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    Start der Netflix-Serie "Gypsy": Naomi Watts in einer sinnlich-gefährlichen Midlife-Crisis

    Wie weit darf Psychotherapie gehen? Und welche Geheimnisse schlummern unter der Oberfläche unserer Mitmenschen? In der neuen Netflix-Serie wird mit solch großen und weiteren Fragen hantiert, aber nicht immer souverän.

    Alison Cohen Rosa / Netflix

    Jean Holloway (Naomi Watts) ist Psychotherapeutin, der das Wohl ihrer Patienten sehr am Herzen liegt, sogar so sehr, dass sie es leid ist, sich auf eine bloße Zuhörer- und Ratgeberrolle beschränken zu müssen. Daher lässt sie sich schließlich dazu hinreißen, unter falscher Identität Kontakt zu den Menschen aus dem Umfeld ihrer Patienten zu suchen. Vor allem die verführerische Sidney (Sophie Cookson), deren Ex-Freund einfach nicht von ihr loskommt und deshalb bei Jean in Behandlung ist, fasziniert die Therapeutin. Während sie das beschauliche Vorstadtdasein mit ihrem Mann Michael (Billy Crudup) nicht mehr so wirklich zu erfüllen scheint, fühlt sich Jean immer mehr zu Sidney hingezogen – was schon bald Spuren im Alltag hinterlässt...

    Um den visuellen Stil für Jeans nicht ungefährlichen Abstieg in ein heimliches Doppelleben zu finden, holte man sich für „Gypsy“ „Fifty Shades Of Grey“-Regisseurin Sam Taylor-Johnson an Bord, die die ersten beiden Folgen der Netflix-Produktion in Szene setzte und die Serie u. a. neben Schöpferin Lisa Rubin und der zweifach oscarnominierten Hauptdarstellerin Naomi Watts („21 Gramm“, „The Impossible“) auch als Ausführende Produzentin betreute. Vom Ergebnis können sich Netflix-Abonnenten ab dem heutigen 30. Juni 2017 mit den zehn Folgen der ersten „Gypsy“-Staffel selbst ein Bild machen. Eine kleine Entscheidungshilfe wollen wir aber trotzdem mit auf den Weg geben...

    Unser Fazit nach vier Folgen: Wir alle haben Geheimnisse, eine Rolle für die Öffentlichkeit, mit der wir unseren Mitmenschen begegnen und eine (mal mehr, mal weniger) anders geartete Persönlichkeit, die unter der Oberfläche schlummert. Diese Feststellungen ziehen sich von den ersten Minuten an wie ein roter Faden durch „Gypsy“ und haben trotz ihrer Offensichtlichkeit stets einen gewissen Reiz. Beim Versuch, ein Bild von der Komplexität des menschlichen Wesens zu vermitteln und hinter besagte Oberfläche zu blicken, kratzen die Macher um Showrunnerin Lisa Rubin jedoch meist nur an ebendieser. Abseits einiger entlarvender Blicke auf die Psychotherapie und das vermeintlich idyllische Vorstadtleben (letzteres gab es zuletzt in „Big Little Lies“ allerdings wesentlich bissiger), gehen die Beobachtungen in der Serie zumindest in den ersten vier Folgen nicht wirklich tief. Und trotzdem hat man den Eindruck, als könne man das, was behandelt werden soll, etwas dichter erzählen – ein typisches Problem bei so mancher Netflix-Serie.

    Dass „Gypsy“ aber dennoch fasziniert, ist in erster Linie den Darstellern und der durchaus spannenden, wenn auch nicht immer nachvollziehbar handelnden Hauptfigur geschuldet, die in der ersten Staffelhälfte erfreulich ambivalent bleibt. Wo hört die Absicht, ihren Patienten tatsächlich zu helfen, auf und wo fängt ihr eigenes Verlangen und ihre Sehnsucht nach dem Ausflucht aus ihrem Alltag an? Jemand wie Naomi Watts schafft es natürlich spielend, diese Zerrissenheit glaubhaft zu vermitteln. Doch können ihre Co-Stars Billy Crudup („Alien: Covenant“, „Watchmen“) und Sophie Cookson („Kingsman“, „The Huntsman & The Ice Queen“) mühelos mithalten. Sowohl Jeans Beziehung mit ihrem Mann als auch ihr Interesse an der manipulativen Sidney sind durchweg greifbar.

    Mit einigen Einschränkungen können wir also durchaus empfehlen, eine Therapiestunde bei Jean Holloway zu vereinbaren – auf eigene Gefahr für das Privatleben versteht sich.

     

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