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    Diese Woche neu im Heimkino: Ein bahnbrechender Klassiker – der bis heute viel zu unbekannt ist

    Die Dramödie „Lilien auf dem Felde“ wurde für fünf Oscars nominiert – darunter als bester Film. Zudem schrieb sie Geschichte: Sidney Poitier gewann als erster schwarzer Hauptdarsteller den Academy Award. Jetzt erscheint der Film erstmals auf Blu-ray.

    MGM

    +++ Meinung +++

    Sage und schreibe 58 Jahre alt – und noch immer ein wunderschöner Film. Noch dazu einer, der in einem filmischen Klima erschien, das ans Heute erinnert: „Lilien auf dem Felde“ war 1963 ein Überraschungserfolg, der mitten in einem Wettrüsten Hollywoods erschien. Denn die Traumfabrik setzte beim Versuch, mit dem zugkräftigen Fernsehen mitzuhalten, zunehmend auf gigantische Budgets und ausschweifendes Spektakel. Diese Romanadaption dagegen wurde mit einem schmalen Budget innerhalb von gerade einmal 14 Tagen in der Wüste Arizonas gedreht und schlägt leise Töne an. Leise Töne, die weiterhin durch die Filmgeschichte hallen.

    Denn die herzerwärmende sowie gewitzte Geschichte über den schwarzen Baptisten / fahrenden Handwerker Homer Smith (Sidney Poitier) und eine kleine Gruppe aus dem Ostblock Europas geflohener Nonnen ist so viel mehr als „fortschrittlich für ihre Zeit“. Nun wird sie auf Blu-ray im 2-Disc-Mediabook wieder aufgelegt – und ich hoffe, dass sie damit auch neue Fans gewinnt!

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    Darum geht's in "Lilien auf dem Felde"

    Der Gelegenheitsarbeiter Homer Smith hat in Arizona eine Wagenpanne und begegnet daher per Zufall einem kleinen Glaubensorden: Angeführt von der strengen Oberin Maria (Lilia Skala) besteht er aus fünf Nonnen, die aus Ostdeutschland geflohen sind, um nun im Nirgendwo der USA ihren Glauben zu praktizieren. Maria ist davon überzeugt, dass Gott persönlich ihr den fähigen Handwerker (und Baptisten) geschickt hat, damit er bei körperlichen Tätigkeiten aushelfen kann. Daher bittet sie Smith um zahlreiche kleinere Reparaturarbeiten – und letztlich darum, eine Kapelle zu errichten. Unentgeltlich, selbstredend.

    Smith ist vom unerschütterlichen Glauben der Schwestern beeindruckt, und obendrein hat er eine riesige Freude daran, ihnen auf neckische Weise Englisch beizubringen. Auch der Rapport mit Maria mag voller Spitzen und Meinungsverschiedenheiten sein, jedoch steht zwischen ihnen auch unausgesprochener Respekt. Respekt, der Smith schmeichelt. Zudem wecken die Nonnen seinen Ehrgeiz und Gemeinschaftssinn. Und so lässt sich Smith von den Nonnen überzeugen, unentwegt für sie anzupacken – bis er sich sogar in den Kopf setzt, die Kapelle ganz allein zu errichten …

    Eine ruhige Dramödie schreibt Filmgeschichte

    „Lilien auf dem Felde“ erschien, während nicht nur der Output der gegen das TV ankämpfenden Hollywood-Studios einen Wandel durchmachte. Die USA generell durchliefen große, wichtige Änderungen: Der Kampf für größere Rechte der schwarzen Bevölkerung nahm Fahrt auf – musste sich aber immensem Gegenwind stellen. Der Civil Rights Act sollte erst 1964 folgen, der Voting Rights Act sogar erst 1965. Sympathische, nuanciert gezeichnete schwarze Figuren (noch dazu in der Protagonistenrolle) waren im Mainstreamkino jener Zeit eine Seltenheit.

    In diesem Klima zeigte die schlappe 250.000 Dollar teure Produktion Sidney Poitier in einem Film, der von Verständnis und gegenseitigem Respekt handelt – und das, ohne diese Themen explizit auf Rassismus-Ebene zu behandeln. Es war somit ein Fortschritt auf zweifacher Ebene: Poitier durfte eine liebenswerte, komplexe Hauptrolle spielen und so Wege frei sprengen – ohne, dass er auf seine Hautfarbe reduziert wurde. Denn obwohl „Lilien auf dem Felde“ ein Film über gegenseitiges Verständnis und das Abbauen von Vorurteilen ist, werden die kulturellen Unterschiede zwischen Smith und den Nonnen aufgrund ihrer verschiedenen Heimatländer, der Sprachbarriere und den unterschiedlichen Glaubensgrundsätze (obwohl sie an den selben Gott glauben) erörtert.

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    Gegenüber dem Element der Hautfarbe verschließt der Film dabei nicht die Augen – Smith wundert sich in einer Szene etwa, ob das Wort „Gringo“ vielleicht ein noch schlimmeres Wort sein könnte, als das, was er sonst oft zu hören bekommt. Und unausgesprochen steht das Thema Rassismus noch mehrere weitere Male im Raum. Doch es ist eine bewusste Entscheidung der Filmschaffenden, Smiths Erfahrungen nicht darauf zu beschränken, sondern ihn zu einem Mann mit diversen inneren und äußeren Konflikten zu machen, die unterschiedlichsten Menschen Identifikationspotential bieten.

    Das war künstlerischer Schneid für jene Zeit. Schneid, der reichlich entlohnt wurde: Allein in den USA nahm „Lilien auf dem Felde“ über drei Millionen Dollar ein, Poitier gewann den Golden Globe, den silbernen Bären und als erster Schwarzer einen Oscar in der Wettbewerbskategorie „Bester Hauptdarsteller“. Im vergangenen Jahr wurde die Dramödie zudem als kulturell relevantes Stück Kinogeschichte in das National Film Registry aufgenommen.

    Zeitlos schön

    All diese historische Signifikanz bei Seite geschoben, ist „Lilien auf dem Felde“ schlicht und ergreifend ein wunderschöner Film, der auf bezaubernde, ruhige Weise Dramatik und Humor vereint. So ernst Drehbuchautor James Poe („Die Katze auf dem heißen Blechdach“) und Regisseur Ralph Nelson („Millionenraub in San Francisco“) diesen mehrschichtigen Culture Clash auch nehmen: Sie nutzen ihre differenziert gezeichneten Figuren, um immer wieder sehr charmanten Witz aus ihrem Mit- und Gegeneinander zu ziehen.

    Wahre Glanzlichter sind beispielsweise die sporadisch auftauchenden Sprachlektionen, während denen Homer mit Engelsgeduld, aber auch mit diabolischer Freude, den Nonnen Englisch beibringt. Sidney Poitier verleiht seiner Figur in diesen Szenen eine große Alleinunterhalter-Ader: Mal ahmt Smith den trockenen Duktus der Sprachlern-Platte nach, der die Nonnen anfangs lauschen, mal betont er die Beispielsätze in einem alltäglicheren Duktus – und wenn's ihm zu öde wird, grinst er bis über beide Ohren, während er die Sätze in einem melodischen Slang-Singsang oder fetten deutschen Akzent vorspricht.

    Ähnlich amüsant sind die mit scharfen Blicken (und einem halb-verborgenen Lächeln) abgehaltenen Bibelzitat-Wettbewerbe zwischen Smith und Oberin Maria, die versuchen, ihre gegensätzliche Lebensgrundhaltung mit Bibelstellen zu belegen. Dass sie letztlich gemeinsame Nenner finden, ohne einander vom Weg abzubringen, wird im Laufe des Films rührend erarbeitet, ohne dass die Inszenierung oder das Dialogbuch je ins Rührselige oder Moralisierende kippen würde. Stattdessen gewinnt Lilia Skala ebenso subtil wie konsequent an Respekt für Smiths Weltsicht und Demut in ihrem strengen Blick. Und währenddessen wächst Smith sukzessive vom Helfer, der eingelullt werden muss, zum stolzen Kapellen-Bauherren und Architekten einer kleinen, lokalen Gemeinschaft heran.

    Poitiers filigranes Spiel deutet eine Vielzahl an Motivationen dafür an, ohne dass dem Publikum eine konkrete Antwort vorgekaut wird – vom Glaubensaspekt bis hin zur errungenen Selbstverwirklichung eines Kleinarbeiters ist alles möglich. Nicht zuletzt macht genau das den Film trotz seines Zeit- und Lokalkolorits so zeitlos und gewinnend: Er tänzelt gelassen zwischen universellen Themen und spezifischen Blickwinkeln, und lässt dabei seinem glänzenden, niemals dick auftragenden Cast Raum, um mit Charme und Gravitas zu überzeugen. Sowas funktioniert heute noch genauso wie 1963.

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