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    Streaming-Tipp: Kein Film hat mich in den vergangenen 12 Monaten so sehr mitgerissen!

    Aktuell findet die Woche der Kritik statt – in diesem Jahr wie so vieles nur online. Aber so bekommen auch Nicht-Berliner die Chance, das Programm zu entdecken – vor allem der neue Film von Sion Sono sei euch dabei uneingeschränkt ans Herz gelegt.

    Grasshopper Film

    +++ Meinung +++

    Schon seit einigen Jahren findet parallel zur Berlinale in einem Berliner Kino auch die Woche der Kritik statt. Ein Parallelfestival, dessen Programm ausschließlich von Filmkritikern bestimmt wird. In diesem Jahr ist die Situation aber noch mal eine besondere: Denn während sich die Berlinale 2021 im morgen beginnenden Online-Teil dieser Ausgabe erst einmal nur an Branchenvertreter*innen und Journalist*innen richtet, bevor das reguläre Publikum die Filme erst im Sommer (dann hoffentlich auch wieder auf der großen Leinwand) zu sehen bekommt …

    … könnt ihr das komplette Programm der Woche der Kritik ab sofort streamen – und zwar inklusive der Diskussionsrunden, die jeden Abend stattfinden und in denen regelmäßig neue Sichtweisen auf das Kino und seine Entwicklung kritisch verhandelt werden. Das komplette Programm, alle weiteren Infos sowie die Möglichkeit, euch Tickets zu sichern, findet ihr auf der Website der Woche der Kritik.

    Aber ich will jetzt auch gar nicht lange über das Festival selbst schreiben, sondern euch direkt zwei ganz besondere Filme aus dem Programm empfehlen, die mich in den letzten Tagen wirklich schwer begeistert haben.

    Mein Lieblingsfilm der letzten 12 Monate

    Das „Doofe“ ist: Unser Autor Lucas Barwenczik hat bereits vor einigen Tagen eine ausführliche Kritik zu „Red Post On Escher Street“ geschrieben, die ich absolut fantastisch finde (nein, auch als Chefredakteur bin ich nicht dazu verpflichtet, das über jeden auf FILMSTARTS erscheinenden Text zu sagen). Deshalb kann ich jetzt gar nicht viel mehr machen kann, als euch zunächst die Kritik und dann den Film zu empfehlen (oder andersrum):

    Red Post On Escher Street

    Aber ein paar Worte gibt dann doch noch – schließlich hat mich Kultregisseur Sion Sono, dessen Karriere ich schon seit „Suicide Club“ eng verfolge und dessen „Love Exposure“ zu meinen absoluten Lieblingsfilmen zählt, mal wieder völlig aus den Socken gehauen – weshalb ich im Gegensatz zu Lucas auch nicht „nur“ 4,5 Sterne, sondern direkt die Bestwertung von 5 Sternen zücke.

    Ich hatte bei „Red Post On Escher Street“ im Vorhinein ehrlicherweise ein kleines Nebenwerk erwartet – immerhin erschien der Film ziemlich plötzlich und ohne große Ankündigung, während Sion Sono zeitgleich auch an dem Nicolas-Cage-Wahnsinn „Prisoners Of The Ghostland“ gearbeitet hat, über den natürlich ungleich größer berichtet wurde. Aber „Red Post“ ist nicht weniger als ein Epos – in dem zumindest vordergründig auf bissige, wilde, kluge, absurde und urkomische Weise über die japanische Filmindustrie hergezogen wird.

    Statisten dieser Welt, vereinigt euch

    Aber während die korrupten Produzenten des fiktiven Film-im-Films ordentlich ihr Fett wegkriegen, setzt Sion Sono zugleich den Statisten und Kleindarstellern ein filmisches Denkmal, indem er den Fokus einfach immer wieder auf sie richtet, sie nach Hause begleitet, ihre Wünsche und Hoffnungen beleuchtet. So ist „Red Post On Escher Street“ nicht nur ein Film über einen Filmdreh – es ist auch ein hoffnungsstiftender Appell an die Kraft des Einzelnen, der nur vermeintlich in der Masse unterzugehen droht.

    Die ersten zwei Stunden sind meisterhaft unterhaltsam, voll von lauter klugen, berührenden und oft urkomischen Miniaturen. Aber seine volle Meisterschaft entfaltet „Red Post“ in seinem halbstündigen Finale, wenn beim Dreh einer Massenszene in einer Marktstraße plötzlich die Statisten den Aufstand proben. Das ist wild und frei und mitreißend – und ein kraftvolles, lebensbejahendes Statement für alle, die es derzeit rund um den Globus auf die Straße treibt, um gegen die Machtspiele der Habenden zu protestieren.

    Filmexperiment gelungen: Einfach, aber kraftvoll!

    Während mir „Red Post On Escher Street“ für jeden geeignet scheint, der dem Kino und seinen Möglichkeiten gegenüber auch nur ein wenig offen ist, laufen auf der Woche der Kritik aber auch einige Konzeptfilme, auf die man sich schon wirklich einlassen muss (was beim Streaming ja noch mal schwerer ist als im Kinosessel), um ihnen etwas abzugewinnen.

    Trotzdem möchte ich den Experimentierfreudigen und Entdeckungswütigen unter euch zumindest einen dieser Filme empfehlen, der mich wirklich überrascht und dazu auch noch zutiefst berührt hat.

    Ein Straßen-Casting der ganz besonderen Art

    In „Intimate Distances“ von Phillip Warnell sehen wir eine belebte Straße in Queens - und zwar aus der Perspektive einer Linse, die zumindest wie eine Überwachungskamera wirkt: Sie schwenkt aus der Ferne hin und her, zoomt manchmal auch an eine Gruppe von Menschen heran, um das belebte Treiben dann wieder als Ganzes zu zeigen. Mit der Zeit merken wir, dass eine Frau immer wieder von einem Ende zum anderen marschiert, dabei die Menschen um sich herum aufmerksam beobachtet. Offenbar ist die die Protagonistin des Films.

    Irgendwann beginnt sie damit, vermeintlich zufällig Männer anzusprechen – und sie schon früh im Gespräch ungewöhnlich intime Dinge zu fragen, etwa nach ihrem Lebensweg und ob sie schon mal Dinge getan hätten, von denen sie zuvor nie geglaubt hätten, dass sie dazu fähig werden. Das Erstaunliche: Die Männer geben bereitwillig Antworten – es entwickeln sich immer wieder nur wenige lange Dialogminiaturen, in denen gefühlt komplette Existenzen verhandelt werden.

    Wer ist Martha Wollner?

    Im Abspann steht zwar der Name der Frau, es ist Martha Wollner. Es ist ein Name, der den allermeisten aber nichts nichts sagen wird. Aber selbst wenn man bis zum Schluss nicht genau versteht, was man da gerade eine Stunde lang eigentlich beobachtet hat, sind die zufälligen Gespräche auf der Straße zutiefst berührend. Man glaubt ja immer, dass in der großen Stadt alle nur nebeneinanderher leben, dass die aufgezwängte Nähe der Metropole ausschließlich eine räumliche ist. Und wahrscheinlich stimmt das oft auch. „Intimate Distances“ zeigt aber, wie leicht es offenbar ist, diese gefühlten Distanzen niederzureißen.

    Da ist es fast (aber auch wirklich nur fast) ein wenig ernüchternd, wenn man schon vorher weiß oder im Anschluss herausfindet, was wirklich dahintersteckt: Martha Wollner ist eine legendäre New Yorker Casting-Agentin, die auf der Straße nach einem passenden Laiendarsteller für eine Gangsterrolle sucht. Daher auch all die dunklen Fragen nach Abgründen und Grenzüberschreitungen, die ja auch so hervorragend zum Geist der Woche der Kritik passen…

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